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Honduras: "Eine historische Chance, das Land zu reformieren"

Ismael Moreno Soto, in Honduras als Padre Melo bekannt, ist Priester, Journalist und ein unerschrockener Kritiker von Missständen im Land. Der 64-Jährige Adveniat-Projektpartner wirbt auch gegenüber der neuen Regierung von Xiomara Castro für mehr Mut zur Veränderung. Knut Henkel hat ihn interviewt.

Ismael Moreno Coto, genannt Padre Melo, arbeitet beim kirchlichen Radio Progreso in San Pedro Sula, Honduras. Der Adveniat-Projektpartner​​​​​​​ setzt sich gegen Ungerechtigkeiten ein und gibt denen eine Stimme, die von der Politik oft nicht gehört und vergessen werden. Foto: Adveniat/Jürgen Escher

Ismael Moreno Coto, genannt Padre Melo, arbeitet beim kirchlichen Radio Progreso in San Pedro Sula, Honduras. Der Adveniat-Projektpartner setzt sich gegen Ungerechtigkeiten ein und gibt denen eine Stimme, die von der Politik oft nicht gehört und vergessen werden. Foto: Adveniat/Jürgen Escher

Blickpunkt Lateinamerika: Acht Monate nach der Vereidigung von Xiomara Castro in Honduras macht sich Ernüchterung breit. Viele ihrer Wählerinnen und Wähler haben mehr erwartet. Zu Recht?
 
Padre Melo: Wir machen eine sehr interessante, aber auch sehr komplizierte Zeit durch. Die Wahl von Xiomara Castro zur ersten Präsidentin von Honduras ist eine Chance, die wir nicht verstreichen lassen dürfen. Honduras hat eine depressive Gesellschaft, die über Jahre in Angst unter Drohungen, unter Unterdrückung und Verfolgung gelitten hat – das ist nach wie vor präsent. Wir haben eine instabile Regierung, mit vielen internen Widersprüchen. 
 
Allerdings hat die Regierung auch wegweisende Entscheidungen getroffen, wie die Annullierung wichtiger Gesetze. Dazu gehören das Gesetz über die Sonderwirtschaftszonen (ZEDE) und das Gesetz über staatliche Geheimnisse, das der Korruption Tür und Tor öffnete. Das sind wichtige Signale, aber es gibt eine mächtige Opposition in Honduras, die viele Facetten hat.
 
Welche sind das? Sehen Sie neben der Opposition aus der abgewählten Nationalen Partei des autoritären Ex-Präsidenten Juan Orlando Hernández weitere Oppositionskräfte?
 
Ja, ich sehe vier oppositionelle Strukturen, die dafür sorgen, dass die Reformen derzeit nicht vom Fleck kommen. Die erste ist das Geflecht in und um die Nationale Partei und das organisierte Verbrechen, die über Jahre ihre Netzwerke aufgebaut haben und der schlimmste Feind der Demokratiebewegung in Honduras sind. Sie agieren gegen die Regierung und versuchen die Unzufriedenheit und die massiven Probleme der Menschen für ihre Interessen zu nutzen. Das sind überaus einflussreiche Kreise, die auch Medienunternehmen unter ihrer Kontrolle haben. Diese Kräfte wollen das alte Regime zurück an die Macht bringen.
 
Dieser Teil der Opposition ist auch in den Ministerien verankert, so zum Beispiel im Ministerio Público, mit Generalstaatsanwalt Óscar Fernando Chinchilla an der Spitze. 
 
Ja, Staatsanwalt Chinchilla verfolgt nach wie vor eine Strategie der Kriminalisierung der sozialen Bewegungen. Dagegen rührt sich jedoch nur wenig Widerstand, wofür die Zersplitterung innerhalb der Regierungspartei Libre ein wesentlicher Grund ist. Libre ist ein Bündnis und keine homogene Partei. Es gibt innerhalb der Partei Kräfte, die eigene Interessen verfolgen, und das ist überaus gefährlich. Politiker, die alles daransetzen, Familienangehörige in Anstellungsverhältnisse zu bekommen. Politiker, die den Staat als Selbstbedienungsladen begreifen. Für mich ist das die gefährlichste Opposition, weil sie weniger sichtbar ist, den nötigen Reformprozess unterminiert und verbal die Präsidentin feiert, aber real ihre eigenen Interessen verfolgt.
 
Die Familie der Präsidentin, die im Parlament und in mindestens zwei Ministerien sowie in der Beraterriege gut vertreten ist, ist dafür jedoch selbst ein negatives Beispiel.
 
Ja, leider – sie geht mit schlechtem Beispiel voran, fördert de facto diese Tendenzen in der Partei und das ist extrem schädlich. Die dritte Oppositionsfraktion nenne ich die Anti-Fraktion, da sie kein gutes Haar an der Regierung lässt. Dabei sind Sender wie Televicentro, aber auch andere Medien zu nennen, die die neue Regierung als unfähig stigmatisieren.
 
Gibt es denn eine Opposition, die konstruktiv agiert?
 
Ja, das ist die vierte Oppositionsfraktion, die für Reformen eintritt, um die Demokratie in Honduras zu stärken. Wir haben die historische Chance, dieses Land zu reformieren, korrupte Netzwerke zu beseitigen, zumindest zurückzudrängen. Dafür braucht es Ideen, Konzepte, Strategien, denn die korrupten Kreise sind sehr gut vernetzt, einflussreich und finanziell potent. Diese vierte oppositionelle Bewegung ist unbequem, weil sie Missstände benennt und den Finger in die Wunde legt.
 
Eine unabhängige Justiz spielt eine wichtige Rolle für die Demokratisierung. Ist die anvisierte Reform der Justiz entscheidend für die Zukunft des Landes?
 
Derzeit fungieren das Ministerio Público und die höchsten Richter des Landes als Gegenpol zur Regierung. Deshalb wird die Nominierung der neuen Verfassungsrichter im November eine Zäsur sein. Ziel muss es sein, von den politischen Parteien und Machtzentren unabhängige Richter zu berufen. Gleiches gilt für die Berufung des neuen Generalstaatsanwalts im Herbst 2023. Das ist eine zentrale Voraussetzung angesichts der langen Geschichte der politischen und finanziellen Einflussnahme auf die Justiz.
 
Welche Bedeutung hat in diesem Kontext die Petition der Regierung von Xiomara Castro, eine UN-Kommission gegen Straflosigkeit und Korruption in Honduras zu schaffen?
 
Dieser Vorschlag stammt aus der Zivilgesellschaft, um das korrupte und klientelistische Justizsystem des Landes grundlegend zu reformieren. Als Vorbild dient die Anti-Korruptionskommission CICIG in Guatemala, die erfolgreich arbeitete, aber letztlich scheiterte und das Land im September 2019 verlassen musste. Der Vorschlag findet sich auf der Agenda der Regierung von Präsidentin Castro wieder. Derzeit laufen die Verhandlungen - und eine positive Reaktion der Vereinten Nationen wäre eine große Chance. Allerdings gibt es derzeit ein gravierendes Problem: Die honduranische Regierung hat vorgeschlagen, das Personal der CICIH selbst zu ernennen – das ist für die Vereinten Nationen unannehmbar.

Interview: Knut Henkel

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