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Honduras |

Interview: Honduraner sind Opfer verfehlter Politik

Víctor Fernández (45) hat bis 2008 als Staatsanwalt in Honduras gearbeitet. Mittlerweile vertritt er als Anwalt vor allem soziale Bewegungen, unter anderem auch die Familie der Umweltaktivistin Berta Cáceres, die am 2. März 2016 von Auftragskillern in ihrem Haus ermordet wurde. Der Fall sorgte für internationale Aufmerksamkeit, ist aber immer noch nicht aufgeklärt. 

Víctor Fernández ist Anwalt in Honduras und vertritt die Familie der ermordeten Umweltaktivistin Berta Cáceres vor Gericht. Foto: Markus Dorfmüller

Víctor Fernández ist Anwalt in Honduras und vertritt die Familie der ermordeten Umweltaktivistin Berta Cáceres vor Gericht. Foto: Markus Dorfmüller

Blickpunkt Lateinamerika: Herr Fernández, die erste Karawane von Migranten hat Mitte Januar San Pedro Sula gen Norden verlassen. Werden weitere folgen - wie ist die Situation in San Pedro Sula?
 
Víctor Fernández: Die Karawane ist eine Konsequenz mehrerer Faktoren: Sie ist eine direkte Folge der Hurrikane, die über den Norden von Honduras hinwegzogen sind. Den beiden Hurrikanen Eta und Iota ging der "Hurrikan" der Verarmung, der Korruption und der Gewalt voraus – die Menschen wurden vom Staat über Jahre im Stich gelassen. 

Als die beiden Wirbelstürme dann über die Region hinwegzogen, zerstörten sie oft den letzten Besitz der Menschen, die nach San Pedro Sula flüchteten. In der Stadt campieren nach wie vor viele Menschen auf Gehwegen und Freiflächen. Hilfe von der Regierung kommt kaum an, so dass ich die Menschen eher als Vertriebene denn als Auswanderer begreife.
 
Für Sie sind diese Menschen also eher Opfer einen verfehlten Politik?
 
Ja, sie sind Opfer einer Politik, die ihnen Grundrechte vorenthält - in ihrem Heimatland und nun auch bei ihrem Versuch der Ausreise und des Neuanfangs. Ihr Recht auf Migration wird beschnitten, denn sie sollen, um nach Norden an die US-Grenze reisen zu können, einen negativen Covid-19 Test vorweisen. Das ist für diese extrem armen Menschen nahezu unmöglich, ihnen wird ein Grundrecht vorenthalten.  

In diesem Jahr stehen in Honduras Präsidentschaftswahlen im November an – werfen die schon ihren Schatten voraus?
 
Die Unsicherheit, wie es weitergeht, ist beinahe spürbar. Wahlreformen bleiben aus, Provokationen, Intransparenz, Gewalt und die Angst vor der Gewalt nehmen zu. 
 
Haben Sie die Hoffnung, dass die Präsidentschaft von Joe Biden in den USA einen positiven Effekt für Honduras haben könnte – im Kontext der Wahlen, aber auch beim Umgang mit den Migranten?
 
Ich wünsche mir das, aber ich habe nicht viel Hoffnung, denn die Beziehungen zwischen den USA und Honduras sind traditionell von ökonomischen Interessen und nicht von demokratischen Potentialen geprägt. Egal ob Demokraten oder wie zuletzt Republikaner: Sie stützten die Regierung und sie nahmen den Putsch von 2009 billigend in Kauf. Das sollten wir nicht vergessen. Selbst die engen Kontakte der Familie des Präsidenten Juan Orlando Hernández zum Drogenschmuggel hatten darauf keinen Einfluss.

Damit handeln die USA entgegen ihrer eigenen Interessen. Diese US-Politik heizt die Auswanderung doch an. Derzeit sind es jährlich 300.000 Menschen, die Honduras verlassen.
 
