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Kandidaten im Fadenkreuz: Mexikos brutaler Wahlkampf

Kurz vor den Wahlen Anfang Juni versinkt Mexiko in einer Welle der Gewalt: 88 Politikerinnen und Politiker wurden in diesem Wahlkampf bereits ermordet. Besonders Bürgermeisterkandidaten leben gefährlich.

Vor der Staatsanwaltschaft in Ciudad Juárez in Mexiko erinnern Kreuze an Vermisste. Foto (Symbolbild): Adveniat/Jürgen Escher

Vor der Staatsanwaltschaft in Ciudad Juárez in Mexiko erinnern Kreuze an Vermisste. Foto (Symbolbild): Adveniat/Jürgen Escher

"Heute ist ein besonderer Tag", sagt Alma Barragán aufgeregt in die Kamera. Mit dem am Dienstag veröffentlichten Video lud die Kandidatin für den Bürgermeisterposten in der zentralmexikanischen Stadt Moroleón ihre Anhänger zu einer Wahlkampf-Veranstaltung ein. Es sollte ihr letztes Video sein: Kurze Zeit später lag die 61-Jährige auf einer Bahre - mit mehreren Kugeln erschossen.

Mexiko befindet sich derzeit auf der Zielgeraden der Parlaments-, Regional- und Lokalwahlen am 6. Juni. Barragán, von der mitte-links angesiedelten Bürgerbewegung, ist der Consulting-Firma Etellekt zufolge bereits die 88. Kandidatin, die in diesem Wahlkampf ermordet wurde.

"Sicherheitsstrategie gescheitert"

Präsident Andrés Manuel López Obrador drückte am Mittwoch in seiner morgendlichen Pressekonferenz sein Bedauern über ihren Tod aus und machte das organisierte Verbrechen für den Mord verantwortlich. Dass die Mafia in Wahlkämpfen mitmischt, eigene Kandidaten aufstellt und andere ermordet, ist nicht neu in Mexiko, betonen Analysten. "Aber es zeigt, dass auch diese Regierung dem Problem der Gewalt nicht Herr wird", sagt der Sicherheitsexperte Alejandro Hope im Gespräch mit der DW.

Der Universitätsprofessor und Politikberater Rubén Aguilar pflichtet dem bei: "Die Gewalt gegen Wahlkandidaten ist genauso gestiegen wie die Gewalt im ganzen Land. Mit 85.000 Toten in den vergangenen drei Jahren hat sie einen neuen Höhepunkt erreicht. Das zeigt: Die Sicherheitsstrategie ist gescheitert."

Barragán war in ihrer Heimatgemeinde nicht als Favoritin gestartet, aber durch ihre frische, unkonventionelle Art erfuhr sie in den vergangenen Wochen großen Zulauf. Von Drohungen gegen sie war nichts bekannt gewesen; ihre Heimatstadt allerdings liegt in dem von Mafiagruppen besonders umkämpften Bundesstaat Guanajuato.

Bürgermeister im Visier der Mafia

Ihre Ermordung, am helllichten Tag während einer Wahlkampfveranstaltung, ist eine von vielen in einer Spirale politischer Gewalt: Am selben Tag überlebte im Badeort Acapulco der Bürgermeisterkandidat Alberto Alonso ein Schusswaffen-Attentat in seinem Auto. In Jalisco erhielt Bürgermeisterkandidat Pedro Kumamoto einen abgetrennten Schweinskopf als Drohung.

Bürgermeisterkandidaten gerieten häufiger ins Visier der Mafia als andere Politiker, sagt Sicherheitsexperte Hope, weil sie für die organisierte Kriminalität gleich in dreierlei Hinsicht wichtig seien: "Zum einen ist die Kontrolle der Gemeindepolizei von strategischer Bedeutung. Dann sind Bürgermeisterämter Informationsquellen über die wirtschaftliche Situation der Anwohner, was wiederum wichtig ist für die Schutzgelderpressung. Zum dritten geht es darum, von der Gemeinde Geld zu erpressen oder öffentliche Aufträge zu bekommen."

Demokratie in Gefahr?

