Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Brasilien |

Machtzuwachs für Brasiliens Evangelikale

Gläubige in einem Gottesdienst der evangelikalen Freikirche  "Igreja Pentecostal" im Stadtzentrum von Manaus, Brasilien. Foto: Adveniat/Achim Pohl
Gläubige in einem Gottesdienst der evangelikalen Freikirche "Igreja Pentecostal" im Stadtzentrum von Manaus, Brasilien. Foto: Adveniat/Achim Pohl

Brasilien galt einst als "katholischstes Land der Welt". Bis auf den evangelischen General Ernesto Geisel, der dem Land in der Zeit der Militärdiktatur von 1974 bis 1979 vorstand, hatte das Land nur katholische Staatsoberhäupter. Doch bei der nun anstehenden Präsidentenwahl am 7. Oktober zielen mit Marina Silva und Jair Messias Bolsonaro gleich zwei Kandidaten mit evangelikalem Profil auf das höchste Staatsamt. Silva trat einst von der katholischen in eine evangelikale Kirche über. Der eigentlich streng katholische Bolsonaro ließ sich 2016 von einem evangelikalen Pastor im Jordan taufen.

Die evangelikalen Kirchen haben seit Jahrzehnten regen Zulauf in Brasilien. Beim Zensus 2010 erklärten sich 42 Millionen Brasilianer (22 Prozent) als "evangélicos", katholisch waren 123 Millionen Brasilianer (64 Prozent). Derzeit liege die Zahl der "evangélicos" bei rund 30 Prozent, schätzen Experten. Doch politisch sind sie noch unterrepräsentiert. Von den 513 Abgeordneten des Unterhauses gehören nur rund 100 der im Jahre 2003 gegründeten "frente evangélica" an, wie der parteiübergreifende Zusammenschluss evangelikaler Politiker selbst erklärt. Im Oberhaus des Kongresses sind nur 5 der 81 Senatoren evangelikal, so Medienberichte.

Wettbewerbsfähig zur Exekutive

Bei den anstehenden Wahlen dürfte ihr Anteil um mindestens zehn Prozent wachsen, "aufgrund der guten Performance des Kandidaten Jair Bolsonaro", so der Politikwissenschaftler Ricardo Ismael von der Katholischen Universität von Rio de Janeiro (PUC-RJ). "Neu ist, dass die Evangelikalen beginnen, wettbewerbsfähig zu sein bei Wahlen zur Exekutive." Wegweisend war 2016 die Wahl von Marcelo Crivella zum Bürgermeister von Rio de Janeiro. Crivella, Bischof der "Igreja Universal do Reino de Deus", konnte dabei auf die Macht der von seinem Onkel Edir Macedo gegründeten Pfingstkirche zählen, zu der auch ein TV-Sender namens "Rede Record" gehört. Pastoren sollen bei Gottesdiensten um Stimmen für Crivella geworben haben, berichten Medien. Wieviel Geld die "Igreja Universal" zu dem teuren Wahlkampf beitrug, ist nicht bekannt.

Nicht alle evangelikalen Kandidaten haben derart einflussreiche und finanzkräftige Großkirchen im Rücken. Aber sie gewinnen Wähler aus der neuen unteren Mittelschicht, die während der Regierungszeit der brasilianischen Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores; 2003 bis 2016) stark gewachsen ist. "Viele Geringverdiener und Angehörige der unteren Mittelschicht fühlten sich von den Versprechungen der evangelikalen Neo-Pfingstkirchen angesprochen", so Ismael.

Suche nach moralischer Strenge

Für Francisco Borba Ribeiro Neto von der Katholischen Universität von Sao Paulo (PUC-SP) ist der Aufstieg der Evangelikalen ein Ergebnis der Landflucht in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die streng gläubige Landbevölkerung traf in den Städten auf eine säkularisierte, freizügige katholische Stadtgesellschaft. Und flüchtete zu den moralisch strengeren, konservativeren und puristischeren evangelikalen Pfingstkirchen. "Für eine unter den schlimmen und extrem widrigen Lebensbedingungen leidende Bevölkerung, die geschockt war durch den Verlust ihrer traditionellen Werte und sich in den Großstädten einsam fühlte, war deren Botschaft sehr attraktiv."

