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Mexiko |

Meinung: AMLOs Irrweg durch die Coronakrise

Präsident López Obrador will Mexiko in eine "neue Normalität" zurückführen, gleichzeitig zeigt die Kurve der Corona-Infektionen steil nach oben. Eine riskante Strategie meint unser Autor Julian Limmer. Ein Kommentar

Mexikos Präsident gibt sich volksnah, auch während der Corona-Pandemie schreckt er nicht davon zurück (Symbolbild 2013).  Foto: Andrés Manuel López Obrador,  ProtoplasmaKidCC BY-SA 3.0

Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO) hat am Montag die langsame Rückkehr zu einer "neuen Normalität" angekündigt, während der bedeutendste Epidemiologe der Regierung Mexikos Hugo López-Gatell Ramírez kurze Zeit später von einem neuen Höhepunkt der Infektionen sprach. Die Gefahr sei nicht vorbei, meint López-Gatell. Was paradox klingt, steht emblematisch für die Widersprüchlichkeiten in AMLOs Politik während der Coronakrise  - und darüber hinaus. 

Der Präsident steht unter enormem Druck. Einerseits kollabiert die heimische Wirtschaft unter der Pandemie, zwölf Millionen Mexikaner legten allein im April ihre Arbeit nieder, der Großteil verlor dadurch sein Einkommen; andererseits drängten die USA auf eine Öffnung der Zulieferbetriebe im Norden Mexikos, um Lieferketten nicht zu gefährden.

Doch anstatt einen konkreten Fahrplan zur Eindämmung der Corona-Folgen zu entwickeln, irrlichtert und schlängelt sich der Präsident durch die Krise. Zuerst verharmloste er das Virus, zögerte den Lockdown unnötig hinaus und setzte damit das Leben seiner Landsleute unnötig aufs Spiel - etwa in einer Fabrik im Norden Mexikos: Dort starben 18 Arbeiter an den Folgen von Covid-19. Im internationalen Vergleich steht Mexiko bei den Todeszahlen mittlerweile an siebter Stelle.  Welche Konsequenzen das Aufschieben eines Lockdowns für ein Land mit sich bringt, zeigt sich folgenschwer gerade in den USA und Brasilien. Auch Trump und Bolsonaro handelten langsam, die Infektionszahlen beider Länder sind mittlerweile im weltweiten Vergleich auf den vorderen beiden Plätzen.

Ende März zog AMLO dann doch vorsichtig die Bremse und ließ Unternehmen schließen - einige Maquilas im Norden produzierten zunächst dennoch weiter. Die Wirtschaft brach ein, mehr als eine halbe Million Jobs ging verloren, vielen Unternehmen droht das aus. Doch AMLO weigerte sich trotzdem lange, vor allem große Firmen finanziell zu unterstützen, Hilfspakete zu schnüren oder Steuern zu senken. Als Grund gab er an, er wolle keine Schulden machen und sich primär auf die Hilfe für die Armen konzentrieren - obwohl auch ärmere Schichten über ausbleibende Unterstützung klagen. Wirtschaftsvertreter warfen dem Präsidenten später vor, er treibe einen Keil zwischen die gesellschaftlichen Schichten. 

Die Wirtschaft öffnet, die Corona-Fälle steigen

Letztendlich beugt sich Obrador nun doch den wirtschaftlichen Interessen und dem Druck der USA - trotz deutlicher Warnungen von Epidemiologen des Landes. Denn AMLO braucht die USA als größten Handelspartner Mexikos, obwohl er nicht müde wird, das neoliberale System der USA zu schelten. In den Autofabriken, den Bergwerken und auf den Baustellen wird daher schon wieder fleißig gearbeitet; ab dem 8. Juni dürfen nun auch wieder Urlauber an die Strände und in die Hotels in Regionen wie Cancún zurückkehren, wo die wirtschaftliche Lage wegen des Einbruchs des Tourismus besonders prekär ist.  "Wir müssen uns zu einer neuen Normalität hinbewegen, weil dies für unsere Volkswirtschaft und das Wohlergehen unserer Bevölkerung benötigt wird. Wir müssen schrittweise zur Normalisierung der produktiven, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aktivitäten zurückkehren", sagte López Obrador am Montag in Cancún. 

