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Kolumbien: Im Fadenkreuz der Friedensgegner - Der Fall Mario Paciolla

Der Italiener Mario Paciolla ging für eine UN-Friedensmission nach Kolumbien und starb. Die Behörden sprechen von Selbstmord – seine Angehörigen bezweifeln das. Hartnäckige Recherchen von Journalisten lassen nun vermuten, dass er Opfer einer Intrige wurde.

Kolumbien, Friedensprozess, Militär, UNO

Im kolumbianischen Militär und der rechten Partei Centro Democrático gibt es Vertreter, die den Friedensprozess versuchen zu sabotieren. Foto (Symbolbild Graffiti in Bogotá): Adveniat/Jürgen Escher

Wie in jedem Krimi steht beim "Fall Mario Paciolla" am Anfang eine Leiche, und dahinter entfaltet sich mit jedem Schritt ein tieferer Abgrund. Tatort ist die kolumbianische Kleinstadt San Vicente del Caguán. Dort befasste sich der UN-Mitarbeiter Mario Paciolla seit 2018 mit der Reintegration ehemaliger Farc-Guerilleros ins zivile Leben – als Teil der UN-Verifizierungsmission (UNVMC) des Friedensprozesses. Am 15. Juli wollte ihn Kollegen abholen, um ihn zum Flughafen zu bringen. Doch sie fanden den Italiener erhängt und mit Schnitten an Handgelenken und Körper. Selbstmord aufgrund von Stress, so die Hypothese der Polizei und der UNO. Die UNO sprach ihr Beileid aus und schloss das Büro in der südkolumbianischen Stadt aus Sicherheitsgründen.

Doch erledigt war der Fall damit noch längst nicht. Familie und Freunde bezweifelten die Selbstmord-Version. Der 33-Jährige hatte Flugtickets nach Neapel für den 20. Juli in der Tasche und Tage zuvor gemailt, er fühle sich nicht mehr sicher in Kolumbien und wolle dieses Kapitel abschließen. Er sei verraten und benutzt worden. In der Todesnacht hörte ein Nachbar des Italieners ein offenbar hitziges Telefongespräch mit dem regionalen UN-Sicherheitsbeauftragten Christian Thompson. “Mario starb nicht, Mario wurde getötet”, twitterte die mit ihm befreundete kolumbianische Journalistin Claudia Julieta Duque – und begann zu recherchieren.

Journalistin stößt auf Ungereimtheiten

Dabei trug sie eine ganze Latte seltsamer Puzzleteile zusammen, die sie nun in der Zeitung “El Espectador” veröffentlichte: So schlampte die Polizei offenbar ziemlich bei den Ermittlungen. Eine Putzbrigade vernichtete schon am folgenden Tag alle Spuren, zahlreiche persönliche Gegenstände des Toten wurden ans UN-Büro nach Bogotá geschickt aber nicht an die Angehörigen überstellt – so auch eine blutbefleckte Computermaus. Die Schnitte an den Handgelenken Paciollas sind einer weiteren Recherche der italienischen Zeitung Repubblica zufolge so oberflächlich, dass ein Suizidversuch unwahrscheinlich ist – auch ein Koffer voller Geschenke für die Verwandten lässt diese Hypothese verpuffen. Eine zweite Autopsie, angeordnet von der italienischen Staatsanwaltschaft, soll nun Klarheit bringen.

Bereits im November 2019 hatte Paciolla den Recherchen zufolge nach einem Hackerangriff seine Einträge im Internet und Profile in sozialen Netzwerken teilweise gelöscht, Sicherheitskopien seines Computers angefertigt und um seine Versetzung an einen anderen Ort gebeten, aber erfolglos. San Vicente del Caguán ist ehemalige Hochburg der inzwischen demobilisierten und zur Partei gewandelten Farc-Guerilla. In der strategisch wichtigen Region sorgen Dissidenten und Drogenbanden aber für Unsicherheit. Und längst nicht alle in Kolumbien sind glücklich über den Frieden. In Armee und Politik, bis hoch in die Reihen der aktuellen, rechten Regierung unter Präsident Iván Duque, gibt es Gegner und Saboteure. Spannungen zwischen der UNO und der Regierung über die Arbeit und Kompetenzen der Friedensmission gab es schon bald nach Duques Amtsantritt im August 2018.

Die Wurzeln für Paciollas Schicksal gehen offenbar zurück auf einen Vorfall Ende August. Da griff das Militär ein Camp von Farc-Dissidenten an. Acht starben in der "einwandfreien Operation" (Präsident Duque). Paciolla war kurz danach zusammen mit UN-Kollegen vor Ort, um die Tragödie pflichtgemäß zu protokollieren. In dem vertraulichen internen Bericht, dessen Informationen später in einer Parlamentsdebatte auftauchten, ist die Rede von kurz zuvor zwangsrekrutierten Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren. Das Militär habe das sehr wohl gewusst, schon Tage zuvor hätten Familien und der örtliche Ombudsmann es angezeigt. Das Frühwarnsystem ist Teil des Friedensvertrags und sollte just dazu dienen, frühzeitig solche Krisen zu entschärfen. "Sie haben das Land angelogen und verschwiegen, dass sie unbewaffnete Kinder getötet haben", kritisierte der Abgeordnete Roy Barreras vor laufenden Kameras. Verteidigungsminister Guillermo Botero, der ein Gegner der UN-Mission war und deren Mandat nicht verlängern wollte, blieb nur der Rücktritt.

Vorwurf: UNO vernachlässigt Sicherheit der Mitarbeiter

Wer den Bericht weitergab, ist unklar. Offenbar war es nicht das erste Mal, dass Interna gefiltert wurden, auf die nur sehr wenige Funktionäre Zugriff hatten. Im Zentrum des Verdachts steht der ehemalige Kapitän und aktuelle Sicherheitsberater der UNO, Omar Cortes Reyes, ein langjähriger Geheimdienstmitarbeiter. Und auch der Chef der Verfizierungsabteilung, Raúl Rosende. Über seinen Schreibtisch laufen alle wichtigen Informationen, wohingegen dem Missionschef Carlos Ruiz Massieu vieles vorenthalten werde, weil dieser im Verdacht stehe, mit den Friedensgegnern zu sympathisieren. 
 
Über all diese Intrigen vernachlässigte die UNO wohl die Sicherheit ihrer Mitarbeiter. Mehrfach habe es deshalb Klagen gegeben, so der Bericht. Auch Paciolla wurde seinem Schicksal überlassen. “Sie machen mit uns Politik, was einzig dazu führt, dass unsere Mission von innen heraus ausspioniert wird”, sagte ein Freiwilliger der Journalistin. Von der UNVMC war keine Stellungnahme zu erhalten. Sie seien in einer Krisensitzung und hätten nichts weiter mitzuteilen, sagte eine Sprecherin am Donnerstag per whatsapp.

Autorin: Sandra Weiss

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