Nach Angaben der Consulting-Firma Etellekt ist dies die zweitblutigste Wahlkampagne seit dem Jahr 2000. Noch brutaler ging es nur 2018 zu, als der jetzige Staatschef Andrés Manuel López Obrador und seine Sammelbewegung Morena die Macht in Mexiko-Stadt eroberten. In ihrem vierten Lagebericht von Anfang Mai warnt Etellekt, dass die politische Gewalt ein Attentat auf die Demokratie darstelle und die Integrität, Unabhängigkeit und Autonomie der künftigen Autoritäten kompromittiere.

Hope, der zwischen 2008 und 2011 im mexikanischen Sicherheits- und Verfassungsschutz (CISEN) arbeitete, sieht das anders: „Die weit überwiegende Mehrheit der Bezirke sind friedlich, die Gewalt ist fokussiert, und oftmals geht sie nicht vom organisierten Verbrechen aus, sondern von politischen Gegnern oder wurzelt in sozialen Konflikten." Auch Politikberater Aguilar sieht nicht die Demokratie als Ganze in Gefahr: "Es geht um 22.000 Ämter, 88 Tote sind ein relativ kleiner Prozentsatz, aber es ist nichtsdestotrotz eine Tragödie für die mexikanische Demokratie." Neben der Mafia sieht auch er, gegnerische Kandidaten oder andere Gruppen aus der eigenen Partei, die ihre Pfründe bedroht sehen, als Treiber der Gewalt.

Problem erkannt - aber nicht gebannt

Die derzeitige Regierung hat Hope zufolge das Problem zwar erkannt, aber keine effektive Strategie gefunden, um die Gewalt zu unterbinden: "Die Schutzmechanismen, die Politiker - ähnlich wie bedrohte Journalisten und Menschenrechtler - anfordern können, sind rein reaktiv statt präventiv", kritisiert der Sicherheitsexperte. Morde sind ihm zufolge nur die Spitze des Eisbergs. Die zweite, weniger sichtbare Methode der Mafia sei die Wahlkampffinanzierung: "Die Wahlbehörden haben Kontrollmechanismen entworfen. Aber die sind meiner Meinung nach nicht ausreichend. In die Kampagnen fließt weiterhin ein Ozean von Schwarzgeld."

Aguilar hält die Sicherheitsstrategie der Regierung für verfehlt: "Die Straffreiheit liegt bei Morden bei 98 Prozent. Jeder Täter kann also davon ausgehen, dass er nicht belangt wird." Unfähigkeit der Strafverfolgungsbehörden sei dafür ein Grund, es fehle aber auch an politischem Willen.

Wie wenig Gewicht dem Thema beigemessen wird, erfuhr dieser Tage eine Beobachtermission des nordamerikanischen Delian-Projekts, die mehrere Wochen im Land war. Jean-Pierre Kingsley, ehemaliger Leiter der kanadischen Wahlbehörde, äußerte sich danach besorgt über Stimmen- und Kandidatenkauf, die Spannungen zwischen der Regierung und der Wahlbehörde und über den Einfluss der Kartelle und ihre faktische Kontrolle über einige Regionen. Die Missionsteilnehmer hatten mit zahlreichen Institutionen und Parteien gesprochen, waren jedoch weder von der Regierungspartei Morena noch von Außenminister Marcelo Ebrard empfangen worden. Ein Zufall?

Zwielicht in der Regierungspartei

Auch die Regierungspartei geht nicht gerade mit gutem Beispiel voran: Im Jahr 2015 wurde der Bruder des aktuellen Präsidenten, Pio López Obrador, gefilmt, wie er Umschläge voller Bargeld entgegen nimmt - mutmaßlich zur Wahlkampffinanzierung.

Bislang erbrachten die Ermittlungen noch kein Ergebnis. Aber Kandidaten der Regierungspartei Morena stehen auf Fahndungslisten der USA, darunter der Bürgermeisterkandidat von Huetamo im Bundesstaat Michoacán, Rogelio Portillo Jaramillo, der von der US-Antidrogenbehörde DEA gesucht wird. Der Schwiegervater von Evelyn Salgado, Gouverneurskandidatin in Guerrero, wurde wegen organisierter Kriminalität festgenommen, auch gegen ihren Mann und ihren Vater wurde deshalb ermittelt - jedoch ergebnislos.

Quelle: Deutsche Welle, Sandra Weiss

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