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Nicaraguas Daniel Ortega: Vom Revolutionär zum Autokraten    

Nicaragua erlebt ein historisches Paradox: Einst kämpfte Daniel Ortega gegen die brutale Somoza-Diktatur und für Demokratie. Nun agiert der ehemalige Revolutionär zunehmend autoritär. Auch Weggefährten wenden sich ab.

Wahlwerbung für Daniel Ortega. Foto: Daniel Ortega, Rosa_Poser, CC BY 4.0​​​​​​​, Zuschnitt

Wahlwerbung für Daniel Ortega. Foto: Daniel Ortega, Rosa_Poser, CC BY 4.0, Zuschnitt

Die Zeichen verdichten sich, dass Nicaraguas Präsident Daniel Ortega eine faire Wahl im November verhindern will. Offenbar nutzt der Präsident seine Macht, um per Gesetz und mit Gewalt jeglichen Widerstand zu unterdrücken und die Presse zum Schweigen zu bringen. Seit Anfang Juni wurden vier Präsidentschaftskandidaten, mehrere weitere Oppositionelle und zwei ehemalige Weggefährten von Ortega verhaftet. Allein am vorigen Wochenende wurden fünf politische Gegner festgenommen.

Einer von ihnen, Hugo Torres, hatte 1974 sein Leben riskiert, um Daniel Ortega aus dem Gefängnis zu befreien. Nun hatte er Ortega in einem Video vorgeworfen, er wolle "eine neue Diktatur" errichten. Vergangenen Sonntag wurde Torres wegen angeblichem "Verrat am Vaterland" verhaftet.

"Daniel Ortega repräsentiert ein autoritäres Projekt innerhalb dessen, was man als linkes Spektrum Nicaraguas erachten könnte", sagt die Soziologin Elvira Cuadra aus Nicaragua, die im Exil in Costa Rica lebt. "In den 80er Jahren ist das in den innerpolitischen Querelen untergegangen. Aber seit 2006 wird sein Hang zum Autoritarismus immer deutlicher."

Die Spaltung der Linken in Nicaragua

Parallel zum bewaffneten Kampf der Sandinisten formierte sich unter Nicaraguas Intellektuellen und Künstlern eine von der Befreiungstheologie inspirierte Bewegung, der unter anderem die Schriftsteller Ernesto Cardenal, Claribel Alegría, Gioconda Belli und Sergio Ramírez angehörten. Die "Gruppe der Zwölf" wurde zu einem Leuchtturm der Freiheit, Demokratie und Solidarität in Lateinamerika entwickelte, das damals fast überall von diktatorischen Systemen beherrscht wurde.

Auch nach dem Sturz des diktatorischen Regimes von Anastasio Somoza Debayle 1979 standen ihre Mitglieder Ortegas FLSN nahe, Sergio Ramírez wurde Anfang der 80er Jahre sein Vizepräsident. Dann aber wuchsen die Meinungsverschiedenheiten und Ramírez gründete 1995 den "Movimiento Renovador Sandinista" (MRS). Im Januar 2021 benannte sich die Partei in Unión Democrática Renovadora (UNAMOS). Mit der Umbenennung, heißt es, wolle man sich noch deutlicher von Ortega abgrenzen und Kooperationen mit Parteien ermöglichen, die alles "Sandinistische" ablehnen. Die fünf Verhafteten vom Wochenende, darunter Torres, sind allesamt hochrangige UNAMOS-Mitglieder.

Gier nach Macht und Reichtum

"Die Tyrannen entwickeln eine regelrechte Krankheit über die Dauer ihrer Macht", kommentiert Enrique Sáenz, ehemaliger Präsident und Abgeordneter des MRS, auf Anfrage der DW aus seinem Exil in Costa Rica, "und Ortega misst seiner politischen Rolle mittlerweile etwas Messianisches bei." Er sei aber nicht nur ein Diktator, er unterhalte er mafiöse Strukturen, um sich zu bereichern, klagt Sáenz den Präsidenten seines Heimatlandes an: "Seine Sehnsucht danach, etwa zu verändern, ist der Gier nach Reichtümern gewichen. Und heute ist er eine der reichsten Menschen Nicaraguas, wenn nicht der reichste."

Wie tiefgreifend Ortega die öffentlichen Institutionen unter Kontrolle hat, habe sich während der sozialen Unruhen 2018 gezeigt, sagt Soziologin Cuadra: "Ortega aktivierte einen Repressionsapparat, den er seit 2007 aufgebaut hatte." Dazu gehörten das Militär, die Polizei, die Justiz und paramilitärische Gruppen, die das Volk systematisch überwachen und unterdrücken.

Selbstsucht statt Solidarität

Nach den diversen Abspaltungen und Austritten seit 1990, sagt Cuadra, sei von der Sandinistischen Befreiungsfront nur noch eine Art Familienclan übrig, der sich vor allem für Macht und Geld interessiert: Sie benutzen alle Ressourcen des Staates, um die politische und wirtschaftliche Dynastie aufrechtzuerhalten."

"Der Wandel von Ortegas Handlungen und Haltungen resultiert daraus, dass das gemeinsame ideologische Konzept einer puren Selbstsucht gewichen ist", sagt Günther Maihold, Lateinamerikaexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die einstige Utopie von Solidarität sei zu einem revolutionären Symbolismus verkommen, einem verbalen Anti-Imperialismus, der dem Schulterschluss mit Venezuela diene.

Genau dieser Allianz misst auch Enrique Sáenz eine zentrale Bedeutung bei. Ortegas Macht lasse sich kaum verstehen, ohne den Hebel zu kennen, den ihm zuerst Chávez und nun Maduro mit ihren Öllieferungen gegeben haben.

Druck von innen und außen

Nach den Verhaftungen am Wochenende haben die USA ihre Sanktionen gegen Daniel Ortega und weitere Mitglieder des Regimes verschärft. Auch die Europäische sanktioniert seit Oktober 2019 sechs Regierungsmitglieder. Die Nicaraguanerin Cuadra meint, die internationale Gemeinschaft müsse alle möglichen diplomatischen Mittel ausschöpfen, um Ortega dazu zu bewegen, den Rechtsstaat wiederherzustellen und faire und transparente Wahlen zuzulassen.

An diesem Dienstag haben sich die Mitglieder der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) auf eine Resolution geeinigt, mit der sie das Vorgehen der Regierung in Nicaragua verurteilen. "Selbst eine Suspendierung durch die OAS wird die Situation der inhaftierten und verfolgten Oppositionellen in Nicaragua nicht verändern", meint SWP-Experte Maihold. "USA und EU könnten eine gemeinsame Strategie anstreben, aber die USA wollen keinen weiteren Migrationsschub in Mittelamerika auslösen."

Ex-Politiker Sáenz meint, dass es an der Opposition sei, ihre Differenzen zu überwinden, um gemeinsam Druck auf Ortega auszuüben und die Nicaraguaner zu einen. Nur so lasse sich die Diktatur überwinden.

Quelle: Deutsche Welle
Aus dem Spanischen adaptiert von Jan D. Walter.

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