Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Guatemala |

Recherchen auf heißem Pflaster

Weltweit nutzen immer mehr Reporterinnen und Reporter die Möglichkeiten Sozialer Netzwerke und lokaler Radiostationen, um Menschenrechtsverletzungen öffentlich zu machen. In Guatemala geht es einigen indigenen Gemeindereporterinnen vor allem darum, den Angehörigen ihrer Völker und besonders den Frauen eine Stimme zu geben. Ihre Arbeit ist hochgefährlich, unterstützt werden sie von kirchlichen Gruppen.

Die freischaffende Videoproduzentin Ana Matzir bemüht sich, in ihren Filmen vor allem Menschen der indigenen Bevölkerung zu Wort kommen zu lassen. Foto: Boueke

Ein Demonstrationszug läuft über die Haupteinkaufsstraße des alten Zentrums von Guatemala-Stadt vorbei an renovierungsbedürftigen Wohnhäusern, kolonialen Kirchengebäuden, farbenfrohen Läden und modern ausgestatteten Bankfilialen, vor deren Eingangstüren bewaffnetes Sicherheitspersonal Wache schiebt. Die meisten Demonstrierenden sind Frauen. Sie protestieren gegen die Gewalt, der viele von ihnen immer wieder ausgesetzt sind. In einer Gruppe mit dem Namen „Plattform Gerechtigkeit“ laufen zwei Dutzend Frauen in schwarzen T-Shirts mit aufgedruckten Bildern gelber Sonnenblumen. Eine hält ein Schild hoch mit der Aufschrift: „Ich lebe in einem Land des Femizids“. Im Laufe der vergangenen zwanzig Jahre wurden in Guatemala rund dreizehntausend Frauen und Mädchen ermordet.

Guatemaltekische Kameramänner in Jacken mit den Logos kleiner Produktionsfirmen filmen den Protest. Eine europäische Fotografin stellt sich auf eine Parkbank, um den Blickwinkel ihrer Kamera auf den Demonstrationszug zu verbessern. Indigene Reporterinnen nutzen ihre Smartphones, um Fotos zu machen und Interviews aufzunehmen. In der Menge taucht mal hier, mal da der braune Hut und die farbenfrohe Tracht der Gemeindereporterin Angela Cuc auf. Die junge Frau recherchiert für eine Reportage über die Lebenswirklichkeit von Mayafrauen in Guatemala. „In einem Land wie diesem ist es sehr schwierig, sicher zu stellen, dass die Rechte einer Frau respektiert werden“, sagt sie und wischt Schweißtropfen von ihrer Brille. „Uns steht ein Staat gegenüber, der vom Machismo geprägt ist. Seine Strukturen sind frauenfeindlich und patriarchal. Wer versucht, in den großen Medien Berichte über die ausgegrenzten Teile der Bevölkerung unterzubringen, hat es schwer.“

Klima des Terrors

Angela Cuc stammt aus dem Mayavolk der Kaqchikel. Sie schreibt für verschiedene alternative Publikationen in Guatemala und als Korrespondentin eines indigenen Radioprogramms in Quito, Ecuador. Im hinteren Teil des Protestzugs trifft sie auf einige Mitglieder der interreligiösen Vereinigung CENTINELAS. Die Frauen und Männer tragen ein Banner, auf dem geschrieben steht: „Das Gesicht der Kriminalisierung ist weiblich, aber die Tapferkeit auch“.

Die Pressesprecherin der Vereinigung, Mayra Rodriguez, sagt: „Die Kriminalisierung nimmt zu und immer häufiger sind mutige Frauen betroffen. Sie kämpfen gegen ein System, das von korrupten Machenschaften und persönlichen Interessen manipuliert wird. Wir verlangen Gerechtigkeit für alle Frauen, die verfolgt werden, weil sie ihre Rechte einfordern. Die ständige Bedrohung erzeugt ein Klima des Terrors.“

Kirchen sollen mit Lokalreporterinnen zusammenarbeiten

In einer Rangliste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen für das Jahr 2022, steht Guatemala zwischen 180 Staaten im unteren Drittel. Die Vereinigung CENTINELAS bemüht sich seit Jahren, Gläubige verschiedener Religionen im Engagement gegen Zensur und Korruption zusammen zu führen. Vor allem katholische und evangelikale Christen machen mit, aber auch Juden, Muslime, Buddhisten und Angehörige der Mayareligion. Gemeinsam fordern sie ein Ende der Gewalt und mehr Transparenz in Wirtschaft und Politik, erklärt Mayra Rodriguez: „Wir haben den Anspruch, dass Personen, die an einen Gott glauben, bereit sein sollten, sich für eine gerechte Sache einzusetzen. In Guatemala leidet die Hälfte der Kinder an chronischer Unterernährung. Das muss sich ändern. Frauen, die verfolgt werden, weil sie über Korruption schreiben und für Verbesserungen kämpfen, sind für uns ein Vorbild der Würde.“

