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Hochhausbrand in São Paulo: „Eine angekündigte Tragödie“

São Paulo in Trauer: In der Stadt stürzte ein Hochhaus ein. (Symbolfoto: Henning/Adveniat)
São Paulo in Trauer: In der Stadt stürzte ein Hochhaus ein. (Symbolfoto: Henning/Adveniat)

Die Brandkatastrophe im Zentrum von São Paulo ist wohl auf Behördenversagen zurückzuführen. Denn die bereits 2014 angeordnete Räumung des besetzten Hauses wurde von den zuständigen Stellen nicht durchgeführt. Zudem erklärten die Behörden trotz offensichtlicher Mängel, dass das Gebäude keinerlei strukturelle Risiken offenbare.

In der Nacht zum Mittwoch brannte das illegal besetzte, 24-stöckige Hochhaus vollkommen aus, bevor es zusammenstürzte. Mindestens eine Person starb bei der Katastrophe. In Fernsehbilder war zu sehen, wie der an der Fassade hängende Mann mit dem einstürzenden Gebäude in die Tiefe gerissen wurde. Weitere 44 Personen gelten als vermisst. Allerdings gibt es keine genauen Zahlen, wie viele Menschen überhaupt in dem besetzen Gebäude lebten. Schätzungen gehen von 150 Familien mit insgesamt 400 Personen aus, ein Viertel davon Immigranten, vor allem aus Afrika.

Benachbarte Kirche fast vollständig zerstört

„Das war eine angekündigte Tragödie“, sagte der Pastor einer angrenzenden lutherischen Kirche. „Stets haben wir über das Risiko gesprochen,das dieses Gebäude darstellte. Dort lebten viele gute Menschen, mit vielen Kleinkindern.“ Bei dem Einsturz wurde auch die gerade erst renovierte Kirche aus dem Jahr 1908 nahezu vollständig zerstört. Lediglich der Altar und der Kirchturm blieben stehen. Die Kirche war die erste in São Paulo im neogotischen Stil.

Das leerstehende Hochhaus war seit Jahren besetzt. Die Verwaltung übernahm die „Movimento de Luta Social por Moradia“ (Bewegung für den sozialen Kampf um Wohnraum), eine von drei Sozialbewegungen, die in São Paulo die Besetzung leerstehender Gebäude organisieren. Die Familien in dem jetzt abgebrannten Gebäude sollen bis zu 100 Euro Monatsmiete an die MLSM gezahlt haben. Laut Bewohnern habe es strenge Hausregeln gegeben. So waren zum Zeitpunkt des Brandes sämtliche Zugänge verschlossen. Nach ersten Erkenntnissen brach der Brand gegen 1.20 Uhr im fünften Stock aus. Möglicherweise führte ein handgreiflicher Streit zwischen einem Ehepaar zu der Katastrophe. Nach Augenzeugenberichten hätten die beiden zum Zeitpunkt des Streits mit Industriealkohol gekocht. Dabei habe ihre Kleidung Feuer gefangen. Nachdem sie sich die Kleidung vom Leib gerissen hatten, flüchteten sie aus dem Gebäude, ohne die Flammen zu löschen.

Probleme waren bekannt

Die prekäre Situation, unter der die Besetzer in den Gebäude lebten, war den Behörden seit langem bekannt. Mehrfach inspizierten sie das Gebäude und wiesen auf die Risiken hin. Da seit Jahren der Strom abgestellt war, legten die Bewohner selber improvisierte Stromleitungen. Der Aufzugschacht wurde nach Angaben von Augenzeugen als Müllhalde genutzt. Zwei Stockwerke hätten unter Wasser gestanden. Zudem sei Abwasser durch das Treppenhaus gelaufen. Seit 2015 lief eine offizielle Untersuchung über den Zustand des Gebäudes, nachdem Nachbarn über Risse in der Fassade geklagt hatten. Das Gebäude habe sich bereits rund einen Meter zur Seite geneigt, berichteten sie. Allerdings wurden die Untersuchungen vor wenigen Wochen eingestellt. Man habe keine strukturellen Risiken festgestellt, so der Abschlussbericht. Noch am Mittwoch leitete die Staatsanwaltschaft Ermittlungen ein. Man werde prüfen, inwieweit ein Versagen der zuständigen Behörden vorliegt.

Mindestens noch 48 Stunden würde die Suche nach Überlebenden weitergehen, erklärte die Einsatzleitung der Feuerwehr am Mittwoch. Nach Augenzeugenberichten hätten sich Bewohner in die oberen Stockwerke geflüchtet, weshalb mit weiteren Opfern zu rechnen sei. Viele der Überlebenden kampierten derweil in der Nacht zum Donnerstag in den umliegenden Straßen. Zwar bot die Stadt ihnen kurzfristig Plätze in Obdachlosenheimen an. Jedoch weigerten sich die meisten, dort zu übernachten. Die katholische Obdachlosenpastoral richtete in der Nacht zum Donnerstag drei Übernachtungsplätze für die Überlebenden her.

Ehemaliger Sitz der Bundespolizei

Das eingestürzte Gebäude hat eine beeindruckende Geschichte hinter sich. In den 60er Jahren errichtet, galt als Wahrzeichen des brasilianischen Modernismus, eine Mischung des italienischen Minimalismus und Bauhaus. Mit seiner Glasfront, den Holzvertäfelungen in den Büroräumen und den Marmorfluren galt es lange als eines der luxuriösesten und modernsten Gebäude der Stadt. Über Jahre war es Sitz der Bundespolizei. Die 1985 in einem Vorort São Paulos exhumierte Leiche des KZ-Arztes Josef Mengele wurde hier kurzfristig aufbewahrt. Im Jahr 1992 wurde das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt. Zuletzt gab es Pläne, es in ein Kulturzentrum und Behördensitz umzuwandeln.

Allerdings verhinderte ein Streit zwischen Bund und Stadt die Räumung und die Modernisierung. Da es offiziell noch dem Bund gehört, habe man keine Befugnis zur Räumung gehabt, argumentierte die Stadt am Mittwoch. Die Bundesregierung erklärte jedoch, das Gebäude der Stadt bereits im letzten Jahr überstellt zu haben. São Paulo leidet seit Jahrzehnten unter chronischem Wohnungsmangel. Von den rund 12 Millionen Stadtbewohnern leben 1,2 Millionen unter prekären Umständen in illegalen Siedlungen, den Favelas, oder besetzten Häusern. Alleine im Zentrumsbereich gibt es rund 70 besetzte Häuser. Im ganzen Stadtgebiet sollen es sogar 206 sein. Nachdem es immer wieder Angriffe auf in den Straßen übernachtende Obdachlose gibt, suchen viele wohnungslose Menschen Zuflucht in leerstehenden Gebäuden.

Dem stehen unzureichende öffentliche Mittel für den sozialen Wohnungsbau entgegen. Im derzeitigen Rhythmus werde es noch 120 Jahre dauern, bis das Wohnraumdefizit ausgeräumt sei, errechneten Sozialbewegungen. Den Unmut über die prekäre Situation im Zentrumsbereich bekam auch Präsident Michel Temer zu spüren. Der äußerst unbeliebte Präsident - seine Beliebtheitswerte liegen derzeit bei rund 4 Prozent - musste seinen spontanen Besuch an der Unglücksstelle nach wenigen Minuten abbrechen. Er wurde wüst beschimpft und mit Gegenständen beworfen.

Autor: Thomas Milz

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