Vor dem Hintergrund, dass gerade Millionen von Mexikanern nicht wissen, wie sie ohne Job überleben sollen, ist es verständlich über eine Rückkehr zur Normalität zumindest nachzudenken. Angesichts des Infektionsgeschehens ist der Zeitpunkt, eine "neuen Normalität" anzukündigen und die damit einhergehende Signalwirkung, die Pandemie sei unter Kontrolle, jedoch verfrüht und riskant. Erst vorgestern meldete Mexiko einen Rekord an Neuinfektionen mit 3.981 neuen Fällen an einem Tag. Die Panamerikanische Gesundheitsorganisation (OPS) geht davon aus, dass die Kurve so bald auch nicht abflachen wird. Dennoch endete die allgemeine Maskenpflicht am Montag, nur in Risikogebieten, in sogenannten "roten Zonen", bleibt sie obligatorisch. Allerdings ist bis auf einen Bundesstaat das gesamte Territorium Mexikos eine solche rote Zone, wie die Karten des mexikanischen Gesundheitsministeriums zeigen.

AMLO appellierte indes an die Disziplin seiner Landsleute: "Ich habe viel Vertrauen und hohe Erwartungen, dass wir diese Pandemie überwinden werden", sollten sich die Mexikaner weiter ihre Disziplin bewahren, sagte der Präsident. Er selbst macht bei jeder Gelegenheit vor, wie man es nicht machen sollte: Konsequent verweigert er einen Mund-Nasenschutz, er pfeift auf Abstandsregeln und macht Fotos mit Anhängern. 

Trügerische Gelassenheit und fehlende Visionen 

Insgesamt präsentiert sich der Präsident auffallend gelassen und optimistisch, trotz der weiter stark steigenden Infektionszahlen und der fatalen Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt. In einer Videobotschaft auf Twitter sagte er kürzlich, die mexikanische Wirtschaft sei dabei sich zu erholen, der Ölpreis steige wieder, ebenso der gegenüber dem Dollar stark gefallene Peso. Das alles seien "gute Nachrichten." Das stimmt, allerdings sagen Experten gleichzeitig einen Rückgang der Wirtschaftsleistung von bis zu zehn Prozent für dieses Jahr in Mexiko voraus. AMLO zeigt sich davon wenig beeindruckt: Er verspricht immer wieder, zwei Millionen neue  Jobs schaffen zu wollen. Wie genau er das anstellen will, lässt er jedoch offen.

Statt einen wirklich nachhaltigen Wirtschaftsplan auf den Weg zu bringen, eröffnete er am Montag lieber öffentlichkeitswirksam die Bauarbeiten seines persönlichen Prestigeprojekts, des Tren Maya - eine 1.500 Kilometer lange Zugstrecke, die den Tourismus in der Region ankurbeln und 80.000 neue Jobs bringen soll. Umwelt- und Indigenenverbände protestieren indes gegen den Bau und fordern einen Stopp, weil sie negative Auswirkungen auf die Umwelt befürchten und ihre Mitspracherechte verletzt sehen. AMLO scheint das nicht zu stören. Gleichzeitig nutzt er die Coronakrise, um den Ausbau regenerativer Energien in Mexiko zu schwächen und somit die von der Pandemie besonders getroffene heimische Ölindustrie weiter in den Fokus seiner Politik zu rücken. AMLO gibt sich nach außen hin gerne progressiv, als Mann des großen Wandels, seine Zukunftsvisionen weisen jedoch in die Vergangenheit. 

Mexiko hat das ökonomische Potenzial, um die Schäden der Coronakrise abzufedern, doch dafür braucht es einen klaren Plan.

Autor: Julian Limmer 

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