Ja, das ist widersprüchlich, aber es passt leider zur Interessenspolitik. Auf der einen Seite steht die Drogen- und Korruptionsbekämpfung, wozu auch die Stärkung der Justiz zählt – auf der anderen Seite werden Regierungen wie die von Juan Orlando Hernández unterstützt, obgleich US-amerikanischen Gerichten zufolge Beziehungen zum Drogenschmuggel bestehen. Der Bruder von Juan Orlando Hernández sitzt in New York wegen Drogenschmuggels in Haft, zudem stehen nach wie vor die Vorwürfe der Wahlmanipulation nicht nur bei der Wiederwahl von Juan Orlando Hernández im Raum. Das sind nur zwei Beispiele, wobei die omnipräsente Korruption gravierende Folgen für die Glaubwürdigkeit des demokratischen Modells hat. 
 
Das trägt sowohl zum internen Konflikt als auch zur Auswanderung bei.
 
Ja, das sind die Konsequenzen. Das sind die miesen Bedingungen, unter denen in Honduras gelebt wird und gelebt werden muss. Hier herrscht ein latenter Konflikt.

Gehören dazu auch die Angriffe auf Andersdenkende, auf Umweltaktivisten wie Berta Cáceres, die im März 2016 ermordet wurde? In den Weihnachtstagen wurde der 70-jährige Umweltaktivist Félix Vásquez vor den Augen seiner Familie erschossen. José Zembrano, ein weitere Umweltaktivist musste aus seinem Haus fliehen und sich in Sicherheit bringen. 

Die Situation von Umwelt- und Landrechts-Aktivistinnen und Aktivisten in Honduras ist prekär. Warum? Weil die Justiz schwach ist, die Straflosigkeit regiert und Täter wenig zu befürchten haben. Die Aktivistinnen und Aktivisten stehen oft einem Netzwerk von Unternehmen und korrupten Funktionären gegenüber, werden oft diskriminiert und stigmatisiert durch willfährige Medien. 

Dabei geht es um Konzessionen, Landrechte, Rohstoffe, Energieprojekte...?
 
Genau, es geht um den Ausverkauf des Landes und dabei auch um Territorien, die indigenen Völkern wie den Lenka gehören. Der 70-jährige Umweltaktivist Félix Vásquez war ein Lenka und hatte sich entschieden, für ein Mandat bei den Wahlen im November zu kandidieren. Das ist in Honduras ein Risiko, denn die staatlichen Institutionen, die ihn und andere schützen sollen, funktionieren nicht – unter anderem wegen Korruption und Interessenskonflikten. 
 
Sind das auch Gründe, weshalb der aufsehenerregende Prozess gegen die Mörder von Berta Cáceres nicht vorankommt?
 
Ja, ich denke schon. Wir kommen nicht an die intellektuell Verantwortlichen für diesen Mord an Berta heran, obwohl das nationale und internationale Interesse da ist. Das hat Folgen, denn wenn sogar so ein Fall in der Sackgasse landet, werden andere es auch. Das lässt die Straflosigkeit steigen. 

Wurden und werden internationale Standards in diesem Prozess verletzt?

Die Rechte der Opfer wurden verletzt, denn sie wurden vom Gericht zum Teil ausgesperrt. Auch der Zugang zu den Beweisen, der Zugang zu allen Informationen wurde den Anwälten nicht immer gewährt. Das ist eine Verletzung internationaler Standards. Derartige Fälle, die hohes öffentliches Interesse haben, genießen normalerweise Priorität.

Haben Sie die Hoffnung, dass sich mit den Wahlen im November die politische Landschaft in Honduras verändern könnte?
 
Nein, eigentlich nicht, denn die Grundlagen dafür sind nicht vorhanden. Zwar gibt es eine immense Unzufriedenheit in der Bevölkerung, aber die Wahlgesetze wurden nicht modifiziert, um einen Skandal wie 2017, wo Ergebnisse manipuliert wurden, auszuschließen. 

Interview: Knut Henkel

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