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Interview zu Wahlen in Venezuela: "Juan Guaidós Zeit ist abgelaufen"

Venezuelas Präsident Nicolás Maduro hat die Parlamentswahlen mit 67,6 Prozent gewonnen. Doch die Wahlbeteiligung war gering, die Bedingungen nicht fair. Andrés Cañizález, Politikwissenschaftler und Journalist, analysiert im Interview, was das Ergebnis nun bedeutet. 

Der venezolanische Politikwissenschaftler und Journalist Andrés Cañizález. Foto: privat 

Blickpunkt Lateinamerika: Herr Cañizález, nach den Parlamentswahlen in Venezuela inszeniert Machthaber Nicolás Maduro, wie zu erwarten, den Wahlsieg als großen Triumph. Der Oppositionsführer, Juan Guaidó, behauptet hingegen das Gegenteil: Die Mehrheit der Venezolaner hätte Maduro und seinem Wahlbetrug den Rücken gekehrt. Wer hat recht?

Andrés Cañizález: Wenn man der regierungsnahen Wahlbehörde "Consejo Nacional Electoral" glaubt, dann haben rund 31 Prozent der Venezolaner abgestimmt. Es gibt aber auch unabhängige Untersuchungen, die nahelegen, dass wahrscheinlich nur 18 bis 19 Prozent der Bürger zur Wahl gegangen sind. In beiden Fällen war die Wahlbeteiligung die niedrigste seit vielen Jahren.

Das zeigt, dass die Ablehnung von Maduro enorm ist. Sie reicht sogar bis hin zu den eigenen Anhängern, den Chavisten. Nicht nur glühende Befürworter der Opposition oder von Juan Guaidó sind nicht zur Wahl gegangen. Das ist erstaunlich, denn es gab sogar Drohungen des Regimes, um die Menschen zum Wählen zu bewegen. Die Nummer Zwei des Regimes, Diosdado Cabello, sagte: "Wer nicht wählen geht, bekommt nichts mehr zu essen." Trotzdem blieben so viele Venezolaner der Wahl fern. Das ist in keinem Fall ein Sieg für die Regierung. 

Trotzdem wird es die institutionelle Krise noch verstärken – und der Chavismus wird weiterhin die Gesellschaft beherrschen.

Das liegt auch daran, dass der bisherige Oppositionsführer Juan Guaidó mit den Wahlen seinen Posten als Präsident der Nationalversammlung ("Asamblea Nacional") verlieren wird. Damit dürfte es für die über 50 Länder, die ihn immer noch als Übergangspräsidenten stützen, schwer werden, das zu rechtfertigen. Glauben Sie, dass es von der Opposition trotzdem geschickt war, die Wahl zu boykottieren?

Der Boykott der Wahl ist eine Sache. Was schwerer wiegt, ist, dass es der Opposition nicht gelungen ist, die mehrheitliche Ablehnung von Maduro gezielt zu lenken, um dem Chavismus politisch etwas entgegenzusetzen. Guaidó und seine Verbündeten haben es nicht geschafft, eine echte Gegenbewegung mit gezielten Aktionen ins Leben zu rufen.

Sogar die Bischofskonferenz in Venezuela, die traditionell dem Chavismus kritisch gegenübersteht, hat im Oktober eine Erklärung abgegeben, die innerhalb der Opposition umstritten war. Darin hieß es sinngemäß, "nur nicht zur Wahl zu gehen, das ist nicht genug." Darin liegt der Schlüssel. Guaidó und seinen Mitstreitern ist jedoch leider keine einheitliche Strategie eingefallen.

Guaidó hat allerdings zu einer Volksabstimmung aufgerufen, die seine Zeit als Präsident der Nationalversammlung über die Parlamentswahlen hinaus verlängern soll. Ist das realistisch?

Nein, ich glaube nicht: Zum einen ist die Volksabstimmung nicht gut organisiert. Zum anderen befürchte ich, dass es für viele Menschen schwer sein wird, daran teilzunehmen, weil es sich um eine Online-Umfrage handelt. In einem Land, in dem das Internet dauernd ausfällt und kaum funktioniert, dürfte das ein Hindernis sein. Stattdessen werden die Chavisten die physische Kontrolle der Nationalversammlung übernehmen.

Ich glaube, die Zeit von Juan Guaidó ist abgelaufen. Hinzu kommt, dass auch in den USA ein Machtwechsel bevorsteht. Trump zählte lang als größter Unterstützer von Guaidó. Dieser hat sich stark von Trump abhängig gemacht. Der Regierungswechsel könnte ihm jetzt zusätzlich schaden. Denn mit einem neuen Präsidenten könnten die USA ihre außenpolitische Strategie ändern.

Was hätte die Opposition besser machen können?

Ich glaube, es wäre besser gewesen, wenn die Mehrheit der Opposition nicht von vornherein gesagt hätte, wir boykottieren die Wahl einfach. Vielleicht hätten sie versuchen sollen, zuerst fairere Konditionen für die Abstimmung zu fordern und erst, wenn das nicht funktioniert hätte, hätten sie gemeinsam der Wahl fernbleiben können.

Einige Stimmen innerhalb der Opposition, wie der prominente Politiker Henrique Capriles, forderten genau das. Doch es wirkt so, als sei die Opposition untereinander stark zerstritten und nicht besonders gut organisiert.

Mit der Opposition in Venezuela ist es etwa so, wie wenn man vier Katzen in einen großen Sack wirft, und diese dann unmittelbar anfangen zu kämpfen. Das ist das Bild, das heute viele Venezolaner von den verschiedenen Politikern der Opposition haben.

Sie haben es eigentlich nie geschafft eine strategische Einheit zu bilden, um klare politische Ziele zu formulieren.

Gibt es in Venezuela dann überhaupt noch Hoffnung auf einen Machtwechsel?

Meine Hypothese ist, dass ein Teil innerhalb der Chavisten, die unzufrieden mit der Situation sind, zu einem Wandel beitragen könnte. Allerdings sehe ich aktuell keine Person, die dabei wirklich die Führung übernehmen könnte.

Auch nicht innerhalb der Opposition. Doch man sollte sich erinnern, dass vor zwei Jahren auch Juan Guaidó nur ein relativ unbekannter Abgeordneter war. Nur kurze Zeit später wurde er von vielen als Interimspräsident in Venezuela anerkannt. Was ich damit sagen will, ist, dass sich Dynamiken schnell ändern können, die neue Möglichkeiten eines Wandels denkbar machen. 

Das Gespräch führte: Julian Limmer 

Zur Person: Andrés Cañizález ist promovierte Politikwissenschaftler und Journalist. Er forscht an der katholischen Universität Andrés Bello in Caracas und arbeitet für den Radiosender "Fé y Alegría", der vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat unterstützt wird. Zudem ist er Direktor der venezolanischen NGO Medianálisis, die sich unter anderem für Meinungsfreiheit einsetzt.

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