Massenproteste in Brasilien gegen Präsident Bolsonaro
In Brasilien und einigen anderen Ländern gingen die Menschen aus Protest gegen Präsident Bolsonaro auf die Straßen. Die Bilanz der Veranstalter: 420.000 Teilnehmer in 213 Städten in Brasilien und 14 weiteren im Ausland.
Bisher hatten sich Kritiker der brasilianischen Regierung unter Verweis auf die hohen Corona-Infektionszahlen gegen landesweite Proteste ausgesprochen. Am Samstag jedoch folgten Zehntausende Demonstranten dem Aufruf von Oppositionsparteien und Gewerkschaften und gingen im größten Land Südamerikas auf die Straßen, um gegen die Verharmlosung der Corona-Pandemie durch Jair Messias Bolsonaro zu demonstrieren. Dem Präsidenten warfen sie "Völkermord" vor und forderten seinen Rücktritt.
Bolsonaro sabotierte Corona-Schutzmaßnahmen
Der Rechtspopulist hatte das Coronavirus zu Beginn der Pandemie als "kleine Grippe" bezeichnet. Später wehrte er sich gegen den Kauf von Impfstoffen und sabotierte offen die Corona-Maßnahmen der Bürgermeister und Gouverneure. Zuletzt drohte er gar, das Militär dagegen einzusetzen. Mit über 460.000 Corona-Toten liegt Brasilien hinter den USA im weltweiten Vergleich auf dem zweiten Platz. Derzeit sterben täglich rund 2.000 Personen. Gleichzeitig verläuft die Impfkampagne schleppend, erst rund zehn Prozent der Bevölkerung sind vollständig geimpft.
"Wir sind einfach am Limit angekommen, es reicht", machte eine Demonstrantin ihrem Ärger in Rio de Janeiro Luft. "Wir haben jetzt eine halbe Million Corona-Tote." Das Virus sei letzten Endes weniger gefährlich als die Regierung. "Deshalb haben wir beschlossen, auf die Straße zu gehen, mit allen Vorsichtsmaßnahmen, mit Abstandhalten und Masken." Nichtstun sei keine Lösung - während die Bolsonaro-Anhänger ihren Präsidenten feierten.
Demonstranten forden Corona-Hilfen und schnelle Impfungen
Bolsonaro, der sich bewusst nicht an Vorsichtsmaßnahmen hält, intensivierte unterdessen seinen vorgezogenen Wahlkampf für die Wahl Ende 2022. Unlängst führte er eine Motorrad-Karawane mit Hunderten von Teilnehmern durch Rio de Janeiro an. Dafür wurde er scharf kritisiert. Dass seine Gegner nun selber auf die Straße gehen und damit Neuinfektionen riskieren, löste in den eigenen Reihen allerdings auch Widerspruch aus. Viele Oppositionspolitiker hatten sich im Vorfeld für Online-Proteste ausgesprochen.
Trotzdem war der Zuspruch für die Demonstrationen groß. In der Hauptstadt Brasilia demonstrierten Tausende in der Regierungsmeile. Eine aufblasbare Puppe zeigte den Präsidenten als Adolf Hitler mit Blut an den Händen. Auf Spruchbändern wurde "Bolsonaro raus!" und "Impfungen sofort!" gefordert. Auch sprachen sich die Demonstranten angesichts der derzeitigen Höchststände an Arbeitslosigkeit für die Wiedereinführung von monatlichen Corona-Hilfen von umgerechnet rund 100 Euro pro Person aus. Mitte vergangenen Jahres wurden diese Hilfen an rund 65 Millionen Brasilianer ausgezahlt.
Lula will 2022 gegen Bolsonaro antreten
In Rio de Janeiro protestierten über 10.000 Personen mit Spruchbändern wie "Friedhöfe voll, Kühlschränke leer". Dabei überragte eine Puppe des linken Ex-Präsidenten Luiz Inacio da Silva (2003-2010) die Menge. "Lula" hatte erst vor wenigen Wochen seine politischen Rechte zurückerhalten und will 2022 gegen Bolsonaro antreten. Umfragen deuten einen klaren Sieg des ehemaligen Gewerkschaftsführers an.
Die größte Kundgebung registrierten die Veranstalter in Sao Paulo mit mehr als 80.000 Teilnehmern. Man wolle nicht mehr tatenlos zusehen, "wie unsere Leute bis 2022 am Virus und durch Hunger sterben", erklärte der linke Politiker Guilherme Boulos.
In der nordöstlichen Metropole Recife kam es zu Gewalt zwischen Polizei und Demonstranten. Sicherheitskräfte setzten Tränengas und Gummigeschosse ein, wobei ein Demonstrant laut Medienberichten sein Augenlicht verlor. Eine Stadträtin wurde ebenfalls von der Polizei angegriffen. Der Polizeichef wurde daraufhin von dem Gouverneur entlassen.
Sperrminorität verhindert Amtsenthebung
Und Bolsonaro? Sitzt einstweilen sicher im Sattel. Trotz der Demonstrationen, trotz mehr als 60 Anträgen auf Amtsenthebung im Kongress und einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Senat, der täglich die Versäumnisse der Regierung bei der Pandemiebekämpfung offenbart. Im Kongress verfügt der Präsident über eine Sperrminorität, die eine Amtsenthebung verhindert. Zu den Protesten am Samstag äußerte er sich bislang nicht.