Als Politikwissenschaftlerin forscht Mayra Rodriguez zu Wechselwirkungen zwischen Politik und Religion. Als katholische Aktivistin bemüht sie sich, in verschiedenen Glaubensgemeinschaften politisches Engagement zu mobilisieren. Ihrer Meinung nach kann die Berichterstattung indigener Journalistinnen einen wichtigen Beitrag dazu leisten: „Die Kirchen sollten die Arbeit der Lokalreporterinnen nutzen, um die Gesellschaft für die Situation der indigenen Gemeinden zu sensibilisieren. Als Christinnen sind wir bemüht, unser Handeln mit dem Anspruch des Evangeliums in Einklang zu bringen. Es geht darum, das Wohl der Gemeinschaft zu fördern und für Gerechtigkeit einzutreten. Jesus hat uns dazu aufgerufen, unsere Nächsten zu beschützen. Wir bemühen uns um Aufmerksamkeit für diejenigen Kameradinnen, die verfolgt werden, weil sie mit ihrem solidarischen Journalismus einen wertvollen Beitrag leisten.“

Angela Cuc freut sich über die Anerkennung ihrer Arbeit. Sie hofft, dass solche Unterstützung dazu beiträgt, sie und ihre Kolleginnen in Guatemala vor Übergriffen zu schützen. In Lateinamerika gilt nur das Nachbarland Mexiko als noch gefährlicher für Journalistinnen. „Wer in Guatemala journalistisch arbeitet, hat sich schon immer auf Konfrontationskurs zu der Regierung begeben. Wer die Interessen der Politiker durchkreuzt, bekommt Probleme. Wenn du darüber berichtest, wie die Frauen der indigenen Völker ihr Land und ihre Körper verteidigen, wirst du von der Regierung als interner Staatsfeind angesehen.“

Störende Steine im Schuh

Es gab mal eine Zeit des Aufbruchs und der Hoffnung in Guatemala. Als im Dezember 1996 der Bürgerkrieg offiziell zu Ende ging, erlebte die Gesellschaft Fortschritte in ihrer demokratischen Entwicklung. Die Pressefreiheit wurde einige Jahre lang von den meisten staatlichen Institutionen respektiert. Viele Menschen gewöhnten sich daran, die Regierung weitgehend ohne Angst zu kritisieren. Doch zwei Jahrzehnte später überwiegen die Rückschläge. Heute werden wieder viele Menschenrechtsaktivistinnen, kritische Reporter, aber auch unabhängige Richterinnen und Mitarbeiter der Kirchen eingeschüchtert und bedroht. Es kommt zu Anschlägen und Morden. Staatsanwältinnen, die Fälle von Korruption aufgedeckt hatten, werden mit fadenscheinigen Vorwürfen diskreditiert. Im Jahr 2022 wurden über dreihundert Angestellte des Justizsystems inhaftiert. Die Atmosphäre der Angst treibt Oppositionelle ins Exil. Mayra Rodriguez macht sich vor allem Sorgen um mittellose Frauen, die es wagen, öffentlich Korruption und Rassismus anzuklagen. Ihnen fällt es besonders schwer, sich im Labyrinth der Willkür des Justizsystem gegen frauenfeindliche Verleumdungen zu verteidigen. „Wir verlangen, dass die Kriminalisierung der indigenen Gemeindereporterinnen aufhört. Die korrupten Politiker haben es auf diejenigen Personen abgesehen, die ihnen im Weg stehen. Für sie sind die Berichte der Frauen wie störende Steine im Schuh.“

Durch diese Worte fühlt sich Angela Cuc in ihrer journalistischen Arbeit bestätigt. In ihren Texten ergreift sie immer wieder Partei für die Frauen der Mayabevölkerung, die seit Jahrhunderten zu den am stärksten ausgegrenzten und diskriminierten Gruppen des amerikanischen Kontinents zählen. In den Fernsehkanälen Guatemalas wird nur sehr selten über diese Missstände berichtet. Es gibt drei Sender, die im ganzen Land über Antenne empfangen werden können. Die abendlichen Nachrichten dieser Sender sind die wichtigsten Informationsquellen, auf die ein Großteil der verarmten Bevölkerung Zugriff hat. Doch alle drei Sender sind im Besitz eines einzigen Mannes, des mexikanischen Medienmoguls Ángel Gonzales. Zudem besitzt er zahlreiche Kinos und die Frequenzen mehrerer Radiostationen. 

Verfolgt wegen Einsatz für Umweltschutz

Als der Demonstrationszug den zentralen Platz der Hauptstadt erreicht, führt eine Gruppe Mädchen vor der Kathedrale der Erzdiözese von Guatemala-Stadt einen Tanz auf. In dem Gebäude dahinter sitzt die Sozialwissenschaftlerin Gloria Gonzales an einem Schreibtisch aus Blech. Sie berät die guatemaltekische Bischofskonferenz in Fällen von Landkonflikten und bei der Ausarbeitung von Projekten zur ländlichen Entwicklung. „In letzter Zeit beobachten wir eine neue Dynamik. Früher waren die Anführer der Kämpfe indigener Gemeinden meist männliche Katecheten. Aber jetzt geht es immer häufiger um die Bewahrung der Schöpfung und die Verteidigung der natürlichen Ressourcen. Häufig stehen Frauen an der Spitze des Widerstands. Mag sein, dass ihre Identifikation mit Mutter Natur besonders ausgeprägt ist.“

