Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Nicaragua |

Selbstverwaltet statt fremdbestimmt

Die „Nueva Vida Fair Trade Zone“ ist eine von Frauen gegründete Kooperative aus Ciudad Sandino, Nicaragua. Sie stellt Kleidung aus biologisch angebauter Baumwolle unter fairen Arbeitsbedingungen her und behauptet von sich, weltweit die einzige Freie Handelszone in den Händen der ArbeiterInnen zu sein. Mit María Elena Medina, Mitglied der Kooperative, sprachen Darius Ossami und Kristin Gebhardt.

 

Wie kam die Idee zustande, eine Frauen-Kooperative zu gründen?

Wir haben am Ufer des Managuasees gelebt, als 1998 der Hurrikan Mitch über Mittelamerika gezogen ist. Wir haben alles verloren und wurden in ein Brachland 20 Minuten westlich der Hauptstadt Managua umgesiedelt. Unsere ersten Häuser waren Hütten mit Plastikplanen; dort lebten wir über zwei Jahre lang. Wir hatten keine Arbeit, aber bekamen Hilfe von der Regierung und von vielen NGOs. Dort haben wir auch das Entwicklungszentrum für Zentralamerika CDCA (Center for Development in Central America) kennengelernt.

Diese Organisation hatte die Idee, ein Projekt zu gründen um für uns Frauen dauerhafte Arbeitsplätze zu schaffen. So haben sich 100 Frauen organisiert. Wir haben gelernt, was eine Kooperative ist, eine GmbH und so weiter und haben uns entschieden, eine Kooperative zu gründen. Das bedeutet, dass wir alle BesitzerInnen sind, dass wir alle dieselben Rechte haben, wie zum Beispiel das gleiche Stimmrecht und das Recht, Vorschläge einzubringen. Wir sind in einem Entscheidungsgremium organisiert, in dem die Entscheidungen mittels einer einfachen Stimmenmehrheit getroffen werden. Alle Entscheidungen, ob groß oder klein, wichtig oder unwichtig.

Besteht eure Kooperative nur aus Frauen?

Nein. Das Projekt zielte am Anfang auf Frauen ab, denn die Gemeinde bestand zu 70 Prozent aus alleinstehenden Frauen, die die Familie führten. Aber als wir an dem Bau der Fabrik gearbeitet haben – finanziert durch einen Kredit über 100.000 US-Dollar, der Stück für Stück zurück gezahlt werden sollte, weshalb wir mehr als zwei Jahre ohne Gehalt arbeiteten – sind während dieser Zeit die meisten Frauen abgesprungen. Am Ende waren wir neun Frauen und ein Mann.

Dieser Mann hat uns von sich aus geholfen, denn wir mussten ein Gebäude errichten und er kam vorbei und sah uns arbeiten und Zement anrühren. Also hat er uns geholfen und so ist die Idee entstanden, dass dort nicht nur ausschließlich Frauen arbeiten sollten. Im Moment arbeiten bei uns 30 Personen, davon sind 22 Frauen und acht Männer. Aber wir bevorzugen immer die Frauen, denn in unserem Land gibt es einen weit verbreiteten Machismus. Daher wissen wir, dass die Frauen viel verantwortungsbewusster sind und wenn es freie Arbeitsstellen gibt, bevorzugen wir die Frauen, aber prinzipiell herrscht bei und Geschlechtergleichheit.

Wie unterscheiden sich eure Arbeitsbedingungen von denen in den großen Maquiladoras?

Nachdem wir schon das Gebäude gebaut hatten, mussten wir noch eine Zeit auf Aufträge und die Maschinen warten. Da wir also wenig Arbeit hatten, habe ich mich entschieden, zu einer großen Maquila zu gehen, weil es dort am ehesten Arbeit in Nicaragua gibt. Ich habe dort nur einen Monat gearbeitet, denn in diesen vier Wochen, ich glaube in der dritten Woche war es, da hat eine meiner Arbeitskolleginnen um Erlaubnis gebeten, auf Klo gehen zu dürfen, denn dort darf man nicht einfach so aufstehen, wenn es nicht notwendig ist. Die Kollegin war hochschwanger und bat um Erlaubnis, aufzustehen weil sie Unterleibsschmerzen hatte und auf Klo gehen wollte. Doch die Aufseherin hat ihr das nicht erlaubt.

Als die Kollegin die Schmerzen nicht mehr ausgehalten hat, ist sie aufgestanden und aufs Klo gegangen. Als sie nach einiger Zeit auf ihren Arbeitsplatz zurückkehrte hat sie stark geblutet. Es wurde dann ein Arzt gerufen, aber es war schon zu spät. Sie verlor ihr Baby, ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich und das letzte was wir hörten war, dass sie gestorben ist. Nach dieser schlimmen Erfahrung habe ich beschlossen, zu gehen. Ich hab mir gesagt, wie soll ich hier arbeiten, wo es keinen Respekt vor gar nichts gibt?

