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Venezuela |

"Mit dieser Repression ist kein Dialog möglich"

Diego Padrón, Vorsitzender der Bischofskonferenz in Venezuela. Foto: Sandra Weiss
Diego Padrón, Vorsitzender der Bischofskonferenz in Venezuela. Foto: Sandra Weiss

Wie schätzen Sie die Lage momentan im Land ein?

Diego Padrón: Wir sind alle entmutigt angesichts der vielen Entbehrungen. Es fehlt an Essen, an Medikamenten, an Sicherheit und an einer Perspektive für einen Ausweg. Die einzige Antwort der Regierung besteht in einer verfassungsgebenden Versammlung, die keines der genannten Probleme lösen wird.

Und welches Echo erhalten Sie von der Bevölkerung?

Diego Padrón: Die Bevölkerung spürt die Dekadenz einer Regierung, die nicht regiert, die weniger Geld hat und weder genügend Güter importiert noch produziert. Jeden Tag wird die Freiheit ein Stückchen mehr beschritten, und das betrifft inzwischen auch Internet, das nicht mehr zuverlässig funktioniert. Das Land ist im freien Fall.

Die Kirche hat über die Caritas humanitäre Hilfe angeboten. Was hat die Regierung dazu gesagt?

Diego Padrón: Sie hatte zwei Einwände. Das verletze die Würde des Volkes, und es suggeriere, die Regierung tue nichts. Sie nehmen das Volk als Vorwand und sind besorgt um ihr Image, aber das ist längst von der Realität eingeholt worden. Hier sterben Menschen, weil Medikamente fehlen. Es gibt Unterernährung. Laut einer Studie von Caritas sind elf Prozent aller Kinder unternährt. Die Regierung kümmert sich erst um die Kinder ab fünf Jahren. Aber gerade in den ersten Lebensjahren hinterlässt Unterernährung einen nicht wieder gut zu machenden Schaden.

Diese Regierung hat sich die Verteidigung Armen auf die Fahnen geschrieben. Ist das alles Makulatur?

Diego Padrón: Es ist nichts dagegen zu sagen, die Armen zu verteidigen. Aber leider ist das reine Theorie, denn die Armen sind heute ärmer als früher. Sie haben weder Medikamente noch Essen und müssen sich in stundenlangen Warteschlangen erniedrigen, um einen Laib Brot zu kaufen. Es gibt keine Garantien für Leib und Leben oder das Recht auf Gesundheit und Unversehrtheit. Die Kriminalität ist explodiert.

Der Vatikan hat an dem gescheiterten Dialog zwischen Regierung und Opposition Ende vorigen Jahres teilgenommen. Sehen Sie eine Möglichkeit für einen neuen Anlauf?

Diego Padrón: Wir haben beide Seiten an einen Tisch gebracht. Dabei wurden vier Punkte vereinbart. Die Freilassung der politischen Gefangenen, der Respekt der Institutionen, humanitäre Hilfe und ein Wahlkalender. Nichts davon hat die Regierung erfüllt. Die Gouverneurswahlen wurden um ein Jahr verschoben, und es ist nicht klar, ob sie überhaupt im Dezember stattfinden, denn vorher soll die verfassungsgebende Versammlung ein neues Grundgesetz ausarbeiten, das auf designierten Volksräten basiert, die Wahlen überflüssig machen würden.

Sie halten also nichts von der verfassungsgebenden Versammlung?

Diego Padrón: Nein, und zwar aus zwei Gründen. Sie ist überflüssig, weil die Regierung selbst seit 18 Jahren behauptet, wir hätten die beste Verfassung der Welt. Und theoretisch ist diese Verfassung auch gut, aber sie wird nicht in die Praxis umgesetzt. Das wäre aus unserer Sicht das Wichtigste. Und wenn sie etwas hinzufügen wollen, dann gibt es den Weg der Verfassungsänderung per parlamentarischer Debatte. Zweitens sind wir dagegen, weil das für das Volk überhaupt keine Priorität hat.

