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Leonardo Padura: "Über Kuba liegt eine historische Müdigkeit"

Der kubanische Schriftsteller Leonardo Padura („Havanna-Quartett“, „Der Mann, der Hunde liebte“) ist jährlich Gast der größten lateinamerikanischen Buchmesse im mexikanischen Guadalajara. Nachdem sie pandemiebedingt letztes Jahr ausfiel, fand sie in diesem Jahr zwischen Ende November und Anfang Dezember in einer reduzierten, aber sehr gut besuchten Variante statt. Mehr als 250.000 Besucher und auch namhafte Autoren wie Sergio Ramírez aus Nicaragua, Juan Gabriel Vázquez aus Kolumbien und Antonio Ortuño aus Mexiko kamen. Leonardo Padura wurde für sein Werk die „Carlos-Fuentes Medaille“ verliehen. Am Rande der Messe erzählte er im Interview, was sein neues Buch "Wie Staub im Wind", das im März erscheint, für die deutschen Leser bereithält. Und er erklärte, wieso Kuba derzeit zwischen Resignation und Rebellion wandelt.

Der kubanische Schriftsteller Leonardo Padura bei einer Konferenz in Salvador da Bahía am 6. August 2019. Foto: Leonardo Padura, Fronteiras do Pensamento, CC BY-SA 4.0

Der kubanische Schriftsteller Leonardo Padura bei einer Konferenz in Salvador da Bahía am 6. August 2019. Foto: Leonardo Padura, Fronteiras do PensamentoCC BY-SA 4.0

Blickpunkt Lateinamerika:  Señor Padura, in Deutschland sind Sie zunächst über Ihre Kriminalromane und dann über Ihre historisch-politischen Bücher bekannt geworden. Ihr neues Buch ist nun ein anderes Genre. Was hält „Wie Staub im Wind“ für die deutschen Leser bereit?
 
Leonardo Padura: Es ist ein Buch über die kubanische Diaspora, ein Roman über Freundschaften, das Dableiben, die Zugehörigkeit und auch über die „Cubanía“, das Gefühl der Menschen für ihr Land und zu ihren Wurzeln. Es ist weder ein Krimi noch ein Roman, der Zeitgeschichte mit Historie verwebt. Als Autor muss man sich Herausforderungen stellen und mit neuen Formen der Literatur experimentieren. 
 
Das Buch spannt den Bogen vom Fall der Mauer in Berlin bis zum Besuch von US-Präsident Barack Obama 2016 in Kuba. Es geht um Menschen, die das Land verließen, aber sich nach dem Kuba sehnen, wie es früher war. Und es geht um Menschen, die geblieben sind, weil sie auf Veränderungen hoffen. Ist es der große Roman des kubanischen Exils?  
 
Ja, in gewisser Weise. Aber es gibt ja viele Exile und Exilierte überall. Vor allem ist es ein Generationenroman. Ich habe versucht, eine Chronik über das Schicksal meiner Generation zu schreiben, vom Moment der intellektuellen Reife Mitte Dreißig bis ins Alter.
 
Der Roman umfasst daher ja sehr besondere Phasen der kubanischen Revolution. In diesen Jahren hat sich die Insel sehr verändert.
 
Klar, die ersten dreißig Jahre der Revolution von 1959 an waren eine sehr spezielle Zeit, ein sehr stimmiger Prozess. Mit dem Mauerfall 1989 und dem Untergang der Sowjetunion geriet alles in einen Strudel, der Kuba in eine tiefe Wirtschaftskrise führte, die eine Glaubenskrise nach sich zog. Es war ein Moment, in dem die Menschen das Vertrauen, aber auch Lebenschancen verloren haben. Daher haben viele das Land verlassen. Man sieht das ein bisschen an meiner zentralen Figur Clara in dem Buch, wenn sie sagt: „Alle Gründe, Kuba zu verlassen, sind stichhaltig, und alle Gründe zu bleiben, sind ebenfalls stichhaltig.“ Man muss sie nur gegenseitig respektieren. 
 
Ist das nicht auch ein bisschen die Geschichte des heutigen Kuba? Einige gehen noch immer, aber immer mehr bleiben, um von drinnen etwas zu verändern? 
 
