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Guatemala |

Interview: "Niemand steht über dem Gesetz"

Am heutigen 3. September endet das Mandat der UN-Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG). Das Mandat der überaus erfolgreichen UN-Ermittler wurde im August 2017 vom noch amtierenden Präsidenten Guatemalas, Jimmy Morales Cabrera, nicht verlängert. Die CICIG hatte gegen ihn ein Verfahren wegen illegaler Wahlkampffinanzierung eingeleitet. Ein Interview mit dem Direktor von CICIG, Iván Velásquez Gómez.

Iván Velásquez Gómez (64), Direktor der UN-Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) und ehemaliger kolumbianischer Richter. Der 64-Jährige lebt seit einigen Monaten wieder in Bogotá, von wo er den Abzug der CICIG aus Guatemala koordiniert. Foto: cicig.org

Die UN-Kommission gegen die Straflosigkeit (CICIG) wird am 3. September Guatemala nach rund zwölf Jahren verlassen. Was ziehen Sie für eine Bilanz?
 
Ich denke, dass die CICIG eine sehr interessante und lehrreiche Erfahrung war. Natürlich hat es harten und letztendlich erfolgreichen Widerstand all jener gegeben, gegen die wir ermittelt haben und die Angst vor Ermittlungen hatten. Das hat zum Ende der CICIG geführt und das lässt sich als verlorene Chance für Guatemala bezeichnen. Ich bin aber der Meinung, dass das nur die halbe Wahrheit ist, denn wir haben in den letzten Kongresswahlen durchaus gesehen, dass sich die Verhältnisse zumindest im Parlament verändert haben – neue politische Kräfte, aber auch alte Parteien, die sich für die Demokratisierung engagieren, haben Erfolge verbucht. Ich hoffe, das ist der Auftakt für einen langsamen Transformationsprozess. 
 
Dem steht mit Alejandro Giammattei ein frisch gewählter Präsident gegenüber, der ähnlich wie der noch amtierende Präsident Jimmy Morales enge Beziehungen zum Militär pflegt und auch im ökonomischen Establishment des Landes gut vernetzt sein soll. Das spricht nicht unbedingt für Ihre These. Was lässt sich denn aus dem Experiment  CICIG lernen? Die galt schließlich als Modell für die gesamte Region.
 
Diese Länder sind weder zur Korruption noch zur Straflosigkeit verurteilt. Der Grundsatz, dass niemand über den Gesetzen steht, hat in Guatemala durch die gemeinsame Arbeit von CICIG und Generalstaatsanwaltschaft neue Glaubwürdigkeit erhalten. Korruption und Straflosigkeit auf institutioneller Ebene wurden dank einer ganzen Reihe von Prozessen zurückgedrängt. Das ist eine zentrale Erfahrung der CICIG. Grundsätzlich muss jedoch die Bevölkerung entscheiden, in welche Richtung sie gehen möchte. 
 
Ist die Bevölkerung denn dazu in der Lage? In Guatemala, in Honduras oder auch in Ihrem Heimatland Kolumbien prägen viele falsche Informationen die öffentliche Meinung  - nicht nur vor den Wahlen. 
 
Das ist ein gravierendes Problem – die Bevölkerung ist nicht gut informiert. In Guatemala tauchen immer wieder Fake-News auf. Ein Beispiel: im Wahlkampf wird immer wieder vor einer Bedrohung durch den Kommunismus gewarnt. Diese Falschmeldung ist eine Trumpfkarte des konservativen Lagers und kam auch im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im August zum Einsatz. Sie wurde aber auch schon gespielt, um Ermittlungen der CICIG zu unterbinden oder Fortschritte im Justizministerium in Frage zu stellen. 

Da gibt es eine Parallele zu Kolumbien. Hier wurden im Vorfeld des Referendums über das Friedensabkommen zwischen der Farc und der Regierung eine ganze Reihe von Fake-News gestreut, die letztlich dazu beitrugen, dass die Mehrheit gegen das Friedensabkommen stimmte. So zum Beispiel kursierte die Falschmeldung, dass im Friedensabkommen die gleichgeschlechtliche Beziehung auf eine Stufe mit der Ehe gestellt werden solle. Mehrere Millionen Wähler der katholischen und evangelikalen Kirchen stimmen dann gegen die Unterzeichnung des Friedensabkommens. Das wäre in einer besser informierten, besser gebildeten Gesellschaft sicherlich nicht passiert. Wir brauchen eine bessere, demokratischere Bildung in Lateinamerika. 
 
Welche Rolle spielen die Medien in diesem Kontext? Welche Erfahrungen haben Sie und die CICIG in Guatemala gemacht?
 
Mit den Printmedien in Guatemala haben wir gute Erfahrungen gemacht. Anders sieht es beim Fernsehen und beim Radio aus. Die befinden sich oft in den Händen einiger weniger Konzerne und sind für die Verbreitung von Fake News und die Verfälschung der Wahrheit mitverantwortlich. Für dubiose Politiker wie Unternehmer sind zudem die sozialen Netzwerken eine wichtige Bühne – das ist ein kaum zu unterschätzendes Problem.
 