Lieber verkaufe ich wieder Brot auf der Straße, so wie ich das schon vorher mit meiner Mutter gemacht habe. Das war schon ziemlich hart zu sehen, dass unsere nicaraguanischen Schwestern so etwas durchmachen und auch noch dableiben müssen, denn es ist die einzige Arbeitsmöglichkeit, die es gibt. Solche Arbeitsbedingungen gibt es in unserem Land. Als Kooperative ist es unsere Ziel, gemäß den Normen des fairen Handels zu arbeiten. Wir respektieren die Arbeitsrechte und die Menschenrechte der ArbeiterInnen. Als ArbeiterInnen geben wir uns die Möglichkeit, vom Arbeitsplatz aufzustehen, so oft wie wir das für nötig halten, um Wasser zu trinken oder aufs Klo zu gehen. Wir müssen dafür nicht um Erlaubnis fragen.

Was produziert ihr denn genau?

Kleidung für Männer, Frauen und Kinder. Die Stoffe, die wir verarbeiten sind zu 100 Prozent aus biologischer Baumwolle. Unser Rohmaterial importieren wir aus Peru, die gesponnene Baumwolle bringen wir nach Costa Rica, wo sie gewebt und gefärbt wird. All diese Arbeitsschritte sind biologisch zertifiziert und am Ende schließlich landen diese Stoffe in unserem Lager in Nicaragua. Unsere Kunden kommen aus dem Bereich des Fairen Handels.

Hier in Deutschland arbeiten wir mit acht verschiedenen Organisationen, die von Zündstoff vertreten werden, einem kleinen Fair-Trade-Laden mit Bio-Kleidung in Freiburg. In Nordamerika kauft die presbyterianische Kirche bei uns. Wir verkaufen auch an StudentInnen, die an den US-Universitäten im fairen Handel engagiert sind; auch die bestellen bei uns kleine Mengen.

Der staatliche Mindestlohn liegt bei 210 Dollar im Monat. Wie kommt ihr damit über die Runden?

Wir nennen das "salario de sobreviviencia", ein Lohn, der zum Überleben reicht. Der ist noch verbesserungsfähig, denn eine Familie von mindestens vier, sechs Personen braucht wenigstens 500 Dollar monatlich zum Überleben. Und wir konnten diese Summe immer noch nicht auszahlen. Es ist eines unserer Ziele, unsere sozioökonomische Situation zu verbessern, für alle, die in der Kooperative arbeiten. Wir machen diese Tour durch Deutschland und hoffen, unsere wirtschaftlichen Kontakte zu verbessern und eine bessere Nachfrage zu erzielen, um dieses Ziel auch umzusetzen.

Was wollt ihr erreichen?

Unser Ziel ist nicht nur, wirtschaftlich zu wachsen. Als wir angefangen haben, hatten wir noch keine abgeschlossene Schulausbildung. Deshalb haben wir uns zum Ziel gesetzt, der Bildung einen hohen Stellenwert einzuräumen, weil das auch gerade bei der Unternehmensführung fehlt. Laut Gesetz beträgt die Arbeitszeit in Nicaragua 48 Stunden pro Woche. Aber wir arbeiten nur 45 Stunden pro Woche, von Montag bis Freitag, mit einer Stunde Mittagspause. Den Samstag halten wir uns frei, um zur Schule zu gehen. Die meisten schließen gerade ihre Schulausbildung ab, zwei von uns beenden gerade die Uni, weitere vier die Oberstufe.

Außerdem wollen wir auch soziale Projekte für unsere Gemeinde anschieben. Unsere Gemeinde ist entstanden aus all den Menschen in Managua, die vom Hurrikan Mitch betroffen waren. Es ist eine extrem arme Gemeinde, eine die von der Stadtverwaltung am Wenigsten wahrgenommen wird, weil sie eine der Neuesten in Ciudad Sandino ist, und wir eben die Ärmsten sind.

Da die Ärmsten am wenigsten Steuern zahlen, sind sie auch die letzten, die Zuwendungen von der Regierung erhalten. Es gibt dort viele Probleme, zum Beispiel hat eine in der Nähe errichtete Müllkippe für die Ausbreitung von Dengue und Malaria gesorgt. Wir planen, 15 Prozent unserer Gewinne in die Gemeinde zu investieren. Bisher war das allerdings nicht möglich.

Interview: Darius Ossami und Kristin Gebhardt, Quelle: Poonal

 

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