Besonders die ehemalige Landbevölkerung konnte in den letzten Jahrzehnten ökonomisch in eine neue Mittelschicht aufsteigen und wählt nun eher rechts-konservativ. Jüngste Umfragen ergaben, dass evangelikale Wähler deutlich seltener linke Parteien wählen (sechs Prozent) als Katholiken (21 Prozent). "Der katholische Diskurs zielt eher auf soziale Fragen ab, auf die Rechte der Ärmsten", so Borba. "Währenddessen konzentriert sich der evangelikale Diskurs und besonders der der Neo-Pfingstkirchen auf moralische Werte."

Wertediskussion statt Sozialstaat

Anders als die eher links wählenden armen Schichten, die von staatlicher Hilfe abhängig sind, ist die in die untere Mittelschicht aufgestiegene Bevölkerung nicht mehr auf direkte Hilfen des Staates angewiesen. "Die Neo-Pfingstkirchen haben in dieser neuen Mittelschicht eine Hegemonialstellung, und dort kümmern sie sich um moralische Werte, kämpfen gegen die Unsicherheit in den Städten und verlangen ein Ende des Sozialstaates der ja ihre Bedürfnisse nicht mehr anspricht."

Die große Mehrheit der evangelikalen Politiker lehnt zudem die linke Minderheitenagenda ab, so Ismael. "Die evangelikale Fraktion hat sich gegen eine linke Agenda in Stellung gebracht, die für mehr Rechte für Minderheiten eintritt, für neue Familienformate, die Gender-Fragen und das Bildungssystem diskutieren wollen. Noch ist es zu früh um zu sagen, ob sie Erfolg haben werden, diese Agenda aufzuhalten. Aber Kraft und Einfluss, um hier mitzureden, haben sie."

Kommt nun ein evangelikales Staatsoberhaupt? Jair Bolsonaro führt derzeit in Umfragen (28 Prozent), während Marina Silva abgeschlagen ist (5 Prozent). "Bolsonaro reproduziert in seinem Diskurs evangelikale Predigten, wobei er sich in Fragen der Traditionen und Gewohnheiten gegen die linke Agenda stellt. Daher kommt seine große Zustimmung unter den Evangelikalen." Marina Silva hingegen beschränke ihren Diskurs nicht auf evangelikale Predigten, sondern betone die Sozialpolitik genauso wie den Umweltschutz, so Ismael.

Hauptsächlich gegen die Linke

Während die bekennende Evangelikale Silva eher ein katholisches Profil hat, gibt sich der Katholik Bolsonaro also wie ein Evangelikaler, so Borba Neto. "Seltsamerweise ist Marina Silva wie gemalt für eine katholische Kandidatin, wobei sie in ihren Ansichten gespalten ist: in sozialen Fragen ist sie links, in moralischen Anliegen kommt sie der Rechten näher."

Bolsonaro hingegen repräsentiere par excellence "den Aufstiegsgeist der neuen Mittelklasse. Sowohl für einen Evangelikalen wie auch einen ultra-konservativen Katholiken ist Bolsonaro die populistische Alternative, ein Anführer, der vorgibt, dass er die Probleme, die nicht durch demokratischen Dialog zu lösen sind, notfalls im Alleingang durchsetzt."

Quelle: Deutsche Welle, Autor: Thomas Milz

Weitere Nachrichten zu: Politik, Religion

Cookie Einstellungen

Erforderliche Cookies sind für den reibungslosen Betrieb der Website zuständig, indem sie Kernfunktionalitäten ermöglichen, ohne die unsere Website nicht richtig funktioniert. Diese Cookies können nur über Ihre Browser-Einstellungen deaktiviert werden.

Anbieter:

Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.

Datenschutz

Marketing-Cookies werden verwendet, um Besuchern auf Webseiten zu folgen. Die Absicht ist, Anzeigen zu zeigen, die relevant und ansprechend für den einzelnen Benutzer sind und daher wertvoller für Publisher und werbetreibende Drittparteien sind.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz

Statistik-Cookies dienen der Analyse und helfen uns dabei zu verstehen, wie Besucher mit unserer Website interagieren, indem Informationen anonymisiert gesammelt werden. Auf Basis dieser Informationen können wir unsere Website für Sie weiter verbessern und optimieren.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz