Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Nicaragua |

Nicaragua: Anstehen über Nacht für die Corona-Impfung

Lange waren in Nicaragua Corona-Impfstoffe nur spärlich vorhanden. Spenden über die Covax-Initiative eröffnen nun allen Nicaraguanern über 30 Jahren die Möglichkeit, sich impfen zu lassen. Doch die Einladung zur Impfung führte zu Anstürmen auf die Impfstationen, mit denen die Behörden wohl nicht gerechnet hatten. 

Warten auf die Corona-Impfung: In Ländern, deren Gesundheitswesen eine mangelhafte Infrastruktur aufweist, sind Wege und Wartezeiten lang. Foto (Symbolbild aus El Salvador): Impfzentrum in Zaragoza, US-Botschaft San Salvador, CCO1.0

Warten auf die Corona-Impfung: In Ländern, deren Gesundheitswesen eine mangelhafte Infrastruktur aufweist, sind Wege und Wartezeiten lang. Foto (Symbolbild aus El Salvador): Impfzentrum in Zaragoza, US-Botschaft San Salvador, CCO1.0

Während in vielen Teilen der Welt die Corona-Impfkampagnen im Laufe des Jahres stetig voranschritten, gab es für die meisten Nicaraguaner erst einmal nur eine Sache zu tun: zusehen. Zusehen, wie andere Länder Erfolgsmeldungen zum Impfen verlauten ließen, aber im Land selbst Stand Ende September nur rund vier Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft waren. Die Bekämpfung der Pandemie scheint auf der Prioritätenliste der sozialistischen Regierung von Präsident Daniel Ortega relativ weit unten zu rangieren; anders ist es nicht zu erklären, dass Großveranstaltungen gutgeheißen werden und gesetzliche Corona-Maßnahmen auf sich warten lassen. 

Massiver Ansturm auf Impfzentren 

Die Impfstoff-Spenden über die Covax-Initiative, die das Land Mitte September erstmals in größeren Mengen erreichten, waren da nach vielen Hiobsbotschaften eine gute Nachricht. Alle Einwohner über 30 Jahren wurden eingeladen, sich impfen zu lassen. Doch die Furcht, dass die Dosen nicht reichen würden, führte zu einem massiven Ansturm auf die 16 Impfstationen – dies war von den Behörden wohl nicht einkalkuliert. Schon einen Tag vor dem Impfstart für über 30-Jährige am 20. September bildeten sich vor den Toren der Gesundheitszentren lange Schlangen, in denen Impfwillige bis zu 20 Stunden ausharrten. Dies berichteten Augenzeugen und Medien beispielsweise aus Masaya, Granada und Carazo. Experten befürchten eine weitere Übertragung des Virus im Zuge dieser Ansammlungen ohne Abstandsgebot.  

 „Die Impfstation öffnete an einem Montag“, erzählt die 41-jährige Linda* aus Jinotepe, „mein Vater stellte sich für meinen Bruder und mich ab Sonntagmittag in die Schlange vor dem Hospital Regional. Mein Bruder kam etwa um 18 Uhr an, ich wollte nicht über Nacht anstehen. Die Impfstation öffnete um vier Uhr morgens. Nach etwa 19 Stunden kam er dran. Drinnen soll es sehr geordnet und organisiert gewesen sein“. Sie selbst reihte sich um fünf Uhr morgens zu den Wartenden. Wohl zu spät, denn es warteten schon etwa 1.500 Menschen. Der Impfstoff ging aus, bevor sie zum Eingang vorgerückt war. „Ich fuhr dann nach Managua zum Krankenhaus Manolo Morales. Aber die Schlangen vor dem Eingang sahen endlos aus, es hatte keinen Zweck. Manche verkauften für 500 Córdobas ihren Platz.“ Auch die 33-jährige Indira* aus Jinotepe fürchtete, dass der Impfstoff ausgehen würde, und stellte sich lieber schon um 18 Uhr in die Schlange vor dem Krankenhaus. Ihre erste Dosis AstraZeneca bekam sie um halb sechs Uhr morgens. 

