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Kommentar: Demokratische Zerreißprobe in Brasilien

Brasilien steht vor einer Zerreißprobe. Entgegen der Umfragen hat es für den ehemaligen Gewerkschaftsführer Luiz Inácio „Lula“ da Silva nicht zum Sieg in der ersten Runde gereicht. Und der rechte Amtsinhaber Jair Bolsonaro hat deutlich besser abgeschnitten als vorhergesagt. 48 zu 43 Prozent stand es schließlich zugunsten von Lula. Ein Kommentar von Sandra Weiss.

"Solange es Rassismus und religiöse Intertoleranz gibt, wird es keine Demokratie geben", steht auf diesem Plakat, mit dem zwei Frauen vor einem Jahr am 2. Oktober 2021 mit Tausenden anderen Demonstranten in Rio de Janeiro gegen Präsident Jair Bolsonaro auf die Straße gegangen sind. Foto: Tobias Käufer/Adveniat

"Solange es Rassismus und religiöse Intertoleranz gibt, wird es keine Demokratie geben", steht auf diesem Plakat, mit dem zwei Frauen vor einem Jahr am 2. Oktober 2021 mit Tausenden anderen Demonstranten in Rio de Janeiro gegen Präsident Jair Bolsonaro auf die Straße gegangen sind. Foto: Tobias Käufer/Adveniat

Der Vorsprung von fünf Prozentpunkten des Kandidaten Lula da Silva müsste für einen Sieg in der zweiten Runde reichen, mag man glauben. Doch das ist nicht ausgemacht, denn Politik folgt nicht der Logik der Arithmetik. Bolsonaro konnte im Vergleich zur ersten Wahlrunde vor vier Jahren sein Ergebnis in den meisten Bundesstaaten halten. Lula, der damals wegen Korruption im Gefängnis saß und nicht antreten durfte, konzentrierte bereits in der ersten Runde fast alle Anti-Bolsonaro-Stimmen auf sich – dritte Kandidaten spielten so gut wie keine Rolle – und mobilisierte Neuwähler. 

Wahlergebnis heizt Polarisierung an

Das Rennen ist offen. Sicher ist nur: Die kommenden vier Wochen bis zur Stichwahl werden mit harten Bandagen und allen schmutzigen Mitteln – von Stimmenkauf über Propaganda und Einschüchterung - ausgefochten werden. Schon in der ersten Runde gab es Tote im Wahlkampf. Dieses Ergebnis dürfte die Polarisierung weiter anheizen. 

Zwei rivalisierende Politiker mit unterschiedlichen Ideologien in der Stichwahl, das mag aus europäischer Sicht „normal“ anmuten. Dass der eine Wählerstimmen mit Sozialprogrammen einkaufte und der andere mit billigem Fleisch für alle warb, das verbucht man gerne als Folklore lateinamerikanischer Populisten. Hat nicht auch Lula die Umwelt mit seinen Megaprojekten wie dem Belo-Monte-Staudamm zerstört? Hat nicht auch er die Taschen der Banker gefüllt wie kein anderer? War nicht auch seine Partei in zahlreiche Korruptionsskandale verwickelt? Liebäugelt er nicht auch mit dem Autoritarismus, zum Beispiel in Kuba und Venezuela?

Bolsonaro ist ein Feind der Demokratie

Ja, das tut er. Lula ist kein Heiliger, er hat viele seiner Versprechen gebrochen und vieles verbockt in seiner Amtszeit – nicht zuletzt die Möglichkeit einer personellen und programmatischen Erneuerung der brasilianischen Linken. Dass er nun im Alter von 76 Jahren nochmal antritt, ist ein Zeichen dieses linken Bankrotts. Aber Lula war und ist ein auf Interessensausgleich bedachter Demokrat – im Gegensatz zu Bolsonaro. Dieser macht keinen Hehl daraus, dass er Demokratie, Gewaltenteilung und Dialog verachtet. Er hat mit dem Militär paktiert und die Bevölkerung aufgerüstet. Er ruft zu Hass auf, verachtet Schwarze, Indigene und Sozialisten und versucht, die Autorität der Justiz und der Wahlbehörde zu untergraben.

Bolsonaro ist nicht angetreten, Brasiliens defekte Demokratie zu verbessern – er will sie begraben. Sein Gedankengut ist faschistisch, sein Drehbuch dasselbe wie das aller autoritären Rechtspopulisten – von Trump bis Erdogan. Wie auch sie hat er dabei viele opportunistische Verbündete. Das Militär, das eine Chance wittert, seine Macht über die von vielen Offizieren als „korrupt und inkompetent“ eingeschätzten zivilen Institutionen auszubauen. Die evangelikalen Kirchen und Parteien, die ebenfalls mehr Macht und Geld wittern und Bolsonaro dafür nur allzu bereitwillig den Status eines Erlösers erteilen. Skrupellose Geschäftsleute, die es auf die Ressourcen Amazoniens abgesehen haben und Bolsonaro dankbar sind, dass er alle Institutionen zum Schutz des Regenwaldes gleich- und damit ausgeschaltet hat. Reiche, die in Bolsonaro das geringere Übel sehen gegenüber dem „Sozialisten“ Lula, der womöglich die Steuern erhöhen könnte.

Wahl in Brasilien wirkt sich auf Europa aus

Das Drama, das sich in Brasilien abspielt, ist kein lateinamerikanisches. Es ist ein universelles in diesen Tagen der globalen Wirtschafts- und Demokratiekrise. Europa braucht globale Verbündete dringender denn je. Demokratien, die bereit sind, universelle Probleme der Menschheit wie den Umwelt- und Klimschutz, die Reform von Welthandel und Kapitalismus gemeinsam konstruktiv anzugehen. Und ob wir hinschauen oder nicht: Der Ausgang der Wahl in der größten lateinamerikanischen Demokratie wird auch für Europa Folgen haben. 

Autorin: Sandra Weiss, Mexiko

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