Wie lässt sich dem begegnen?
 
Gute Frage, es fehlt an Konzepten. Grundsätzlich benötigen wir nicht nur de jure, sondern de facto die Unabhängigkeit der Justiz – nach innen und nach außen. Das ist ein strukturelles
Problem, das Reformen nötig macht. Die hat die CICIG versucht zu initiieren. Sowohl auf Verfassungs- als auch auf Ausbildungsebene haben wir uns engagiert, um das Prinzip der Unabhängigkeit der Justiz stärker zu verankern. Das ist essentiell, um bei der Korruptionsbekämpfung voranzukommen. Heute spielt die Korruptionsbekämpfung im öffentlichen Diskurs zwar eine wichtige Rolle, aber in der Praxis kommt sie nur schleppend voran. 
 
Klingt nach einer großen Aufgabe. Welche Rolle kann in diesem Kontext eine UN-Kommission wie die CICIG spielen? Sie hatte in Guatemala enormen Erfolg, scheiterte aber letztlich an den Strukturen innerhalb des Landes. Sind neue Strategien nötig?
 
Die zentrale Herausforderung ist die Demokratisierung der Gesellschaft. Ziel muss es sein, einen sozialen und demokratischen Rechtsstaat aufzubauen. In diesem Kontext ist die Justiz jedoch nur ein Element. Sie kann zu diesem Prozess beitragen, aber ihn nicht allein auf den Weg bringen. Ein unabhängiges Mediensystem und eine partizipative Gesellschaft, die sich engagiert, sind genauso wichtig. Erst das Zusammenspiel dieser drei Faktoren lässt die Transformation einer klientelistischen, korrupten Gesellschaft in eine demokratische möglich erscheinen. Eine Kommission wie die CICIG kann in diesem Kontext Visionen beisteuern, Prozesse unterstützen. Durchsetzen müssen diese Prozesse jedoch die lokalen Institutionen und die Gesellschaft hinter ihnen.
 
In Guatemala sind diese Prozesse steckengeblieben – welche Rolle spielen die USA dabei?
 
Die USA haben ihre Unterstützung für die CICIG in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgefahren. Aus meiner Sicht ein Eigentor, denn steigende Migrantenzahlen sind für mich eine direkte Konsequenz der omnipräsenten Korruption in Guatemala. Nur ein Beispiel: in Guatemala sind nahezu die Hälfte der Kinder chronisch unterernährt. Diese Lebensrealität führt zwangsläufig dazu, dass Menschen nach besseren Lebensbedingungen suchen und auswandern. Ein weiterer Faktor, der die Migration anheizt, ist der Drogenhandel. Ganze Regionen und die dortigen Institutionen werden von den Narcobanden kontrolliert. Das belegt die Tatsache, dass von den 1.400 Tonnen Kokain, die 2017 über Guatemala in Richtung USA geschmuggelt wurden, nur ein Prozent von Polizei und Militär beschlagnahmt wurden – laut offiziellen Zahlen. Angesichts dieser Verhältnisse wäre ein Wandel in der US-Politik nur logisch. Doch er scheint sehr weit entfernt.
 
Ende 2015, Anfang 2016 hatte die CICIG ein enormes Ansehen in Guatemala. Der im Januar 2016 vereidigte Präsident Jimmy Morales war als Kämpfer gegen die Korruption in den Präsidentenpalast gewählt worden und wollte das Mandat der CICIG auf Jahre im Voraus verlängern. Dann haben Staatsanwaltschaft und CICIG gegen Familienangehörige des Präsidenten ermittelt – ein strategischer Fehler?
 
Nein, wenn es den Grundkonsens gibt, dass niemand über dem Gesetz steht, dann muss dieser Grundkonsens auch in der Realität durchgesetzt werden. Ausnahmen hätten nach innen und nach außen einen verheerenden Effekt. Für mich ist es keine Option, aus politischem Kalkül die Mächtigen unangetastet zu lassen. Das wäre ein Rückschritt in genau die Strukturen gewesen, die wir bekämpfen, und somit eine Verletzung des UN-Mandats.
 
Ist die CICIG ein Opfer ihres Erfolges?
 
Ja, natürlich. Der Druck auf die CICIG nahm zu, als wir Ermittlungsverfahren wegen Kooptation, also die Übernahme von staatlichen Institutionen durch korrupte Strukturen, vorlegten. Da verständigten sich einflussreiche Kreise auf ein gemeinsames Vorgehen gegen die CICIG, weil sie sich bedroht fühlten. Sie hatten begriffen, dass sie nicht unantastbar waren, wie in der Vergangenheit. Hätten wir uns damals an die mittlere Ebene in Politik und Wirtschaft gehalten, wäre das toleriert worden – aber noch einmal: Niemand steht über dem Gesetz. 

Interview: Knut Henkel

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