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Kolumbien |

"Rassismus ist in der kolumbianischen Gesellschaft tief verankert"

Der Regionalrat der neun indigenen Völker des Cauca (CRIC) hat sich mit dem nationalen Streik in Kolumbien solidarisiert. Die Indigenen schlossen sich den Protesten in Cali an und wurden von Polizei und Militär gezielt angegriffen. Im Interview mit Blickpunkt Lateinamerika erklären die CRIC-Repräsentanten Jhoe Sauca und Aida Quilcué, warum die Gewalt gegen Indigene zunimmt.

Jhoe Sauca (37) ist Koordinator für Menschenrechte und Land des Regionalrats der indigenen Völker des Cauca (CRIC) in Kolumbien. Foto: Knut Henkel

Jhoe Sauca (37) ist Koordinator für Menschenrechte und Land des Regionalrats der indigenen Völker des Cauca (CRIC) in Kolumbien. Foto: Knut Henkel

Etliche indigene Völker Kolumbiens haben sich mit dem nationalen Streik, der seit dem 28. April das Land in Atem hält, solidarisiert. Aus der Region Cauca, die an Cali grenzt, hat der Regionalrat der indigenen Völker des Cauca (CRIC) mobil gemacht. Warum?

Jhoe Sauca: Wir haben uns dem nationalen Protest, dem nationalen Streik, angeschlossen, weil wir alle Kräfte bündeln müssen, um uns gegen die Steuerreform, aber auch jene im Justizsektor, im Gesundheits- und Bildungssystem zu wehren. Wir plädieren für eine nationale Versammlung, um die Reformen zu stoppen. Wir haben an den Protesten in Cali mit der Guardia Indígena und etlichen Repräsentanten des CRIC teilgenommen und unterstützen die Proteste auch weiterhin.

In Cali wurde am Sonntag, 9. Mai, gezielt auf die Guardia Indígena und auf Repräsentanten des CRIC geschossen. Wie viele Verletzte gibt es und wer ist dafür verantwortlich?

Jhoe Sauca: Alle zwölf Verletzten sind auf dem Weg der Besserung, auch Danila Soto, die Jugend-Verantwortliche des CRIC; die von den Schützen, die in zivil gekleidet waren, schwer verletzt wurde. Bisher hat es laut unserem Informationsstand keine Ankündigungen der Staatsanwaltschaft gegeben, Untersuchungen einzuleiten. Das ist bedauerlich, aber es kommt immer wieder vor, dass Straftaten, die sich gegen Indigene richten, nicht untersucht und geahndet werden – das ist Teil der kolumbianischen Realität.

Das Ausmaß der Gewalt, dem sich die indigenen Repräsentanten gegenübersehen, ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Der Angriff in Cali ist kein Einzelfall.

Aida Quilcué: Der zentrale Grund dafür ist die Tatsache, dass wir es mit einer Regierung des Krieges und nicht des Friedens zu tun haben. Das wird derzeit sehr deutlich, denn soziale Proteste werden in Cali aber auch in anderen Städten direkt von Polizei-, aber auch Militäreinheiten angegriffen. Wir vom CRIC sind nach Cali gekommen, um der Ermordung von Jugendlichen bei den Protesten nicht tatenlos zuzusehen. Wir haben uns solidarisiert, um Einhalt zu gebieten. Allerdings sind wir in Cali auch vielfach angefeindet worden und haben die Stadt am 11. Mai wieder verlassen – halten aber den Kontakt. 

Jhoe Sauca: Wir beobachten eine Zunahme der politisch motivierten Gewalt in Kolumbien seit der Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen der Farc-Guerilla und Regierung im November 2016. Die Zahl der Attentate auf politische, soziale, Landrechts– oder Umweltaktivisten ist von Jahr zu Jahr gestiegen. Daran hat sich mit der Pandemie nichts geändert – das Gegenteil ist der Fall, die Zahl der Morde steigt. Neu ist seit rund einem Jahr der alarmierende Anstieg von Massakern. 

Indigene Aktivisten, Frauen wie Männer, sind überproportional stark vertreten unter den Opfern. Nicht nur, aber besonders im Cauca, wo rund 300.000 Menschen indigener Herkunft leben. Warum?

Aida Quilcué: Seit genau fünfzig Jahren gibt es den CRIC im Cauca, der dafür gesorgt hat, dass wir eine Stimme haben und die Autonomie der indigenen Völker heute eine Realität ist. Aber der Cauca hat auch strategische Bedeutung für rivalisierende kriminelle Gruppen.

Jhoe Sauca: Insgesamt sind seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens mit der Farc mehr als 900 Aktivistinnen und Aktivisten gezielt ermordet worden. Seit dem Amtsantritt von Iván Duque im August 2018 hat es einen markanten Anstieg dieser Morde gegeben und die Regierung zeigt wenig Engagement, das Friedensabkommen zu implementieren. Sie agiert nicht nur bei der Bekämpfung des Drogenanbaus anders als vereinbart. Das schafft zusätzliche Probleme, denn der Cauca ist eine Region, wo Drogen sowohl angebaut, als auch geschmuggelt werden. 

Kolumbien ist ein Land, wo die Bevölkerung in soziale Klassen eingeteilt wird. Trägt dieses Klassendenken zum Konflikt bei und welche Rolle spielt der institutionelle Rassismus?

Jhoe Sauca: Rassismus ist tief verankert in der kolumbianischen Gesellschaft und das Denken in sozialen Klassen trägt dazu bei. Die indigene Minderheit, je nach Quelle zwei bis vier Prozent der Bevölkerung, steht ganz am unteren Ende der Einkommenspyramide und Diskriminierung. Aber auch offener Rassismus ist Teil unserer Lebensrealität. Dazu passt zum Beispiel, dass uns sowohl der Bürgermeister von Cali als auch Präsident Iván Duque aufforderten, in unsere Territorien zurückzukehren – sie waren nicht einverstanden mit unserer Teilnahme an den sozialen Protesten. Das ist ein Akt der Diskriminierung.

Welche Rolle spielen die Medien? Ist die Realität der indigenen Völker Kolumbiens ein Thema?

Aida Quilcué: In den alternativen Medien ja und die gewinnen an Bedeutung. Doch in den kolumbianischen Massenmedien, ob Print, Radio oder Fernsehen, spielt unsere Realität nur eine untergeordnete Rolle. Für uns sind die internationalen Medien da oft wichtiger als die nationalen, auch wenn es zuletzt kleinere Erfolge gegeben hat. Grundsätzlich ist die Stigmatisierung indigenen Lebens ein Problem und dagegen wehren wir uns – auch mit eigenen Medien, die wir im Cauca bereits aufgebaut haben. 

Interview: Knut Henkel

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