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Lateinamerika: Wenn sich Justiz und Politik die Hand reichen

 

Der Kampf um die Macht wird in einigen Ländern Lateinamerikas immer öfter vor Gericht ausgetragen. Die Instrumentalisierung der Justiz wird zu einem Problem für die Demokratien der Region.

Staatsanwalt Sergio Moro brachte "Lula" da Silva ins Gefängnis, später wurde er Justizminister. Foto: Senado FederalEntrevistas DiversasCC BY 2.0

Boliviens ehemalige Interimspräsidentin Jeanine Ánez war nur ein knappes Jahr im Amt, vom 12. November 2019 bis zum 8. November 2020. Nun sitzt sie auf Antrag der bolivianischen Staatsanwaltschaft in Untersuchungshaft. Gegen sie wird wegen Volksverhetzung, Terrorismus und Verschwörung ermittelt. Der letzte Vorwurf bezieht sich auf einen angeblichen "Staatsstreich" gegen den vorherigen Präsidenten Evo Morales.

Ihre Anhänger sprechen von politischer Verfolgung, ebenso wie dies seinerzeit die Anhänger von Morales taten, nachdem dieser im November 2019 aus dem Amt gedrängt worden war. Auch gegen Morales wurde Anklage erhoben, unter anderem wegen Korruption, Terrorismus und sogar Pädophilie. Andere Mitglieder seiner Regierung ereilte ein ähnliches Schicksal. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) analysierte 21 Fälle und fand "Beweise für unbegründete Anklagen, Verstöße gegen ein ordentliches Verfahren, Beschneidung der Meinungsfreiheit und exzessiven und willkürlichen Gebrauch von Untersuchungshaft".

HRW stellte in seinem Bericht aber auch fest, dass während der Regierungszeit von Evo Morales "Staatsanwälte Anklage gegen mehrere seiner politischen Rivalen in Fällen erhoben haben, die politisch motiviert zu sein schienen".

Das Problem der politischen Instrumentalisierung der bolivianischen Justiz sei nicht neu, meint Marie-Christine Fuchs, Leiterin des Rechtsstaatsprogramms für Lateinamerika der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) gegenüber DW. "Es ist ein durchgängiges Phänomen, das sich in den 14 Jahren der Regierung von Evo Morales, aber auch in der Zeit der Interimspräsidentin Jeanine Añez gezeigt hat", so Fuchs.

Was den Fall von Janine Áñez betrifft, glaubt Fuchs, dass es eine "Verletzung des ordentlichen Gerichtsverfahrens gab, weil der Haftbefehl nicht auf ordnungsgemäß begründeten Tatsachen beruhte. Daher liegt eine willkürliche Anwendung des Haftbefehls vor."

Politische Kontrolle über die Justiz?

Die Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz beschränken sich nicht nur auf Bolivien. In Brasilien hob ein Richter vor kurzem sämtliche Urteile gegen den 2018 und 2019 bereits für mehrere Monate inhaftierten früheren Präsidenten Lula auf. Es war ein Provinzrichter, der Lula 2017 zu mehreren Jahren Haft verurteilte und somit aus dem Rennen um das Präsidentenamt ein Jahr später nahm. Der selbe Richter wurde später Justizminister unter dem jetzigen Präsidenten Bolsonaro. Zufall?

"Jeder wusste, dass Staatsanwälte und Richter unter dem Vorwand, Korruption um jeden Preis zu bekämpfen, Verfahrensgesetze und Verfassungsgarantien wie die Unschuldsvermutung verletzten", schreiben Carol Proner und Juliana Neuenschwander von der Brasilianischen Juristenvereinigung für Demokratie (ABJD) in einem Papier mit dem Titel "Lawfare als politische Waffe".

Marie-Christine Fuchs räumt ein, dass der damalige Wechsel des Provinzrichters Sergio Moro in das brasilianische Justizressort den Verdacht nährte, "dass es eine zu große Nähe zwischen Justiz und Politik gegeben haben könnte". Sie ist jedoch der Meinung, dass es in Brasilien wie auch in Kolumbien genug Gerichte gibt, die ihre Kontrollaufgabe durchaus wahrnehmen.

"Genau das ist die Funktion der Justiz. Problematisch wird es natürlich, wenn die Prozesse politisiert werden. Ich weiß, dass vielen Gerichten in der Region manchmal ein gewisser politischer Aktivismus vorgeworfen wird, weil sie teilweise Aufgaben übernehmen, die in anderen Ländern besser in die Hände des Parlaments gelegt würden. Aber in vielen Fällen rechtfertigen die Gerichte ihr Handeln, indem sie sich auf die Versäumnisse der Parlamente berufen", sagt sie.

Fuchs betont jedoch, dass "nicht alles schwarz und weiß" ist und dass die Möglichkeiten für parlamentarisches Handeln in letzter Zeit durch die Corona-Pandemie eingeschränkt wurden. "Viele Regierungen haben den Ausnahmezustand ausgerufen, und das hat es ihnen erlaubt, per Dekret zu regieren, ohne parlamentarische Kontrolle und nur mit nachträglicher gerichtlicher Kontrolle".

Die Justiz als wichtiger Pfeiler der Demokratie

Die Expertin und Autorin des Buches "Justiz und Politik in Lateinamerika – Eine Hassliebe?" sieht ein sehr gefährliches Szenario für die Rechtsstaatlichkeit in der Region, in der es populistische Tendenzen gibt. Und sie betont, dass "zur Sicherung der Demokratie auf dem Kontinent eine der notwendigsten Aufgaben die Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit ist".

Ihre derzeitige Schwäche führt Fuchs auf die allgemeine Schwäche der Institutionen zurück, die wiederum mehrere Ursachen habe. Dazu zähle auch "die strukturelle Ungleichheit, die die Lateinamerikaner seit Jahrhunderten erleben und die es ihnen schwer macht, an die Justiz und ihre Unabhängigkeit zu glauben." Erst recht, wenn nicht jeder die Grenzen der Gewaltenteilung in gleicher Weise zu verstehen scheint.

So sorgte der Präsident von El Salvador im vergangenen November mit Tweets für Kontroversen, mit denen er laut dem Nachrichtenportal der UNO, "versucht hat, Druck auf die Justiz auszuüben, um Prozesse gegen Vertreter der Opposition zu beschleunigen".

Der UN-Sonderberichterstatter für die Unabhängigkeit von Richtern und Staatsanwälten, Diego García-Sayán, erinnerte daran, dass "die Exekutive die Unabhängigkeit der Justiz respektieren und davon absehen muss, ihre Autorität zu untergraben" und fügte hinzu, dass richterliche Entscheidungen respektiert werden müssen und "nicht von anderen Regierungsstellen interpretiert werden dürfen".

Autor: Emilia Rojas/ Quelle: Deutsche Welle

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