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Argentinien |

Kinder argentinischer Diktaturverbrecher kämpfen für Aufklärung

Während der Diktatur beherbergte der Militärstützpunkt "Campo de Mayo", nahe Buenos Aires, eines der geheimen Folterzentren. Eine Gedenktafel erinnert an die Opfer. Foto: Adveniat/Jürgen Escher
Während der Diktatur beherbergte der Militärstützpunkt "Campo de Mayo", nahe Buenos Aires, eines der geheimen Folterzentren. Eine Gedenktafel erinnert an die Opfer. Foto: Adveniat/Jürgen Escher

Von 1976 bis 1983 herrschte in Argentinien eine brutale Militärdiktatur. Linksgerichtete Politiker, Intellektuelle, Künstler, Lehrer, auch Geistliche wurden verfolgt, gefoltert und ermordet. Menschenrechtsorganisationen gehen von 30.000 Opfern aus.

Viele Militärs und Polizisten stehen heute vor Gericht. So auch der Vater von Liliana Furio. Gemeinsam mit anderen Angehörigen der Täter von damals kämpft sie für eine Aufarbeitung der Verbrechen. Die Gruppe setzt sich etwa für ein Aussagerecht der Angehörigen vor Gericht ein - auch wenn das bedeutet, sich gegen die eigene Familie zu stellen. Liliana Furio: "Wir wohnten in einer Militärsiedlung in der Provinz Mendoza. Draußen spielten wir mit den Kindern der anderen Militärs. Zu Hause war es gutbürgerlich: Meine Mutter kümmerte sich um uns Kinder, mein Vater ging arbeiten. Liebevoll war er nie, er bestrafte uns mit Schlägen. Ich war 13 Jahre alt, als die Diktatur in Argentinien begann. Einmal sagte mein Vater: 'Wir sind im Krieg mit Terroristen, die man töten muss, bevor sie uns töten.' Ansonsten sprach er nie über seine Arbeit."

Zugeständnisse ans Militär

1983 endete die Diktatur. In den 80er-Jahren wurde die Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen zunächst erfolgreich vorangetrieben, es kam zu zahlreichen Prozessen. Die Angst vor einem erneuten Militärputsch veranlasste die Regierung jedoch, zurückzurudern und Zugeständnisse an das Militär zu machen. Man wollte die junge Demokratie nicht gefährden. Furio: "Als die Diktatur vorbei war, kamen nach und nach die Verbrechen der Militärs ans Licht. Mein Vater winkte ab, die Menschenrechtsorganisationen würden lügen, so schlimm sei es nicht gewesen. Schon gar nicht in Mendoza. In einem Krieg gebe es nun mal Exzesse. Mein Vater war Geheimdienstchef der Armee von Mendoza, er schob alles auf seine Untergebenen. 2003 sagte ein Mann zu mir: 'Dein Vater ist ein Hurensohn.' Dieser Mann hatte ein Buch gelesen, in dem mein Vater als Täter erwähnt wurde. Ich war schockiert."

Kinder von Diktaturverbrechern schließen sich zusammen

Erst 20 Jahre später, unter Präsident Nestor Kirchner (2003-2007), wurden die gesetzlichen Grundlagen für eine Aufarbeitung geschaffen. Zahlreiche Prozesse wurden eröffnet. Furio: "Zu dieser Zeit lebten wir wieder in Buenos Aires. 2008 klingelten sie an der Tür und holten meinen Vater ab. Sie stellten ihn in Mendoza vor Gericht. Ich begann zu recherchieren. Ich las, was ich finden konnte. Es war traumatisch. In Mendoza waren Menschen gefoltert worden; Regimegegnerinnen wurden ihre Babys entrissen, bevor sie selbst getötet wurden. Mein Vater war Befehlshaber! Ich verspürte nur noch Scham."

Furio, heute 55 Jahre alt und Mutter von drei Kindern, fühlte sich in dieser Zeit sehr einsam. Bis sie Analia Kelinec kennenlernte, ebenfalls Tochter eines Täters aus der Diktaturzeit. Gemeinsam gründeten sie vor einem Jahr die Gruppe "Historias Desobedientes" - Ungehorsame Geschichten. Über das Internet fanden sie weitere Töchter und Söhne, die mit ihrer Vergangenheit und Scham allein waren. Heute zählt die Gruppe bereits 80 Personen. Am Jahrestag des Militärputsches im März marschierten sie erstmals offiziell gemeinsam mit den Angehörigen der Opfer durch Buenos Aires.

Kinder dürfen nicht gegen Eltern aussagen

Furio: "Mein Vater wurde bislang zweimal zu lebenslanger Haft verurteilt. Weitere Prozesse laufen. Da die Gefolterten in der Regel Augenbinden trugen, hat ihn niemand - etwa mit einem Elektroschocker - gesehen. Aber es ist gut möglich, dass er bei der Folter dabei war. Seine Mitverantwortlichkeit ist durch seinen hohen Rang unbestritten." Die Dokumentarfilmerin Furio selbst kann trotz ihrer Recherchen keine Beweise gegen ihren Vater vorlegen - auch weil er sich über seine Taten ausschwieg. Andere Mitglieder der Gruppe könnten das mit Blick auf ihre Verwandten sehr wohl. Furio: "In unserer Gruppe gibt es Leute, die Unglaubliches zu berichten haben. So erzählte ein Militärarzt seinem Sohn, dass er Regimegegnern Betäubungsspritzen setzte, bevor man sie ins Meer warf. Der Sohn darf dies jedoch als Zeuge vor Gericht nicht vortragen. Das argentinische Recht verbietet, dass Kinder gegen ihre Eltern aussagen."

Der Schmerz, Tochter eines Mörders zu sein

Diesen Umstand will die Gruppe ändern. Im vergangenen November beantragte sie im Parlament eine entsprechende Änderung des Strafgesetzbuchs. Die Töchter und Söhne wollen mit ihren Aussagen dazu beitragen, die Menschenrechtsverbrechen aus der Diktaturzeit aufzuklären - und damit auch ihre Verwandten zur Verantwortung ziehen. Was macht das mit den Familien? Furio: "Mein Vater ist 85 Jahre alt, dement und steht unter Hausarrest. Als er noch gesund war, bat ich ihn 2013, dass er aufzuklären hilft, wo die vermissten Leichen vergraben liegen. Er antwortete, dass er überhaupt nichts bereue. Daraufhin brach ich den Kontakt eine Zeit lang ab. Heute helfe ich meinen Geschwistern, den alten Mann zu pflegen. Der Schmerz aber, den ich als Tochter eines Mörders habe, wird mich bis an mein Lebensende begleiten."

Quelle: KNA, Autorin: Camilla Landbö

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