Sehen Sie Chancen für neue Gespräche?

Diego Padrón: Früher oder später müssen beide Seiten miteinander verhandeln. Aber im Moment sehe ich dafür keine Voraussetzungen.

Warum nicht?

Diego Padrón: Mit diesem Niveau von Repression ist kein Dialog möglich. Die brutale Niederschlagung der Proteste hat in zwei Monaten fast 60 Menschenleben gekostet, das ist enorm, und es ist kein Ende in Sicht, denn die Regierung importiert noch mehr Waffen.

Wie steht die Kirche zu den Demonstrationen, die von der Regierung als Vandalismus verurteilt werden?

Diego Padrón: Der Protest ist ein in der Verfassung verbrieftes Recht der Bürger und muss respektiert werden.

Wie sind Ihre derzeitigen Beziehungen zur Regierung?

Diego Padrón: Eingefroren. Vorige Woche kam eine Regierungsdelegation und hat uns ihren Vorschlag zur verfassungsgebenden Versammlung präsentiert und wollte ihn mit uns diskutieren. Wir entgegneten höflich, dass wir nicht über ein Projekt diskutieren wollen, das wir für überflüssig halten, sondern über die Notlage der Bevölkerung.

Und wie war die Antwort der Delegation?

Diego Padrón: Sie hatte keine.

Befürchten Sie eine Eskalation der Gewalt?

Diego Padrón: Ja, diese Befürchtung haben wir. Und die Repression kommt von der Regierung, die die tödlichen Waffen hat.

Welche Lösung für diesen Konflikt sehen Sie?

Diego Padrón: Es gibt zwei Szenarien. Zum einen, dass die Opposition und die Regierung einsehen, dass die Lösung in den Händen beider liegt und sie zusammen den Weg einer Lösung beschreiten müssen. Zum anderen, dass die Regierung ihren Kommunalstaat nach kubanischem Modell durchsetzt und damit die Demokratie beerdigt.

Was sagt der Militärbischof über die Stimmung innerhalb der Streitkräfte?

Diego Padrón: Innerhalb der Streitkräfte gibt es fünf getrennte Kommandostrukturen, die sich untereinander nicht grün sind und noch weniger aufeinander abgestimmt agieren.

Hat Kuba den Schlüssel zur Lösung des Problems in der Hand?

Diego Padrón: Die Problematik hier ist von Kuba beeinflusst, aber die Lösung haben wir Venezolaner in der Hand, dafür braucht es keine kubanische Intervention.

Ist die Opposition bereit, eine schwierige Transition anzuführen?

Diego Padrón: Die Opposition sollte sich dem Volk annähern. Die Anführer sind in den letzten Wochen etwas näher an die Realität gerückt, haben sich an die Spitze der Proteste gestellt und sind selbst Opfer der Repression und Einschüchterungen geworden. Aber das reicht noch nicht. Zum anderen müssen sie die Logik der Wahlen hinter sich lassen und dem Land ein strukturiertes Zukunftsprojekt vorlegen.

Wird eine Aussöhnung und der Wiederaufbau nicht schwierig werden?

Diego Padrón: Nein. Unsere Bevölkerung ist nicht nachtragend und sehr offen für Aussöhnung. Wir sind sehr solidarisch. Dann hat dieses Land enorme Reichtümer. Und drittens lehrt uns unsere Geschichte, dass wir dann erfolgreich sind, wenn wir unseren Verstand einsetzen. Im Ausland sind Venezolaner sehr erfolgreich. Warum sollte das nicht auch zuhause funktionieren?

Welche Lehren zieht Venezuela aus dieser Krise?

Diego Padrón: Dass enorme Energien in uns stecken, die uns ermöglichen, immer wieder aufzustehen. Und dass Werte wie Aufrichtigkeit und Arbeit nicht verloren gingen. Wir haben sehr viel gelernt.

Das Interview führte Sandra Weiss.

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