Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Venezuela |

„Ohne Abkommen keine Lösung der Krise in Venezuela“

Im Interview betont der stellvertretende Vorsitzende der venezolanischen Bischofskonferenz, Bischof Raúl Biord Castillo von La Guaira, wie wichtig die Fortsetzung der Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition sei, um die politische Krise in Venezuela zu beenden. Die Kirche begleite die Verhandlungen als überparteiliche Institution und Hoffnungsgeberin.

Adveniat-Partner Bischof Raúl Biord von La Guaira, stellvertretender Vorsitzender der Venezolanischen Bischofskonferenz, bei seinem Besuch in der Adveniat-Geschäftsstelle in Essen. Foto: Stephan Neumann/Adveniat

Adveniat-Partner Bischof Raúl Biord von La Guaira, stellvertretender Vorsitzender der Venezolanischen Bischofskonferenz, bei seinem Besuch in der Adveniat-Geschäftsstelle in Essen. Foto: Stephan Neumann/Adveniat

Blickpunkt Lateinamerika: Mehr als zwei Drittel der Venezolaner leben in extremer Armut, so die → landesweite Erhebung zu den Lebensbedingungen (ENCOVI) der Katholischen Universität in Caracas. Das heißt, sie haben weniger als zwei Dollar zur Verfügung.

Raúl Biord: Diese statistischen Zahlen sind die Realität, der wir alltäglich in unserem direkten Umfeld auf der Straße begegnen. 70 Prozent der Menschen in Venezuela hungern. Und mehr als ein Drittel kann sich und seine Familie nur mit Gelegenheitsjobs von Tag zu Tag ohne jede finanzielle oder soziale Absicherung über Wasser halten. 

Wie ist Überleben in Venezuela überhaupt noch möglich?

Überleben können viele nur dank der kirchlichen Suppenküchen. Mit der Hilfe aus Deutschland und anderen europäischen Ländern können wir die vielen unterernährten Menschen mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgen. Und tatsächlich halten die Überweisungen von Familienangehörigen, die im Ausland leben, das Land am Laufen. Sieben Millionen Venezolaner leben inzwischen außerhalb Venezuelas.

Sie sprechen es an: Sieben Millionen Menschen haben das Land verlassen. Die Erdölproduktion sinkt seit Jahren, die Inflation galoppiert, die Menschen im Land hungern. Wieso kann sich Nicolás Maduro nach wie vor an der Macht halten?

Es ist eine Tatsache, dass er an der Macht ist, obwohl es einige wichtige Länder gibt, die seine Legitimität nicht anerkennen. Es wurden neue Verhandlungen mit der Opposition aufgenommen. In dieser existenziellen Notlage brauchen wir eine Einigung zwischen Regierung und Opposition. Auf diesem Weg zu einer umfassenden und friedlichen Lösung müssen die Wirtschaft, das Militär, die Zivilgesellschaft - kurz gesagt, alle gesellschaftlichen Gruppen - einbezogen werden.

In Mexiko finden ja gerade Gespräche zwischen Regierung und Opposition statt. Ein Grund zur Hoffnung?

Als Kirche drängen wir seit Jahren auf friedliche Verhandlungen. Ohne die Hilfe und Unterstützung der internationalen Gemeinschaft gibt es keine Lösung der Krise in Venezuela und keine Einigung unter den Konfliktparteien. Norwegen hat die Verhandlungen in Mexiko ermöglicht, Russland als befreundetes Land der Regierung und Holland als Unterstützerin der Opposition tragen dazu bei. Jede Verhandlung ist ein Licht der Hoffnung. Denn ohne eine grundlegende politische Lösung: kein Ende des Hungers, keine medizinische Versorgung und in diesen Zeiten der Pandemie keine flächendeckenden Impfungen gegen Covid. 

Welche Rolle spielt die Kirche bei den Verhandlungen? Es gab ja vor einigen Jahren sogar vatikanische Vermittlungsbemühungen.