Epidemiologe bemängelt fehlende Strategie

„Leider ist das Impfen für die Bevölkerung ein zusätzlicher Stressfaktor“, erklärte der nicaraguanische Epidemiologe Dr. Leonel Argüello im Interview mit der Wochenzeitung Confidencial. „Es gibt nicht nur keine Priorisierung beim Impfen, ich sehe auch keinen Plan oder keine Strategie“. Laut Argüello, der in den 1980er Jahren die nicaraguanische Gesundheitsbehörde Minsa leitete, gäbe es in Nicaragua 1.700 Gesundheitszentren, in denen sich Impfungen dezentral organisieren ließen. Zudem wäre es möglich, in großen Stadien auf offener Fläche zusätzliche Impfkampagnen durchzuführen. „Wir haben die Kapazitäten, um viele Menschen auf einmal zu impfen, jeden Tag mindestens 155.000 Menschen“, so Dr. Argüello. Die 16 Impfstationen im Land seien nicht ausreichend. 

„Die Priorität sollte zunächst das Gesundheitspersonal haben. Aber das ist nicht der Fall“, erklärte Dr. Argüello. In Nicaragua bestehe für Personal im Gesundheitssektor ein sehr hohes Risiko, an Covid-19 zu sterben. Die Gefahr sei, dass infiziertes Personal das Virus an Patienten übertrage. „Es reicht nicht aus, die Impfungen vereinzelt zu streuen, wenn die Menschen mit dem höchsten Risiko, an Corona zu sterben, nicht vollständig geimpft sind. Die Impfung hilft dann dem einzelnen, aber nicht der ganzen Bevölkerung“, so Dr. Argüello. „Wie soll die Pandemie bekämpft werden, wenn nicht mal die zwei wichtigsten Maßnahmen, das Abstandsgebot und das Tragen von Masken, eingehalten werden? Die Gesundheitszentren selbst werden dann zur Ansteckungsquelle“, so Dr. Argüello. 

Kubanische Impfstoffe für Kinder ab zwei Jahren 

Für gespaltene Gefühle in der Bevölkerung sorgte auch die Ankündigung der Regierung, ab Mitte Oktober die kubanischen Impfstoffe Soberana 02, Soberana Plus und Abdala für Kinder und Jugendliche zwischen zwei und 17 Jahren freizugeben. Dafür erwartet die Regierung sieben Millionen Dosen aus Kuba. Die Impfstoffe haben keine Notfallzulassung der WHO und werden in Kuba seit Sommer dieses Jahres eingesetzt. Auch Länder wie Venezuela, Iran oder Vietnam impfen bereits mit ihnen. 

* Namen von der Redaktion geändert.

 

Corona-Nothilfe für Lateinamerika
Das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat hat seinen Partnern vor Ort 8,2 Millionen Euro für 489 Projekte zur Bekämpfung der Corona-Pandemie und deren Folgen zur Verfügung gestellt, zum Beispiel für eine Sauerstoff-Abfüllanlage in einem Armenviertel von Lima. Jede Spende hilft!

Text: Sina Oberländer, Quellen: Confidencial, La Voz América, Deutsche Welle, Zeugenberichte

Weitere Nachrichten zu: Soziales

Cookie Einstellungen

Erforderliche Cookies sind für den reibungslosen Betrieb der Website zuständig, indem sie Kernfunktionalitäten ermöglichen, ohne die unsere Website nicht richtig funktioniert. Diese Cookies können nur über Ihre Browser-Einstellungen deaktiviert werden.

Anbieter:

Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.

Datenschutz

Marketing-Cookies werden verwendet, um Besuchern auf Webseiten zu folgen. Die Absicht ist, Anzeigen zu zeigen, die relevant und ansprechend für den einzelnen Benutzer sind und daher wertvoller für Publisher und werbetreibende Drittparteien sind.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz

Statistik-Cookies dienen der Analyse und helfen uns dabei zu verstehen, wie Besucher mit unserer Website interagieren, indem Informationen anonymisiert gesammelt werden. Auf Basis dieser Informationen können wir unsere Website für Sie weiter verbessern und optimieren.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz