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Haiti |

Progressiver Rückzug mit Fragezeichen

Nach einer Reihe von Skandalen und inmitten des zähen Wiederaufbauprozesses sollen die UN-Blauhelmsoldaten auf Haiti reduziert werden. Ein entsprechender Vorschlag werde dem UN-Sicherheitsrat unterbreitet, verkündete der Leiter der UN-Stabilisierungsmission (Minustah), Mariano Fernández, vergangene Woche in Montevideo. Dort hatten sich die an Minustah beteiligten Außen- und Verteidigungsminister der südamerikanischen Länder zu Beratungen hinter verschlossenen Türen getroffen. Die Reduzierung des Kontingents solle progressiv erfolgen, so der chilenische Chefdiplomat, weil das Land auf dem richtigen Weg zu politischer Stabilität sei.

Derzeit sind rund 12.000 Blauhelme auf Haiti stationiert; Brasiliens Außenminister Antonio Patriota hatte von einer Reduzierung auf 9000 gesprochen, was jedoch am Donnerstag nicht offiziell bestätigt wurde. Am 15. Oktober wird sich der UN-Sicherheitsrat damit befassen.

Immer wieder negative Schlagzeilen

Die Minustah hat seit ihrer Stationierung 2004 das krisengeschüttelte Land zwar stabilisiert und für Sicherheit gesorgt; sie war aber auch immer wieder in die Negativ-Schlagzeilen geraten. Die Bevölkerung kritisierte zunächst das zögerliche Vorgehen der Blauhelme gegen die grassierende Bandenkriminalität. Als dann ein Kontingent unter brasilianischer Leitung in den Slums des Hafenviertels einmarschierte und die Gangchefs dingfest machte, verurteilten Menschenrechtsorganisationen die „überzogene Gewalt“. Bei dem schweren Erdbeben im Januar 2010 stürzte das Hauptquartier der Minustah ein; viele ranghohe Diplomaten und der Missionschef kamen ums Leben. Tagelang war die Minustah damit beschäftigt, sich zu reorganisieren und die eigenen Leute zu retten.

Zehn Monate nach dem Beben schließlich schleppte ein nepalesisches Blauhelm-Kontingent unabhängigen medizinischen Gutachten zufolge die Cholera ein. Vorige Woche wurde ein Missbrauchsskandal durch uruguayische Blauhelmsoldaten bekannt. Hinzu kommt, dass sich der Wiederaufbauprozess zäh dahinschleppt wegen Kompetenzstreitigkeiten zwischen haitianischen Stellen und internationalen Akteuren. Bis heute ist es dem neuen Präsidenten Michel Martelly nicht gelungen, eine funktionierende Regierung auf die Beine zu stellen, geschweige denn einen kohärenten Wiederaufbauplan vorzulegen.

Spannungsgeladenes Miteinander

Spannungsgeladen ist auch das tägliche Miteinander der privilegierten UN-Mitarbeiter und der Bevölkerung im ärmsten Land der westlichen Hemisphäre. Während Haitis Oberschicht ihre Villen teuer an die Expats vermietet und edle Restaurant und Import-Supermärkte aufmacht, gelingt es den Erdbebenopfern nicht, bezahlbare Wohnungen zu finden. Noch eineinhalb Jahre nach dem Beben leben mehr als 600.000 Menschen in Zeltlagern. Prostitution und Bettelei ist weit verbreitet. „Die Soldaten sind nicht gut vorbereitet auf solche Missionen. Ihre Macht gegenüber der lokalen Bevölkerung ist so groß, dass dies leicht zu perversen Abhängigkeiten führen kann“, so der uruguayische Politologe Juilán González in einem Interview mit der BBC.

Angesichts dieser Schwierigkeiten wächst der Widerstand der an Minustah beteiligten Länder, weitere Mittel für die Mission bereitzustellen. Offenbar sollen jetzt die karibischen Nachbarn stärker in die Verantwortung genommen werden. Man wolle die Zusammenarbeit mit Kuba im Gesundheitsbereich und mit Venezuela im Energiebereich vertiefen, so der uruguayische Außenminister José Almagro.

Kritik an "exzessiver Präsenz"

Der Entscheidung vorausgegangen war Kritik haitianischer Politiker an der „exzessiven Präsenz“ der Minustah. Gerne wird in diesen Kreisen auf die eigene Souveränität gepocht. Doch im Falle des jüngsten Missbrauchsskandals in Port Salut gab es offenbar noch ganz andere Interessen als die Verteidigung eines misshandelten Mitbürgers. Die beschuldigten uruguayischen Blauhelme sind nach Angaben des heimischen Verteidigungsministers Eleuterio Fernandez Huidobro den im Hafen operierenden Schmugglerbanden ein Dorn im Auge. Dennoch entschuldigte sich Präsident José Mujica offiziell bei den Haitianern und kündigte Konsequenzen für die Beteiligten an.

Keine funktionierende Polizei

Wie und ob die Lücke der Blauhelme gefüllt werden soll, ist unklar, eine funktionierende haitianische Polizei gibt es trotz massiver Aufbauhilfe bislang noch nicht. Martelly, der von ehemaligen Mitarbeitern des Ex-Diktators Duvalier beraten wird, möchte stattdessen wieder eine eigene Armee aufbauen. Die war 1995 nach der US-Invasion zur Wiedereinsetzung des gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide abgeschafft worden. Unter Federführung der UN wurde damals eine zivile Nationalpolizei aufgebaut.

Nach anfänglichen Erfolgen und dem Abzug der UNO im Jahr 2000 geriet die Polizei aber bald ins Fahrwasser politischer Auseinandersetzungen und wurde von Aristide sabotiert. Das Land versank teilweise in Gewalt und Chaos, bis Aristide 2004 gestürzt wurde und die UNO in Form der Minustah zurückkehrte.

Sandra Weiss

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