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Nicaragua: "Gesetz soll Journalisten einschüchtern" (Interview)

Carlos Fernando Chamorro ist einer der bekanntesten Journalisten und Regimekritiker Nicaraguas. Im Interview spricht er über Einschüchterung von Journalisten, in einem Land, in dem es für die Bürger immer schwieriger wird, an verlässliche Informationen zu kommen. 

Nicaragua, Journalist, Pressefreiheit, Polizei

Der nicaraguanische Journalist Carlos Fernando Chamorro klagt an, dass die Redaktion seiner Zeitung "Confidencial" bereits seit zwei Jahren von der Polizei besetzt ist. Foto: Confidencial

Carlos Fernando Chamorro (63) ist der Sohn von Pedro Joaquín Chamorro und Ex-Präsidentin Violeta Chamorro und entstammt einer Journalistenfamilie, die die Tageszeitung La Prensa herausgab. Heute leitet Carlos Fernando Chamorro die kritische, investigative Wochenzeitung „Confidencial“ und ist das Gesicht von „Esta Noche“ (diese Nacht) einer Analyse- und Talkrunde auf dem Fernsehkanal 12. Anfang 2019 ging er für mehrere Monate ins Exil – seit November 2019 ist er zurück und berichtet er wieder über die Situation in Nicaragua und das autokratisch regierende Präsidentenpaar: Daniel Ortega und Rosario Murillo.

Blickpunkt Lateinamerika: In Nicaragua hat das Parlament am 27. Oktober ein Gesetz gegen Internetkriminalität verabschiedet. Was ist die Intention dahinter?

Carlos Fernando Chamorro: Eigentlich ist das eine Frage, die besser die Autoren des Gesetzes, sowie die Parlamentarier beantworten sollten, aber ich will es versuchen. In Nicaragua lebt die Bevölkerung seit über zwei Jahren in einer Situation der Unterdrückung, de facto der Aufhebung ihrer Grundrechte. Dieses Gesetz hat aus meiner Perspektive die Aufgabe, die Zensur zu institutionalisieren, obwohl es auf den ersten Blick das Motiv verfolgt, die Freiheit im Internet zu sichern und die neuen Informationstechnologien zu regulieren. Allerdings werden neue Straftatbestände in dem Gesetz definiert: das In-Umlauf-bringen von Falschinformationen. Das wird mit Freiheitsstrafen von ein bis fünf Jahren geahndet. 

In einem demokratischen Rechtsstaat ist das In-Umlauf-bringen von Informationen kein Delikt und bei der Diskussion der Gesetzesvorlage im Parlament unter den Abgeordneten wurde sehr deutlich, worum es geht: Etliche Abgeordnete bezogen sich dabei explizit auf die Kritik an der Regierung. Es wurde deutlich, dass dieses Gesetz zum Instrument werden soll, um Journalistinnen und Journalisten sowie aktive Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler zu bedrohen – mit Gefängnis. Auf den ersten Blick ist die Intention, einzuschüchtern, Selbstzensur zu provozieren und Angst zu verbreiten.

Kann dieses Kalkül aufgehen?
 
Ich denke nicht, denn das Gesetz kommt fast drei Jahre nach den ersten Protesten und die Menschen in Nicaragua haben sich an diese Art von Angriffen gewöhnt, sie widerstehen. 

Ist dieses Gesetz mit der Verfassung zu vereinbaren?

Nein, denn in der Verfassung ist das Recht auf Information und das Recht der freien Meinungsäußerung enthalten. Zudem gibt es einen Artikel, der die Vor-Zensur verbietet. Der passt zwar nicht exakt auf dieses Gesetz, aber das Gesetz enthält einen Zensurmechanismus. In dem Moment, in dem die Regierung Informationen und Meldungen, die aus ihrer Perspektive nicht richtig sind, als Falschmeldung und damit als Delikt einstuft, übt sie Zensur. Darüber hinaus verletzt sie das Grundrecht der Informationsfreiheit – das ist seit langem Alltag in Nicaragua und wird nun gesetzlich fixiert.  

Wie hat sich der journalistische Alltag in den letzten drei Jahren in Nicaragua verändert? Wie war es vor dem Frühjahr 2018 und wie ist es heute?

In diesen knapp drei Jahren sind die nicaraguanischen Behörden nahezu mit allen Mitteln gegen die kritische, unabhängige Presse vorgegangen. Der Mord an Ángel Gahona (wurde am 21. April 2018 während der Berichterstattung in Bluefields erschossen) ist ein Beispiel, gezielte Angriffe und Überfälle inklusive Raub von journalistischem Material ein anderes sowie die Zensur von Fernseh- wie Radiobeiträgen ein drittes. Allerdings sind die Behörden auch indirekt gegen Medienunternehmen vorgegangen, haben den Import von Papierrollen für die Zeitungen behindert, Medienunternehmen mit Geldstrafen belegt, aber auch Redaktionen wie „El Confidencial“ und „100% Noticias“ besetzt. Unsere Redaktion wird am 1. Dezember zwei Jahre von der Polizei illegal besetzt sein.

Um Berichterstattung zu unterbinden?

Ja, aber es wird auch direkt gegen Journalisten vorgegangen, sie werden kriminalisiert. Das Beispiel von Miguel Mora, Direktor von 100% Noticias (einem Nachrichtensender), und Lucía Pineda, die mehr als sechs Monate inhaftiert, isoliert und gefoltert wurden, ist dafür ein  gravierendes Beispiel. Sie wurden wegen Provokation und Schüren von Hass inhaftiert, mehr als ein halbes Jahr "lebendig begraben" und schließlich im Rahmen einer Amnestie freigelassen. Allerdings gibt es auch andere Mechanismen, um Journalisten einzuschüchtern: Polizeikontrollen, die Präsenz von paramilitärischen Schlägern vor ihren Häusern – die Angst ging und geht um. Mehr als 70 Berichterstatter verließen 2019 das Land, weil sie sich in Nicaragua nicht sicher fühlten. 

Sie sind einer davon, gingen Anfang 2019 nach Costa Rica und kamen am 25. November 2019 zurück. 

Trotz der Entscheidung ins Exil zu gehen, haben wir, wie auch etliche andere Redaktionen, weitergemacht – der kritische Journalismus in Nicaragua ist nie verstummt. Das ist positiv. Auf den Internet-Portalen der Redaktionen wurde und wird weiter berichtet, auch auf den Kabelkanälen. Allerdings werden wir und andere Redaktionen auf den frei zugänglichen Kanälen blockiert und zensiert. Unser Radius ist somit eingeschränkt, deshalb nutzen wir verstärkt unseren YouTube-Kanal.

Hat der Druck auf die Medien mit der Pandemie zugenommen?

Ja, dafür ist das neue Gesetz gegen Internetkriminalität das beste Beispiel. In den acht Monaten seit Ausbruch der Pandemie hat sich der Zugang zu Informationen weiter verschlechtert. Die unabhängigen Medien haben sich bemüht, all das aufzudecken, was die Regierung über die Pandemie in Nicaragua verschleiert. Laut offiziellen Informationen hat die Regierung bis Ende Oktober 156 Opfer von Covid-19 registriert. Wir haben allerdings basierend auf offiziellen Zahlen, Analysen von Epidemiologen und Virologen herausgefunden, dass rund 7.000 Menschen in Nicaragua an Covid-19 gestorben sein könnten. Mehr als vierzigmal so viele Corona-Tote als die offizielle Statistik ausweist. 

Interview: Knut Henkel

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