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Kommentar: Kolumbiens Stunde null

In Kolumbien zieht demokratische Normalität ein: Die neue Regierung von Gustavo Petro will das Land befrieden und die Wirtschaft auf "green economy" umkrempeln. Eine ambitionierte Reformagenda.

Skyline der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá. Foto: Adveniat/Achim Pohl

Skyline der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá. Foto: Adveniat/Achim Pohl

Zum ersten Mal in 200 Jahren republikanischer Geschichte regiert seit Sonntag, 7. August 2022 in Kolumbien eine linke Regierung. Mit dem längst überfälligen Machtwechsel ist endlich demokratische Normalität im drittgrößten Land Lateinamerikas eingezogen. Möglich gemacht hat das der Friedensprozess mit den Linksrebellen der Farc Ende 2016, der einen jahrzehntelangen Bürgerkrieg beendete. Damit war der Vorwand verschwunden, dass all diejenigen Wähler, die jemals ihr Kreuz bei einer linken Option machten, heimlich die Guerilla unterstützten. 

Chile ist das Vorbild

Es ist also jetzt Kolumbiens Stunde Null. Für die Bevölkerung werden die kommenden vier Jahre ein Lern- und Erfahrungsprozess sein. Die Menschen werden sehen, dass linke Regierungen nicht bedeuten, dass automatisch der Kommunismus an die Macht kommt. Der frühere Guerillero Gustavo Petro und seine Vizepräsidentin Francia Márquez, ehemals Umweltaktivistin, werden Kolumbien nach Kräften auf links ziehen. Aber dabei weder Kuba noch Venezuela kopieren, sondern versuchen, dem Vorbild Chiles nachzueifern. Dort führt der junge Linkspräsident Gabriel Boric eine gleichberechtigte, klimabewegte und einschließende Regierung. Es ist eine moderne Linke, weit weg von den autoritären Caudillos alter lateinamerikanischer Schule.
 
Viel Spielraum wird das Duo Petro/Márquez für historisch ebenso große wie notwendige Veränderungen nicht haben. Der scheidende rechte Staatschef Iván Duque hat das Land abgewirtschaftet, hinterlässt Rekordstände bei Haushaltsdefizit und Staatsschulden, die Inflation drückt mit fast elf Prozent auf die Einkommen. Hier sind schnelle Lösungen gefragt.

Friedensverhandlungen mit allen Konfliktparteien

Die neue Regierung übernimmt ein Land in Unruhe, mancherorts in Aufruhr. Auch besonders deshalb geht Gustavo Petro beim Thema Gewalt und Friedensverhandlungen ungewöhnliche Wege. Er will den „Totalen Frieden“ erreichen, das heißt mit allen illegalen Gruppen und Gewaltakteuren gleichzeitig und umfassend einen Frieden oder zumindest eine Waffenruhe verhandeln. Von der kleinen Linksguerilla ELN über die Dissidenten der Farc, also denjenigen Rebellen, die den Frieden 2016 verweigert haben und bei den Waffen blieben, bis hin zum ultrarechten Verbrechersyndikat „Golf-Clan“. Alle sollen gleichberechtigt ihre Chance auf Frieden bekommen. Es ist eine Art radikaler Pazifismus. Das ist ebenso mutig wie riskant. Man mag es auch unmöglich oder illusorisch nennen. Aber dennoch haben Petro und Márquez dafür alle Unterstützung verdient. 
 
Denn in vielen Regionen Kolumbiens wird weiter blutig um Routen und Reviere gerungen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zählt sechs bewaffnete Konflikte zwischen verschiedenen Akteuren und warnt vor einer humanitären Katastrophe. Zudem werden demobilisierte Guerilleros und Aktivisten wie Gewerkschafter, Indigenenvertreter oder Kämpfer gegen illegalen Bergbau zu Hunderten ermordet. 

Wirtschaft soll "grün" werden

Kaum weniger ambitioniert ist der Umbau der kolumbianischen Wirtschaft zu einer green economy. Die „Dekarbonisierung“ der Wirtschaft, die Petro erreichen will, sieht das mittelfristige Ende von Ölförderung und Kohleabbau vor, den beiden wichtigsten Devisenquellen des Landes. Es sollen keine neuen Förderlizenzen mehr vergeben, keine neuen Minen eröffnet werden.
 
Das könnte auch Deutschland treffen, das aus Kolumbien fünf Prozent seiner Kohleimporte bezieht und Druck macht, um deutlich mehr zu bekommen. Die deutschen Stromkonzerne sind dringend auf der Suche nach einem Ersatz für die russische Kohle. Deutschland wird also möglicherweise auch im fernen Südamerika die Klimawende verhindern oder zumindest verzögern. Der Ausgang ist offen, noch hat sich die neue Regierung nicht zum deutschen Wunsch positioniert. Aber Politikerinnen wie die deutsche Abgeordnete Kathrin Henneberger (Grüne) fordern schon jetzt eine gemeinsame deutsch-kolumbianische Exitstrategie aus den fossilen Brennstoffen und keine neuen Langfrist-Lieferverträge. 

Ambitionierte Reformagenda

Da die direkte Wiederwahl in Kolumbien verboten ist, hat Petro für all seine Vorhaben nur vier Jahre Zeit. Dafür ist seine Agenda ausgesprochen ambitioniert. Zumal der linke Staatschef mit den Streitkräften und den Unternehmern immer noch wichtige Akteure gegen sich hat, die er für seine Großreformen braucht. Man muss daher die kommenden Jahre vielleicht als eine Art Übergangsregierung betrachten, bei der mehr Fundamente für nachhaltige Veränderungen gelegt als tatsächlich aktuell Reformen umgesetzt werden. Aber wie auch immer: Die neuen Machthaber sind entschlossen, ein friedliches und sauberes Kolumbien zu schaffen.

Autor: Klaus Ehringfeld

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