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Panama: Im Darién riskieren tausende Migranten ihr Leben

"Wenn eines der undurchdringlichsten Dschungelgebiete der Welt die Menschen nicht mehr aufhält, ist klar, dass politische Grenzen sie auch nicht stoppen werden", sagt Dan Restrepo, ehemaliger US-Sicherheitsberater für Lateinamerika. Er ist davon überzeugt, dass das der Beginn einer historischen Wanderbewegung auf dem amerikanischen Kontinent Richtung USA ist. 

Motorbetriebener Einbaum im panamaischen Darién-Dschungel. Foto (Symbolbild): Darien Panama, Thierry Leclerc, CC BY-ND 4.0

Motorbetriebener Einbaum im panamaischen Darién-Dschungel. Foto (Symbolbild): Darien PanamaThierry LeclercCC BY-ND 4.0

Felipe Tévez ist vergleichsweise kurz unterwegs. Der kubanische Arzt hat die Hilfsmission seines Landes im Norden Ecuadors fluchtartig verlassen. Er nahm den Bus an die Grenze zu Kolumbien, überquerte diese dann illegal. In Ipiales stieg er zu einem Schleuser ins Auto. Dicht gedrängt mit Haitianern und Palästinensern ging es nach Norden, immer die kolumbianische Pazifikküste entlang. 1.400 Kilometer in 36 Stunden, 300 Dollar pro Passagier. Plus Bestechungsgelder für die Polizei. Dann war Tévez in Necoclí.

Darién-Urwald trennt Süd- von Zentralamerika

In der überbordenden, eigentlich idyllischen Küsten- und Touristenstadt an der Karibikküste wartet Tévez mit 20.000 Migranten und Migrantinnen aus aller Herren Länder auf den Sprung in den Darién, den unerbittlichen Dschungel zwischen Kolumbien und Panama, der Süd- von Zentralamerika trennt. Der Darién ist für die Hoffnungslosen zur letzten Hoffnung geworden. 
 
„Der Urwald ist böse“, weiß Tévez aus Erzählungen. Nicht umsonst heißt er „Tapón del Darién“, der Darién-Pfropf. Wer hier durchkommt, den kann nichts mehr schrecken auf dem weiteren 4.500 Kilometer langen Trip durch vier zentralamerikanische Länder und Mexiko bis an die Grenze zu den USA. „Wenn eines der undurchdringlichsten Dschungelgebiete der Welt die Menschen nicht mehr aufhält, ist klar, dass politische Grenzen sie auch nicht stoppen werden,“ sagt Dan Restrepo, früher Nationaler Sicherheitsberater für Lateinamerika unter US-Präsident Barack Obama.

Wilde Tiere, Krankheiten, Banditen

Auch der kubanische Arzt Tévez ist zu allem entschlossen. Er trägt ein schwarzes T-Shirt, einen festsitzenden Mundschutz und sieht fit aus. Er hat scharf kalkuliert und Proviant und Ausrüstung für zehn Tage besorgt. Vor allem Wasser, Stiefel, Machete, Nahrung. „Ich rechne mit maximal neun Tagen hartem Marsch, plus einem Reserve-Tag.“ Aber gerade er als Arzt weiß, dass die Gefahr, auf der anderen Seite aus dem Urwald nicht wieder rauszukommen, sehr groß ist. Krankheiten, wilde Tiere, Unglücke und Banditen erwarten die Menschen, die der lebensbedrohlichen Herausforderung oft in kurzen Hosen und Sandalen begegnen. Jeder fünfte Flüchtling hat ein Baby auf den Rücken geschnallt oder ein Kind an der Hand. Es ist wie russisches Roulette. In dem Urwald gibt es keine Wege und gilt kein Gesetz. Noch vor Jahren waren nur wenige Tausend Menschen so mutig oder so verzweifelt, dass sie den Trip wagten. 

Verzweiflung drängt die Menschen zur Flucht

Dass sich jetzt täglich mehr als tausend Migranten und Migrantinnen auf den Horrortrip begeben, liegt daran, dass für sie die Heimat keine Option mehr ist. Haitianer, Kubaner, Venezolaner, aber auch Afrikaner und Palästinenser sehen daheim angesichts autoritärer oder diktatorischer Regime, sozialer und wirtschaftlicher Katastrophen sowie den Unbilden der Natur keine Zukunft mehr. In Necoclí konkurrieren sie um die wenigen Schlafplätze und die noch spärlicheren Bootstickets für die Fahrt über den Golf von Urabá. 
 