Ich bin nicht überzeugt, dass das die aktuelle Realität Kubas ist. Ich glaube, dass wir vor einem massiven Exodus junger Leute stehen, die mit ihrem Platz im Land nicht zufrieden sind. Die Pandemie hat den Prozess zwar verlangsamt, aber wer gehen kann, der geht, weil das aktuelle Kuba ihnen keine Perspektive bietet. Denn die sozialen, wirtschaftlichen und auch politischen Bedingungen haben sich verschlechtert. Die Jungen suchen ihre Chancen, wo sie sie finden. Sie haben nur ein Leben und wollen es, so weit es geht, in vollen Zügen genießen. Ich kritisiere niemanden, der bleibt oder geht. 
 
Aber was ist mit den jungen Kulturschaffenden, die mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen Veränderungen erreichen wollen? Ist das nicht eine neue Dynamik? 
 
In Kuba ist eine tiefgreifende Neugestaltung der Strukturen notwendig. Und dass es in bestimmten Sektoren immer noch Kubaner gibt, die Veränderungen erreichen wollen, erscheint mir bewundernswert und großartig. Aber die Unbeweglichkeit des Staates und der Politik machen die Menschen müde. Es liegt eine historische Müdigkeit über dem Land, die bedeutet, dass die Mehrheit der Kubaner nicht mehr an kollektive Lösungen glaubt, sondern nur noch an individuelle. 
 
Wie bewerten Sie die Proteste aus dem Juli, als die Menschen massiv und teilweise mit Gewalt gegen die Regierung demonstrierten?
 
Es war Ausdruck der Verzweiflung der Menschen angesichts ihrer Situation. Im Moment ist allerdings die Luft raus, die Regierung sollte diese Ruhe nutzen. Denn wir befinden uns im perfekten Sturm: Die Pandemie, das US-Embargo, die Einmischung Washingtons in kubanische Angelegenheiten, aber auch die Ineffizienz des eigenen Systems. All das wird früher oder später dazu führen, dass die Proteste wieder aufflammen. 
 
Wird Ihr nächstes Buch die Ereignisse von 2021 zum Thema machen? 
 
Nein. Irgendwann werde ich sicher verarbeiten, was dieses Jahr passiert ist. Denn ich verstehe mich als Chronist, ich liebe es, die Zeitläufte festzuhalten. Wer meine Bücher liest, bekommt einen guten Überblick über die Geschichte Kubas der vergangenen 30 Jahre.  
 
Also kehren sie zu den Krimis zurück…?
 
In gewisser Weise. Es ist aber vor allem wieder eine historische Recherche mit Verbindungen in die Gegenwart bis zum Besuch von Obama vor fünf Jahren. Es geht um den berühmtesten Zuhälter Havannas, Alberto Yarini y Ponce de León, der 1910 ermordet wurde. Er war in gewisser Weise Mitglied des kubanischen Adels, aber das schwarze Schaf der Familie. Von da schlage ich den Bogen zu Obamas Besuch, der ein Moment großer Hoffnung war. Wir dachten, dass sich nicht nur das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten ändern würde, sondern auch die Dinge auf der Insel. Es floss Geld, es kamen die Rolling Stones, selbst Chanel machte eine Modenschau. Nur - in Kuba änderte sich nichts. Und seit Donald Trump ist das Verhältnis zu den USA fast schlimmer als früher. Es ist eine sehr dunkle Zeit gerade in Kuba. Wenn es die Einmischung der USA nicht gäbe, wären die sozialen Prozesse bei uns sehr viel dynamischer.
 
Auf der Buchmesse in Guadalajara haben Sie kürzlich gesagt, dass es für Sie wie eine Strafe wäre, außerhalb der Insel leben zu müssen. Können Sie nur auf Kuba über Kuba schreiben? 
 
Mein ganzer schriftstellerischer Kosmos befindet sich in Kuba, selbst wenn ich in das Amsterdam von Rembrandt reise oder das Russland von Trotzki. Ich bin immer in Kuba. Nur hier kenne ich die Codes. Ich wechsle drei Worte mit den Menschen und weiß, wie sie ticken. Das würde mir woanders nicht passieren. Letztlich schreibe ich ja über die Menschen hier auf der Insel. Und ein Schriftsteller nährt sich vom Leben anderer Menschen. Ich kann nicht das Leben aller meiner Figuren leben, aber ich muss ihre Geschichten so beschreiben, als wären sie meine eigenen. 

Leonardo Padura
Wie Staub im Wind
Die Geschichte einer Freundschaft, und die eines ganzen Landes
Aus dem Spanischen von Peter Kultzen
Unionsverlag

Erscheint 14.3.2022
ca. 608 Seiten
ISBN 978-3-293-00579-2

Interview: Klaus Ehringfeld, Mexiko

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