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Honduras |

Interview: „Die Lage in Honduras war noch nie so prekär“

Die Tropenstürme "Eta" und "Iota" haben Honduras hart getroffen. Der katholische Priester und Journalist Padre Melo erklärt im Interview, was das für seine durch Corona ohnehin gebeutelte Nation bedeutet – und wie es nach soviel Verwüstung weitergehen kann.

Die Tropenstürme "Eta" und "Iota" haben Honduras in einer ohnehin kritischen Phase erwischt: Rund 96.000 Menschen sind nun von der Außenwelt abgeschnitten, mindestens 38.000 befinden sich in Notunterkünften – und Dutzende starben während der Unwetter. Hinzu kommen die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie. Der katholische Priester, Journalist und Menschenrechtler Padre Melo  aus Honduras hat dieses mehrfache Drama selbst miterlebt.

Blickpunkt Lateinamerika: Wie ist die Situation aktuell in Honduras?

Padre Melo:Die Bevölkerung hatte sich noch nicht von dem ersten Tropensturm Eta erholt, der uns Anfang November traf, da kam auch schon der zweite, Iota. Und das alles mitten in der Pandemie. Die meisten Menschen konnten noch nicht in ihre überschwemmten Häuser zurückkehren und befinden sich in improvisierten Notunterkünften, wie Schulen, Kirchen und auch am Straßenrand. Wir konnten bisher nur Nothilfe leisten, was bedeutet: Menschen aus den überfluteten Gebieten holen, sie mit Essen versorgen.

Wer hilft da genau?

Wir, ERIC und Radio Progreso, haben das Netzwerk „Nothilfe und Solidarität“, kurz REDES, gegründet, zusammen mit weiteren sieben Organisationen. Wir versorgen 2.000 Familien mit Wasser und Essen.

Der Staat ist komplett abwesend. Eigentlich gibt es in Honduras eine Nothilfe-Kommission, die COPECO (Comisión Permanente de Contingencias), die für solche Katastrophen zuständig ist. Da sind Gemeindeverwaltungen, Militär, Polizei, Gesundheitsministerium angeschlossen – aber sie funktioniert nicht. Ich war persönlich dort, weil wir uns ihnen anschließen wollten, habe aber niemanden angetroffen.

1998 hat Honduras der Hurrikan Mitch getroffen und es folgte die schlimmste Zerstörung, die das Land je erlebte. Wurde daraus nicht gelernt?

Die Regierung hat weder in den letzten Monaten, noch im letzten Jahr oder davor irgendwelche Präventionsmaßnahmen getroffen. Eta und Iota haben uns also völlig unvorbereitet getroffen. Hinzu kommt, dass die Regierung für Anfang November eine Woche Ferien im Land angeordnet hat, genau zu der Zeit, in der Eta uns treffen sollte, was schon seit Oktober bekannt war. Denn es war ihnen wichtiger, Einnahmen im Tourismussektor zu generieren.

Wir müssen also individuell nach Lösungen suchen, als Kirche, als Zivilbevölkerung. Wir fühlen uns von der Regierung im Stich gelassen.

Über welche Dimensionen sprechen wir?

Im Valle de Sula, wo ich mich befinde, sind 3.000 bis 7.000 Familien direkt betroffen. Andere Regionen hat es noch viel schlimmer erwischt, wie die Gemeinde Lima. Ich bin 72 Jahre alt und war Koordinator der Nothilfe in dieser Region, ich war bei drei Erdbeben in El Salvador dabei, aber ich habe noch nie so viel Zerstörung gesehen wie in Lima nach Eta. Ganz zu schweigen von der Pandemie.

Was genau benötigen die Menschen jetzt?

Wasser, Grundnahrungsmittel, wie Reis, Bohnen, Nudeln. Wir organisieren Gemeinschaftsküchen bei den Notunterkünften. Sie benötigen Matten oder Matratzen und Hygieneartikel wie Windeln, Toilettenpapier, Desinfektionsmittel und Masken. Durch die aktuelle Katastrophe haben viele Menschen die Pandemie vergessen und können auch gar nicht die Hygienemaßnahmen einhalten.

Ist schon abzusehen, wie schlimm die Folgen der Tropenstürme und auch der Pandemie in Honduras sein werden?

Durch die Pandemie haben wir eine Arbeitslosenrate von rund 70 Prozent. Wirtschaftsexperten sagen, durch die Tropenstürme werden es 80 Prozent werden. Dadurch werden noch mehr Menschen das Land verlassen wollen. Und die Zahl der Migranten war schon durch die Pandemie hoch. Denn schon vor der Pandemie war das Gesundheitssystem in Honduras zusammengebrochen. Die Regierung hat große Teile der Ressourcen geplündert, die zur Bekämpfung der Pandemie gedacht waren.

Das Gesundheitssystem hat keine Kapazitäten die Pandemie zu bekämpfen und noch weniger, zusätzliche Infektionskrankheiten, die jetzt durch die Überschwemmungen vermehrt auftreten, wie Dengue und Malaria. Die Lage in Honduras war nie so prekär wie jetzt. Zumindest nicht seit Hurrikan Mitch – aber vielleicht ist es jetzt sogar noch schlimmer.

Was könnte ein Weg aus der Krise sein?

Wir denken, dass wir bis Ende des Jahres mit der Nothilfe beschäftigt sein werden und Anfang 2021 damit beginnen können, Häuser zu säubern, Straßen befahrbar zu machen, den Zugang zu Ressourcen zu verbessern. Und dann gegen Mitte des Jahres mit dem Wiederaufbau des Landes beginnen zu können, was auch bedeutet: die Landbevölkerung zu unterstützen, denn sie haben ihre Lebensgrundlage komplett verloren.

Unser Projekt „Vamos a la milpa” (Wir gehen aufs Maisfeld) wird dabei ausschlaggebend sein. Es ist ein ganzheitlicher Weg in eine bessere Zukunft für Kleinbauern. Ihnen dabei zu helfen, Land zurückzugewinnen und die Liebe an der Landwirtschaft, für ihre Produkte, das Leben im Einklang mit der Natur und in der Gemeinschaft wiederzugeben. Wir möchten eine Allianz schaffen zwischen dem urbanen und ruralen Sektor, gemeinsam mit der internationalen Solidarität, auch aus Deutschland. Kommt auch ihr mit uns symbolisch aufs Maisfeld und gebt den Menschen Hoffnung und ihre Würde zurück.

Zur Person: Padre Ismael Moreno Coto ist Priester, Journalist, Widerstandskämpfer und Direktor der Stiftung ERIC (Equipo de Reflexión, Investigación y Comunicación), einer jesuitischen NGO mit dem Schwerpunkt auf gesellschaftspolitischen Analysen, und ist Leiter von Radio Progreso, einem der letzten unabhängigen Medien des Landes, die von dem Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat unterstützt werden.

Jetzt für die Hurrikan-Opfer in Mittelamerika Spenden
Mehrere Wirbelstürme haben in Nicaragua, Honduras und anderen Küstenregionen Mittelamerikas verheerende Schäden angerichtet. Das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat reagiert mit einer Soforthilfe in Höhe von 200.000 Euro.

Das Interview führte Christina Weise

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