Gloria Gonzales hält es für eine wichtige Aufgabe der Kirche, diese Frauen zu unterstützen. Viele werden verfolgt, weil sie sich für den Schutz der Natur einsetzen. „In diesem Land leben wir alle in Gefahr. Aber das Risiko der Anführerinnen sozialer und ökologischer Bewegungen ist besonders groß. Einige mussten das Land verlassen. Andere sind geblieben und ertragen die ständige Bedrohung. Manche sind im Gefängnis.“

Ab und zu beschäftigt das Menschenrechtszentrum der Diözese auch indigene Reporterinnen, die aus abgelegenen Gemeinden berichten. Die Jurastudentin Ana Matzir arbeitet als freischaffende Videoproduzentin: „Ich bemühe mich, immer auch Mitglieder der verarmten Dorfgemeinden zu Wort kommen zu lassen und ihre Entwicklungsprozesse zu stärken. Manchmal geht es darum, Aufmerksamkeit für politische Gefangene zu schaffen. In letzter Zeit habe ich über den Widerstand einiger Gemeinden gegen Bergbauprojekte recherchiert.“

 

Auf solche kritischen Berichte über große Wirtschaftsprojekte wartet man in den Nachrichtensendungen der monopolisierten Fernsehkanäle Guatemalas vergeblich. Die meisten Redaktionen achten darauf, den Interessen der politisch und wirtschaftlich Mächtigen nicht zu schaden.

Für Reporterinnen wie Ana Matzir wird es besonders dann gefährlich, wenn solche Berichterstattung auf Umweltzerstörung aufmerksam macht und sich gegen die Interessen finanzstarker Unternehmen richtet. Gloria Gonzales weiß, dass sich junge Reporterinnen wie Angela Cuc und Ana Matzir oft in Gefahr bringen: „Sie begeben sich ins Auge des Hurrikans. Dort sind sie nicht nur deshalb besonders gefährdet, weil sie Frauen sind, sondern auch, weil sie einem Mayavolk angehören. Ihre Stimmen sind wichtig. Sie können viele andere Menschen informieren und mobilisieren. Deshalb bemühen wir uns, ihnen mehr Gehör zu verschaffen.“ 

Angela Cuc musste bereits mehrere Nächte in einer Zelle verbringen, bis ein Richter sie frei sprach - nicht aus Respekt für ihre journalistische Arbeit, sondern weil es keinerlei Beweise gab für den Vorwurf, sie sei Mitglied einer terroristischen Vereinigung. „Die Angst ist eine ständige Begleiterin dieser Arbeit. Auf den Schutz der Polizei können wir nicht zählen. Stattdessen misshandeln sie uns, auch wenn du dich als Journalistin ausweisen kannst.“

Kirche: Wichtige Rolle bei Verteidigung der Pressefreiheit

Eine der bekanntesten Stimmen der Mayabevölkerung Guatemalas ist die von Rosalina Tuyuc, eine Ikone der indigenen Bewegung Lateinamerikas. Ihr Mann und ihr Vater wurden während des guatemaltekischen Bürgerkriegs von der Armee ermordet. Daraufhin hat sie CONAVIGUA gegründet, die Vereinigung der Kriegswitwen Guatemalas. Später wurde sie zur Vizepräsidentin des guatemaltekischen Parlaments gewählt. Heute beobachtet sie mit Sorge, wie die Regierung und die großen Medienunternehmen immer mehr Räume alternativer Berichterstattung schließen: „Dadurch wird unser Justizsystem auf die Probe gestellt. Eigentlich sollen die Gerichte sicher stellen, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Das bezieht sich auch auf die Presse. Es ist nicht gut, wenn nur die Mächtigen die Möglichkeit haben, ihre Meinung öffentlich zu machen.“

Rosalina Tuyuc bestätigt, dass die katholische Kirche in den letzten Jahren eine wichtige Rolle in der Verteidigung der Pressefreiheit gespielt hat: „Es ist gut, dass die Bischöfe die Politik immer wieder dazu aufgefordert haben, die freie Meinungsäußerung zu respektieren. Es ist wichtig, dass die Menschen hören und sehen, dass die Kirche auf die Seite der Armen und Ausgebeuteten steht.“

Die erfahrene Aktivistin weiß, dass es für Angehörige der Mayabevölkerung immer gefährlicher wird, sich Gehör zu verschaffen. Umso mehr freut sich Rosalina Tuyuc, wenn sie von jungen, indigenen Frauen wie Ana Matzir um ein Interview gebeten wird: „Die Frauen der Mayas haben eine sehr wichtige Rolle übernommen. Sie begleiten die Kämpfe ihrer Völker und verteidigen das Recht auf freie Meinungsäußerung. Einige Reporterinnen werden kriminalisiert und bedroht. Doch trotz der Repression berichten sie weiter aus verschiedenen Regionen des Landes.“

Autor: Andreas Boueke

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