Die Menschen kampieren zu Tausenden am Strand oder teilen sich ein völlig überteuertes Zimmer in Hotels und Herbergen. Sie warten zwischen 14 Tagen und einen Monat auf einen freien Platz im Schnellboot, mit dem es in 45 Minuten rüber auf die andere Seite der Meeresenge geht. In Capurganá oder Acandí im Departamento Chocó ganz nahe an der panamaischen Grenze gehen sie an Land. Danach kommt der Horror. 

Zahl der Migranten auf Rekordniveau

Im Urwald warten giftige Schlangen, Abgründe, Moskitoschwärme, Raubtiere und die Organisierte Kriminalität. Allein in diesem Jahr wurden im Darién rund 50 Leichen gefunden, aber die Internationale Organisation für Migration kalkuliert die Zahl der Todesopfer mindestens viermal höher. Migranten, die es geschafft oder den Trip angebrochen haben, berichten von toten Babys, in Abgründe gestürzte Erwachsenen und von vergewaltigten Mädchen.
 
Mindestens 70.000 Menschen haben dieses Jahr bereits den Weg durch den unerbittlichen Dschungel gewagt. Das sind drei Mal mehr als im bisherigen Rekordjahr Jahr 2016. Damals waren es 27.000. Migrationsexperten haben errechnet, dass 78 Prozent aller Flüchtlinge im Darién Kubaner oder Haitianer sind. Von den übrigen sind die meisten Venezolaner.
 
An der Grenze zwischen Kolumbien und Panama halten sich nach Erkenntnissen der panamaischen Behörden derzeit 20.000 bis 30.000 Migrantinnen und Migranten auf „Das ist der Beginn von etwas", fürchtet Panamas Außenministerin Erika Mouynes. Und der US-Politiker und heutige Analyst Restrepo ergänzt: „Es ist sehr gut möglich, dass wir vor einer historischen Wanderung auf dem amerikanischen Kontinent stehen, dessen Ziel die USA sind“. Es drohe ein Abgrund, fürchtet Restrepo. 

Drogenkartell verlangt Wegzoll

800 bis 1.000 Menschen können die Boote jeden Tag über den Golf von Urabá transportieren. Und sie tun es sehr zum Ärger der Panamaer auch. Die hatten sich eigentlich mit Kolumbien darauf geeinigt, dass nicht mehr als 500 Menschen jeden Tag den Trip durch den Urwald beginnen. Aber Kolumbiens Regierung ist schon lange nicht mehr Herr der Lage. Nur wenige Beamte lassen sich im und um den Darién sehen. Das Gebiet wird vom „Clan del Golfo“ kontrolliert, einer der größten und unerbittlichsten paramilitärischen Gruppe, die von den aufgelösten Linksrebellen FARC die Schmuggelrouten durch den Darién übernommen hat. Und für den Golf-Clan sind Migranten und Drogen das Gleiche: Eine Ware, die sie transportieren, kontrollieren und in gewisser Weise besteuern, indem sie ihnen Geld für die Passage abnehmen. 

Tausende Migranten in einem kleinen Fischerort

Jede Gruppe, die Necoclí verlässt, wird schnell durch weitere tausend oder mehr Migranten ersetzt, was dazu geführt hat, dass der Ort längst kollabiert ist. Die Kanalisation ist überlastet und die Abwässer ergießen sich auf die Straßen. In einigen Stadtteilen ist die Wasserversorgung zusammengebrochen. Auch der Tourismus ist zum Erliegen gekommen. Aber die Bootsgesellschaften, Hotels und Geschäfte verdienen an der Not der Migranten viel besser als an den Urlaubern. Die Kosten für alle Services und Dienstleistungen haben sich verdreifacht. Und auf den Märkten gibt es fast nur noch Waren für das Dschungelabenteuer: Stiefel, Macheten, Messer, Babytragen, Babygurte sowie Wasserkanister. 
 
Der kubanische Arzt Tévez will trotz aller Gefahren den Trip wagen. „Ich will in die USA, dort meinen Titel als Arzt anerkennen lassen und arbeiten. Nach Kuba geht es für mich als desertierten Arzt nicht zurück“. Lieber will er beim Versuch der Darién-Querung sterben als zurück nach Hause.

 

Adveniat hilft Menschen auf der Flucht
In der vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat unterstützten Herberge "Casa Mambré" in Mexiko-Stadt erhalten Menschen auf der Flucht nicht nur Nahrung und Kleidung, sondern auch medizinische und psychologische Hilfe. Helfen Sie mit einer Spende!

Autor: Klaus Ehringfeld, Kolumbien

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