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Kolumbien |

Interview: Auf dem Weg zum "Uribismo 2.0“

Der Friedensprozess kommt in Kolumbien kaum mehr voran. Bereits im Wahlkampf hatte Präsident Iván Duque angekündigt, "das Friedensabkommen mit der Farc-Guerilla zerreißen zu wollen", sagt Guillermo Guerrero Guevara. Der Leiter des Bildungs- und Menschenrechtszentrums CINEP stellt der neuen Regierung ein schlechtes Zeugnis aus. 

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Gemälde für den Frieden an der Außenwand des Bildungs- und Menschenrechtszentrums CINEP in Bogotá, Kolumbien, das die Jesuiten betreiben. Foto: Knut Henkel

"Kein Geld" heißt eines der Argumente, aufgrund derer die Regierung weder die Wahrheitskommission noch die Kommission zur Suche der Verschwundenen wie vorgesehen mit Personal und Mitteln ausstattet. Ist der Regierung der Frieden zu wenig wert?
 
Ja, aber das war zu erwarten. Denken Sie an das Plebiszit vom Oktober 2016. Damals hat das Nein zum Friedensabkommen hauchdünn gewonnen und das war einer massiven Fake-News-Kampagne in den sozialen Medien, vor allem Facebook, geschuldet. Letztlich haben 60.000 Stimmen über die Zukunft von 50 Millionen Kolumbianern entschieden. Das Problem war, dass nicht in die friedenspädagogische Arbeit investiert worden ist – weder von der Regierung noch von den Medien.
 
Daran hat sich nichts geändert – die Gesellschaft scheint polarisiert: auf der einen die Befürworter des Friedensprozesses, auf der anderen die Gegner, hinter denen eine durchaus eigennützige Fraktion agiert, oder?
 
Sie spielen auf die Fraktion der Unternehmer und Großgrundbesitzer an, die vor den Ermittlungen durch die „Sonderjustiz für den Frieden“ (JEP) Angst hat und deshalb alle Register zieht, um die JEP zu blockieren? Ja, die haben mit ihren Kampagnen, die durch die großen Medien laufen, viel Schaden angerichtet. Da werden Richter und Staatsanwälte diskreditiert, weil sie bereit sind zu ermitteln, die Hintergründe von Morden, von Landvertreibungen, von Massakern aufzuklären, die oft in Auftrag gegeben wurden. An diesem Krieg haben viele verdient und die haben kein Interesse an der historischen Wahrheit und an einer funktionierenden Justiz. 
 
Welche Rolle spielt die Landfrage und warum gibt es dort keine Fortschritte?
 
Die Landfrage hat sich in Kolumbien in den letzten 200 Jahren zu einem gordischen Knoten ausgewachsen. Deshalb ist es so wichtig, das zentrale Landregister aufzubauen, um sichtbar zu machen, wem das Land gehört. Das ist ein Politikum, denn die hohe Landkonzentration in den Händen weniger ist kolumbianische Realität, wird laut Verfassung aber nicht toleriert. Alle glaubwürdigen Quellen - ob vom UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) oder von den nationalen und internationalen Universitäten - gehen von einem Gini-Koeffizienten von 0,86-0,88 aus. Das ist der höchste Wert von Landkonzentration nach Brasilien in Lateinamerika und erklärt, warum die sozialen Konflikte anhalten. 
 
Haben Sie die Hoffnung, dass sich daran etwas ändern wird – mit der Regierung Iván Duque?
 
Das Problem ist, dass die regionalen Eliten die Hand auf das Land halten, und dass das Centro Democrático, die Partei von Ex-Präsident Álvaro Uribe Vélez und seinem politischen Ziehsohn Iván Duque, genau dieses Klientel vertritt. Viele dieser Familien - ob regional verankert oder von Bogotá aus agierend - engagieren sich in der Politik. Böse Stimmen behaupten, dass 80 Prozent des Großgrundbesitzes im Parlament sitzen. Gegen diese Kräfte zu regieren, ist nahezu unmöglich, wie das Beispiel von Juan Manuel Santos zumindest teilweise gezeigt hat. Iván Duque regiert nun aber mit diesen Kräften im Rücken und greift auf die Agenda seines politischen Mentors zurück.
 
Auf Álvaro Uribe Vélez – wird er auf dessen Konzept der „demokratischen Sicherheit“ zurückgreifen“?
 
Er hat es bereits in seinem „nationalen Entwicklungsplan“ getan, denn dort lobt er das Konzept der Militarisierung des Alltags und den Aufbau eines eine Million Menschen zählenden Spitzelsystems über den grünen Klee. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass wir uns auf den Uribismo 2.0 einstellen müssen. Das bedeutet, dass wir wieder ein Spitzelsystem haben werden. Zudem soll das Tragen von Waffen vollkommen legal sein, so wie in den USA. Es wird auch darüber debattiert, ob die Lehrer Waffen tragen sollen oder dürfen. Das ist eine Entwicklung, die aus meiner Sicht überaus negativ und besorgniserregend ist. 

Guillermo Guerrero Guevara (58) leitet das Zentrum für Forschungs- und Volksbildung (CINEP) der Jesuiten in Bogotá, eine der ältesten Menschenrechtsorganisationen Kolumbiens. CINEP begleitetet die Friedensgemeinde von San José de Apartadó seit ihrer Gründung, vertritt Bauern bei Prozessen der Landrückgabe und engagiert sich in den von Adveniat unterstützten Friedensschulen von Riohacha.

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Mit seiner Kampagne "Frieden jetzt!" unterstützt Adveniat die Versöhnungsarbeit der kolumbianischen Kirche. In vielen regionalen Friedensinitiativen werden über die gesellschaftlichen Gräben hinweg friedliche Konfliktlösungsstragien vor Ort entwickelt und eingeübt.

Autor: Knut Henkel

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