Jose Serra steigt in den Ring
Lange Zeit hatte er sich geziert offiziell in den Ring zu steigen. Doch seit dem 10. April ist Jose Serra Kandidat der großen Oppositionsparteien für die Nachfolge von Luiz Inacio Lula da Silva im Präsidentenamt. Dabei war es stets ein offenes Geheimnis dass es Serras Lebenstraum ist sich die präsidentielle Schärpe umzuhängen. Und dafür kupfert der 68jährige jetzt sogar bei Barack Obama ab.
"Brasilien kann mehr!" Gebetsmühlenartig wiederholte Jose Serra diese Phrase in seiner Nominierungsrede. Neunmal, um genau zu sein. Der Slogan ähnelt doch sehr Obamas "Yes, we can", schrieb die Presse am Tag darauf, an dem die Titelseiten der wichtigsten Zeitungen des Landes einen lächelnden Jose Serra zeigten, mit ausgebreiteten Armen den Applaus seiner Anhänger entgegen nehmend.
Serra sei nicht mehr der trockene Technokrat der in den Wahlen 2002 gegen Lula den Kürzeren zog, urteilen Experten. Damals wirkte er steif in seinem stets zugeknöpften dunklen Anzug, und der ermahnend erhobene rechte Zeigefinger verlieh ihm die Aura eines Oberstudienrates. Lula war es in den TV-Duellen ein Leichtes Serra mit flachsigen Bemerkungen lächerlich erscheinen zu lassen. Planungs- und Gesundheitsminister unter Präsident Fernando Henrique Cardoso (1995 bis 2002), der ihn zu seinem Nachfolger aufbaute, versprühte Serra neben der Charismamaschine Lula den Charme eines verkrampften Buchhalters. Doch Serra 2010 ist anders.
Heute trägt er ein legeres blaues Hemd, die Ärmel sind hochgekrempelt. Eine Stunde lang hat er auf dem Nominierungsparteitag frei geredet, die Anhänger dabei zu Begeisterungsstürmen hingerissen. Der früher oft abweisend wirkende Serra hat dazu gelernt. Basisarbeit hatte er sich nach 2002 auferlegt, sich zuerst das Amt des Bürgermeisters von Sao Paulo erkämpft und danach das des Gouverneurs des Bundesstaates Sao Paulo. 41 Millionen der 190 Millionen Brasilianer leben hier, und wer Präsident werden will, muss hier punkten.
Der Rückzug in seine Heimat Sao Paulo erscheint heute als kluger Schachzug. Bei den Präsidentschaftswahlen 2006 ließ er Geraldo Alckmin, seinem schärfsten innerparteilichen Gegenspieler, gerne den Vortritt. Serra war klar dass Amtsinhaber Lula nicht zu schlagen war. Dafür konnte er sicher sein dass Alckmin sich von der Wahlschlappe nie wieder voll erholen werde. 2010 steht die PSDB, eine rechts angehauchte Spielart der Sozialdemokratie, nun geschlossen hinter Serra, und mit ihr die wichtigsten Oppositionsparteien.
In Sao Paulo hat Serra vor allem riesige Infrastrukturprojekte durchgeboxt, die Investitionen in den Straßen- und Metrobau erhöht, in Bereichen wie Bildung und im Gesundheitswesen jedoch eine strikte Sparpolitik eingelegt. Ansonsten beschränkte er sich darauf nichts großartig falsch zu machen. Der Regierung Lula gegenüber war er um eine freundliche Arbeitsathmosphäre bemüht; mit Dilma Rousseff, ehemals Lulas rechte und linke Hand und jetzt die offizielle Kandidatin auf die Nachfolge ihres Chefs, arbeitete er angeblich sehr gut zusammen.
Der Ton Dilma gegenüber wird im Wahlkampf allerdings härter werden. Dezente Seitenhiebe gegen die in den Umfragen immer näher rückende ehemalige Guerrilhakämpferin hat Serra bereits in seiner Nominierungsrede abgegeben. Er werde nicht zulassen dass man Brasilien in zwei Lager dividiere, in "Arm gegen Reich", in "Nord gegen Süd". Serra will dem Volke suggerieren dass die ehemalige Trotzkistin Rousseff genau dies vorhabe.
Dabei verbindet beide der Kampf gegen die Militärdiktatur (1964 bis 1985). Doch während Dilma den Widerstand an der Heimatfront leistete, verbrachte Serra die meiste Zeit im Exil. Dort widmete sich der Sohn italienischer Einwanderer der Studium der Wirtschaftswissenschaften, während Dilma in den heimischen Gefängnissen gefoltert wurde. Durch Fleiss und Strebsamkeit habe er sich hochgearbeitet, so Serra. Sein Vater habe als Händler auf den Märkten Sao Paulos Gemüsekisten geschleppt damit sein Sohn Jose einmal Bücherkisten schleppen könne, erzählt er immer wieder.
Serra als Idealbild des Bildungsbürgers. Damit will er bei den konservativen Teilen der Mittelschicht punkten. Denen gefällt es gar nicht wie sehr Lula und seine Arbeiterpartei PT in Sozialprogramme für die untersten Schichten investiert haben, was Lula rekordverdächtige Sympathiewerte von 85% bescherte. Genau hier muss und will Serra ansetzen. Die Sozialprogramme Lulas lobt er und verspricht sie beizubehalten. Gleichzeitig denunziert er sie in seinem Diskurs als Robin-Hood-haften Versuch den reichen Süden zugunsten des armen Nordens zu melken. Inmitten günstiger Nachrichten aus der Wirtschaft bleibt Serra allerdings auch nur die Flucht nach vorne. Lulas offensichtliche Erfolge zu verneinen wäre sinnlos. Er sei derjenige der da noch etwas drauf packen kann, so Serra. "Brasilien kann mehr!".
Fürchten muss sich Serra jedoch vor der Absicht der PT, die Wahlen im Oktober in einen Volksentscheid über die Regierung Lula (2003 bis 2010) versus die Regierung Fernando Henrique Cardoso (1995 bis 2002) zu verwandeln. "10 x 1" gewinne die Lula-Regierung diesen Vergleich, so Dilma Rousseff vor einigen Wochen. Serra will dieses Plebiszit auf alle Fälle vermeiden. So fordert er in seiner Kandidatenrede die Zuhörer auf in die Zukunft zu schauen und nicht kleinlich über die Vergangenheit zu diskutieren. Ob diese Strategie aufgeht wird man spätestens im Oktober sehen. Derzeit liegt Serra bei den wohlwollenden Wahlforschern bei 38%, gegenüber 32% für Dilma. Andere Umfragen sehen beide gleichauf. Beunruhigen dürfte Serra die Erinnerung an die Wahlen 2002. Damals verlor er mit den gleichen 38% gegen Lula.
Autor: Thomas Milz