Die Kirche ist weder auf nationaler noch auf vatikanischer Ebene an den Verhandlungen in Mexiko beteiligt. Denn sie ist keine Konfliktpartei. Sie steht auch nicht auf dieser oder jener Seite. Es braucht ein politisches Abkommen. Mit unserer Glaubwürdigkeit und Überparteilichkeit haben wir immer Verhandlungen angeregt und werden sie als unabhängige Akteurin und Hoffnungsgeberin begleiten. 

Gleichzeitig gelingt es der Kirche, in dieser verheerenden Situation den Menschen zu helfen. Wie ist das überhaupt möglich?

Die Pluspunkte der Kirche sind ihre Glaubwürdigkeit, ihre Präsenz und ihre Transparenz in ihren Projekten. Wir sind auf allen Seiten als glaubwürdig und selbstlose Brücke anerkannt. Die Kirche ist ein Ort, an der Regierung und Opposition zusammenkommen. Selbst im ärmsten Stadtteil oder dem entlegensten Dorf gibt es eine Ordensfrau, einen Priester oder einen Laienmitarbeiter, der sich um die Menschen vor Ort kümmert und die Hilfe weitergibt. Sie garantieren, dass die Solidarität, die die Kirche in Deutschland mit seinen Organisationen wie dem Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat effektiv, konkret und großzügig seit Jahren lebt, auch bei den Menschen, insbesondere den Armen ankommt.

Großen Hoffnung auf Veränderungen ruhten auf Juan Guaido, der sich im Januar 2019 zum Interimspräsidenten erklärte. Er sollte die charismatische Person sein, die die zerstrittene Opposition eint. Heute ist von ihm nichts mehr zu hören, aus seiner Partei ist er 2020 ausgetreten. Warum oder woran ist er gescheitert?

Regierung und Opposition sind gescheitert. Beide haben versagt, weil sie abgehoben und weit entfernt sind von der Bevölkerung. Das Volk erwartet weder von der Regierung noch von der Opposition Antworten auf seine Fragen und keine Lösung seiner Probleme. Keine politische Partei bietet Perspektiven oder gar eine Vision für ein künftiges Venezuela. Hinzu kommt: Der Überlebensmodus, in der sich die überwiegende Mehrheit der Menschen befindet, führt dazu, dass sich kaum jemand aufraffen kann, politisch aktiv zu werden.

In dieser Situation der Perspektivlosigkeit finden am 21. November finden nun Gouverneurs- und Kommunalwahlen statt…

Die Bedeutung dieser regionalen Wahlen liegt in der Hoffnung, dass vor Ort in den Städten und Gemeinden neue politische Kräfte entdeckt und gewählt werden. Neue Politiker, die nah bei den Menschen und ihren vielen Problemen sind. Denn die lassen sich nicht zentral, sondern nur lokal an der Peripherie lösen. Neue Bürgermeister und Gouverneure, die vor Ort im Kleinen die Probleme angehen, könnten dann mit Blick auf künftige Wahlen Hoffnungsträger auf nationaler Ebene werden – ob nun von der Opposition oder der Regierung.

Aber gibt es denn überhaupt eine Hoffnung faire Wahlen?

Natürlich gibt es daran berechtigte Zweifel. Aber das darf kein Grund sein, nicht anzutreten. Denn sich nicht zu beteiligen bedeutet, man hat schon verloren. Das haben wir bereits vor zwei Jahren deutlich kritisiert. Die Verhandlungen in Mexiko haben eine Agenda, die bis zu den Präsidentschaftswahlen in drei Jahren reicht. Auf diesem Wege sind Regionalwahlen jetzt eine Etappe, an der sich alle unbedingt beteiligen müssen.

An der Seite der Menschen in Venezuela
"70 Prozent der Venezolaner hungern. Die Gesundheitsversorgung ist zusammengebrochen. Deshalb helfen wir mit Lebensmitteln und Medikamenten", sagt Adveniat-Hauptgeschäftsführer Pater Martin Maier. Helfen Sie mit einer Spende!

Interview: Stephan Neumann, Adveniat

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