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Brasilien |

Indigene nach Wunsch

Die brasilianische Tageszeitung „O Globo“ amüsierte sich prächtig vor einigen Tagen: Auf einem Foto war ein Indigener vom Volk der Kamayurá abgebildet, der mit einem iPhone das Gelände in Jacarepaguá, einem Stadtteil von Rio de Janeiro, aufnahm, auf dem Parallelveranstaltungen zu Rio 20+ stattfinden werden. „Indio will Technologie“ lautete die geistreiche Schlagzeile.

Austausch mit Indigenen aus anderen Ländern

Drei Tage hatte die Reise des Indigenen aus dem Norden, aus der Region des Alto Xingú, gedauert. Mit dem Schiff und dem Bus hatten sich mehr als 20 Indigene, die vier verschiedene Ethnien vertreten, auf den Weg nach Rio gemacht. Hier bauen sie ein Dorf auf. In diesem werden über 400 Indigene aus Brasilien mit Indigenen aus den USA, Kanada, Bolivien oder Nicaragua diskutieren. Ein Thema wird das heftig umstrittene brasilianische Waldgesetz sein, außerdem geht es um die Demarkierung von Land, Rohstoffe, den Klimawandel und Staudämme – aber auch um traditionelles Wissen und kulturelle Rechte. Am Ende der Veranstaltungen übergeben die Indigenen der UNO am 17. Juni ein Dokument.

Schule und Medien definieren den Indigenen

Zwar enthielt die Nachricht in „O Globo“ journalistische Informationen. Der Zeitung war aber vor allem daran gelegen, die Figur des Indigenen zu „folklorisieren“. Wir befinden uns im 21. Jahrhundert, doch die Verwendung des iPhone durch Indigene stößt bei den Journalisten auf Verwunderung, als ob sie ungewöhnlich wäre. Auf diese Art und Weise werden die indigenen Kulturen quasi eingefroren und das Vorurteil, das durch die Köpfe der Mehrheit der Brasilianer geistert, verstärkt: diese Kulturen können sich nicht ändern – und sollten sie es doch tun, so verlieren sie ihre „Authentizität“. Dieses „authentische“ Bild des Indigenen wird durch die Schule und die Medien gefestigt. Es ist das Bild des nackten Indigenen, allenfalls im Tanga, der mit Pfeil und Bogen bewaffnet durch den Urwald streift. So wie ihn der portugiesische Seefahrer Pedro Álvares Cabral sah, im Jahr 1500. Dieses Bild hat sich über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahrhunderten erhalten. Und sollte sich an ihm etwas ändern, so löst dies Verwunderung aus. Wenn der Indigene sich nicht dem Bild anpasst, das die brasilianische Mehrheitsgesellschaft von ihm hat, lautet die Reaktion: „Das sind keine Indigenen mehr.“

Erst Raub der Identität, dann des Landes

Im Grunde genommen handelt es sich um eine List. Dem Indigenen wird seine Identität geraubt, denn dann ist sein Land frei für die Agrokonzerne. Dann spielt es auch keine Rolle mehr, dass Brasiliens Verfassung aus dem Jahr 1988 den Indigenen die Nutzung ihres traditionellen Landes garantiert. Wenn es sich um „Ex-Indigene“ handelt, dann haben sie eben auch kein Recht mehr auf das Land. Ein bislang in der Ethnologie unbekannter Begriff: Der „Ex-Indigene“. Genauso gut könnten die Indigenen auf ihrem Bild des Portugiesen aus dem 16. Jahrhundert beharren, und den Fußballer Cristiano Ronaldo oder den verstorbenen Schriftsteller José Saramago als „Ex-Portugiesen“ bezeichnen: Denn sie kleiden sich ja nicht wie Cabral anno 1500, sie sprechen und schreiben schließlich nicht das Portugiesisch jener Zeit.

Austausch der Kulturen der Normalfall

Das tägliche Leben jedes Bürgers auf der Erde enthält Elemente, die aus anderen Kulturen entliehen sind. Jeans oder Anzug und Krawatte wurden nicht von Brasilianern erfunden. Tisch und Stuhl sind Möbel, die in Mesopotamien entworfen wurden, im 7. Jahrhundert vor Christus. Kamera, Drucker, Computer, Telefon, Strom, fließendes Wasser, Gebäude aus Beton: das ganze Drumherum, das zum Alltag einer brasilianischen Zeitung wie „O Globo“ gehört – nichts von all dem hat seine Wurzeln auf brasilianischem Boden. Wer käme auf die Idee, deshalb unsere brasilianische Identität in Frage zu stellen. Den indigenen Kulturen aber wird nicht das zugestanden, was wir für uns selbst ganz normal in Anspruch nehmen: der Austausch mit anderen Kulturen. Der mexikanische Schriftsteller Octavio Paz schrieb einmal: „Die Zivilisationen sind keine Festungen, sie sind eher Kreuzungen.“. Schließlich lebt niemand isoliert, eingeschlossen zwischen Wänden. Historisch betrachtet haben die Völker sich gegenseitige beeinflusst – auf den Gebieten der Kunst, der Technologie, der Wissenschaft, der Sprache. All das, was jemand an Schönem und Klugem in einer Kultur geschaffen hat, verdient es, an jedem Ort des Planeten genossen zu werden.

Jahrtausendealte indigene Technologie

„O Globo“ hat es leider versäumt, die Indigenen über ihre Techniken zum Bau von Hütten zu befragen. Denn sie sind wahre Architekten und könnten beweisen, dass „der Indio Technologie hat.“. Der US-Anthropologe Darell Posey, der mit den Kayapó arbeitete, schrieb, die Indigenen hätten mit ihrem Erfindungsreichtum, ihrer Intelligenz und ihrer praktischen Veranlagung mit Erfolg viele Jahrtausende im Amazonasgebiet überlebt. Sie könnten daher als Brücke zwischen den Kulturen dienen und beim Bau eines modernen Brasilien mitwirken – wenn ihnen der Respekt und die Wertschätzung entgegengebracht würden, die sie verdienten.

Das sind die Indigenen des 21. Jahrhunderts: Die Medien schauen sie an, aber offenbar gelingt es ihnen nicht, sie zu sehen.

Text: José Ribamar Bessa Freire

Quelle: www.adital.com.br

deutsche Bearbeitung: Bernd Stößel

Zoró Indigene vor einem traditionellen Indigenenhaus, "Maloca" genannt. Foto: Adveniat/Mere

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