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Samayoa: "In Guatemala wird systematisch korrumpiert"

Claudia Virginia Samayoa ist Koordinatorin der Einheit zur Verteidigung von Menschenrechtsaktivisten in Guatemala (Udefegua). Die 53-jährige Philosophin kritisiert korrupte und autoritäre Strukturen in Guatemala und hofft, dass der Widerstand der Zivilbevölkerung einen demokratischen Wandel in Gang setzt.

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Menschenrechtsverteidigerin Claudia Samayoa hofft auf ein Ende der Korruption und einen demokratischen Wandel in Guatemala. Foto: Markus Dorfmüller

Blickpunkt Lateinamerika: Die Proteste in Guatemala reißen nicht ab. Auch am letzten Wochenende schob sich ein Demonstrationszug durch die Altstadt von Guatemala mit abermals mehreren Tausend Menschen. Am Ende kam es zu Gewalt, warum?
 
Claudia Virginia Samayoa: Die Gewalt ging von bezahlten jugendlichen Provokateuren aus. Da bin ich mir sicher. Sie wurde von einem Mann dirigiert, der wie ein Militär auftrat. Mehrere Journalisten wurden verletzt, die Ombudsstelle für Menschenrechte angegriffen – das ist kein Zufall. Es ging darum, die Demonstrationen und deren Inhalte zu diskreditieren.
 
Die Proteste richten sich wieder einmal gegen die Korruption. Zahlreiche Medienberichte erwecken den Eindruck, dass die Regierung von Alejandro Giammattei der Vetternwirtschaft und der Bestechung nicht entgegentritt.
 
Es ist die alte Geschichte: Die Eliten bereichern sich, übernehmen den Staat und seine Institutionen, melken ihn. Die Menschen sind es leid. Otto Pérez Molina, Jimmy Morales und nun Alejandro Giammattei heißen die drei letzten Präsidenten des Landes und alle müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, vor allem an sich selbst zu denken und sich die Taschen vollzumachen. Die Demonstrationen sind ein Beweis dafür. Die Menschen wollen zudem eine Justiz, die funktioniert. Wir befinden uns in einer gravierenden institutionellen Krise.
 
Der unter vollkommen intransparenten Bedingungen verabschiedete und nach den Demonstrationen vom 21. November zurückgezogene Haushalt ist also nur der Auslöser?
 
Ja, der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte – es geht um Reformen. Die Menschen sind es leid, immer wieder der Allianz der Korrupten gegenüberzustehen, sich veräppeln zu lassen von einer kleptokratischen Elite. Mit dem Abzug der CICIG (UN-Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala - ihr Mandat endete im Sept. 2019) drohen alle Dämme zu brechen. Es wird systematisch korrumpiert und sich am Staat bereichert.
 
Ist das Funktionieren der Institutionen gefährdet?
 
Ja, definitiv. Nur ein Beispiel: Die Familien, die am dringendsten auf Hilfe in der Pandemie angewiesen sind, erreicht die staatliche Hilfe nicht. Sie überleben dank der Solidarität aus der Nachbarschaft. Nach den beiden Hurrikanen Eta und Iota kommt die staatliche Hilfe immer noch kaum an – die staatlichen Institutionen agieren ineffektiv und sind schlecht ausgestattet, die Infrastruktur ist mies. Vor allem im Norden Guatemalas ist die Situation schwierig, Schlammlawinen sind ein Problem.
 
Was halten Sie von Alejandro Gimmattei – reagiert er mit Repression?
 
Für mich verhält er sich zunehmend autoritär, entwickelt sich zum Diktator und geht dem Dialog aus dem Weg. Er scheut die Auseinandersetzung. Er ist zur zentralen Figur des Paktes der Korrupten geworden - so bezeichnen wir den Kreis von korrupten Politikern, Militärs und Unternehmern, die das Land übernehmen wollen. Entsprechend groß ist der Widerstand und die Zahl der Demonstrationen – die Leute haben die Nase voll. Der Haushaltsplan ist der Auslöser, aber er ist gar nicht so viel anders aufgestellt als der derzeit Laufende, der auch schon die Korruption erleichtert. Gravierend ist, dass weniger für Gesundheit und Soziales vorgesehen ist und wenig für Nothilfe nach den beiden Hurrikans. Parolen wie „Wir Bohnenfresser wollen euren Rücktritt“ greifen das auf.
 
Welchen Effekt haben die Proteste?
 
Die Proteste sind nicht von einer oder mehreren Organisationen koordiniert – die Leute gehen auf die Straße, weil sie die Nase voll haben. Das ist neu und ein hoffnungsvolles Element. Das Gleiche gilt für die Tatsache, dass sie landesweit stattfinden, nicht auf die großen Städte beschränkt sind und dass viele indigene Guatemalteken aktiv sind, wie auch viele Frauen und Frauenorganisationen. Das ist positiv. Neu ist die Forderung nach einer verfassungsgebenden Versammlung und strukturellen Reformen. Das ist für mich ein Fortschritt, genauso wie die Teilnahme der jüngeren Generation – die ist sehr aktiv und tritt für einen echten Wandel ein. 

Wie könnte der Aussehen?
 
Verlangt wird der Rücktritt von Präsident und Vizepräsident sowie des gesamten Parlaments. Positiv ist, dass die Opposition einheitlich auftritt – sie agiert gemeinsam. Auch das hat es so in Guatemala noch nicht gegeben. Und die Forderung nach einer verfassungsgebenden Versammlung wird lauter.
 
Derzeit werden zahlreiche neue Richter ernannt – wird die Justiz von den Korrupten unterwandert?
 
Das Risiko besteht. Die Unterwanderung der Justiz durch korrupte Richter ist sichtbar, wir drohen die Unabhängigkeit der Justiz zu verlieren. Die unabhängigen Richter stehen unter enormen Druck und, anders als früher, stärkt ihnen nicht mehr die CICIG (UN-Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala ) den Rücken. 

Interview: Knut Henkel

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