Menschenrechtskommission untersucht Gewalt in Kolumbien
Herrscht in Kolumbien Polizeigewalt oder "urbaner Terrorismus"? Diese Frage sollen nun externe Prüfer mit Blick auf die Sozialproteste klären. Eine hochbrisante Situation, die von UN und Kirche scharf beobachtet wird.

Massenproteste in Cali, Kolumbien, im Mai 2021. Foto: Adveniat/Antonia Schaefer
Mit großer Spannung blickt Kolumbien auf die am Dienstag begonnene dreitägige Mission der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH). Sie soll Vorwürfe von massiver Polizeigewalt einerseits und gewalttätigen Ausschreitungen andererseits im Zuge der seit 28. April andauernden Sozialproteste untersuchen.
Menschenrechtskommission untersucht Vorwürfe
Schon seit Sonntag befindet sich die CIDH-Kommission im Land; sie traf sich mit Vertretern der Regierung, um deren Sichtweise und Dokumentationen kennenzulernen. Die Regierung des rechtsgerichteten Präsidenten Ivan Duque spricht von "urbanem Terrorismus"; Straßenblockaden hätten landesweit die Bevölkerung von Lebensmittel- und medizinischer Versorgung abgeschnitten. Opfer dieser Blockaden wollen ebenfalls mit dem CIDH sprechen.
Deutlich schwerer wiegen die Vorwürfe der Regierungsgegner. Bewaffnete Zivilisten, die unter dem Schutz der Polizei auf Demonstranten schießen, sowie brutale Polizeieinsätze sind auf Videos dokumentiert. Zudem haben verschiedene Menschenrechtsorganisationen dazu aufgerufen, vorliegende Beweise einzureichen, auch anonym. Die Zahl der Toten variiert zwischen 20 und 70, je nach Organisation und Bewertung der Vorfälle. Zudem gibt es Berichte über Vermisste. Auch hier variieren die Zahlen deutlich.
Duque kündigt Polizeireform an
Calis Erzbischof Dario de Jesus Monsalve Mejia hatte inmitten der Gewalt gefordert, dass es zunächst eine Stärkung von Rechtsstaatlichkeit brauche. Der Staat müsse "die institutionellen Akteure der Unterdrückung zurückziehen, insbesondere die Spezialeinheit ESMAD". Die Einheit ist umstritten, weil sie besonders hart gegen Demonstranten vorgeht. Je nach Schwere der Übergriffe könnte das für die Regierung politische Konsequenzen haben. Duque selbst kündigte am Wochenende eine Polizeireform an.
Die CIDH selbst gibt sich angesichts der politischen Brisanz zurückhaltend. "In den genannten Tagen wird die CIDH in Bogota und Cali sein, mit vielen Sektoren sprechen und Informationen entgegennehmen", heißt es in ihrer Erklärung. Gesprächspartner seien Vertreter der kolumbianischen Zivilgesellschaft, Opfer von Gewalt sowie staatliche Stellen. Die CIDH werde die Reise auf Einladung Kolumbiens antreten.
Vizepräsidentin: Angriff auf die Demokratie
Der Hinweis auf die Einladung Bogotas ist politisch nicht unbedeutend - hatte es doch zuvor geheißen, Kolumbien weigere sich, die Delegation ins Land zu lassen. "Diese Behauptung ist falsch", sagte Vizepräsidentin Marta Lucia Ramirez zuletzt im Interview der Zeitung "Welt". Kolumbien toleriere Verletzungen der Menschenrechte weder durch einen Amtsträger noch durch die Polizei. "Wenn Korrekturen ergriffen werden müssen, werden wir diese auch ergreifen. Es muss allerdings auch klar gesagt werden, dass die kolumbianische Demokratie einem beispiellosen Angriff ausgesetzt war", so Ramirez.
Kolumbien wird seit Ende April von Sozialprotesten erschüttert. Anlass war eine umstrittene und inzwischen zurückgenommene Steuerreform. Regierung und Organisatoren des Streikkomitees versuchen derzeit, in direkten Gesprächen eine Lösung der innenpolitischen Krise herbeizuführen. Die Vereinten Nationen und die katholische Kirche beobachten die Gespräche.