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Guatemala: Frontalangriff auf die kritische Presse

"El Periódico" heißt die kritische Tageszeitung, die für viele Guatemaltekinnen und Guatemalteken seit fast drei Jahrzehnten eine wichtige Informationsquelle ist. Das könnte bald vorbei sein, meint Marvin del Cid, 45-jähriger investigativer Journalist und ehemaliger Mitarbeiter der Zeitung.

Die guatemaltekischen Journalisten Sonny Figueroa und Marvin del Cid (rechts). Foto: Knut Henkel

Marvin Del Cid, ist in 1978 in Guatemala Stadt geboren worden. Er ist investigativer Journalist, der für Prensa Libre und El Periódico, die beiden großen Tageszeitungen des Landes, gearbeitet hat, aber auch für Contrapoder und TV Azteca. 2019 war er Teil des ersten Fakten-Check-Portals in Guatemala. Mit Sonny Figueroa hat er das Nachrichten-Portal Vox Populi aufgebaut. Del Cid arbeitet auch als Dozent an einer Universität in Guatemala, um den journalistischen Nachwuchs auszubilden.

Die Menschenrechtsorganisation Udefegua hat in ihrem gerade erschienenen Bericht 443 Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten im Jahr 2022 dokumentiert. Die Situation sei gravierend, weil viele Attacken aus dem staatlichen Apparat kommen. Wie beurteilen Sie die Situation?

Sie ist verheerend. Nehmen Sie das Beispiel von mir und Sonny Figueroa, meinem Kollegen bei Vox Populi. Wir haben aufgrund des immensen Drucks und der extremen Unsicherheit in Guatemala das Land Mitte Dezember verlassen und sind für mehr als zwei Monate nach Mexiko gegangen. Wir haben dank der Hilfe von Udefegua und Artículo 19 aus Mexiko Stadt arbeiten können, sind aber seit Mitte Februar wieder in Guatemala, weil wir nun einmal über Korruption in Guatemala berichten, gerade ein Buch vorbereiten und dafür vor Ort recherchieren müssen. Das ist riskant, aber für uns gibt es keine Alternative.

Gab es Verhaftungen in Ihrem direkten Umfeld?

Ja, unser Anwalt ist vor zwei Wochen festgenommen wurden. 

Angriffe auf Journalisten sind das eine, aber mit El Periódico steht eine ganze Redaktion vor dem Aus. Der Gründer und Herausgeber José Rubén Zamora befindet sich in Untersuchungshaft, gegen ihn wird wegen angeblicher Geldwäsche ermittelt, die Konten der Redaktion sind eingefroren, es gibt nur noch ein redaktionelle Notbesetzung, die das Blatt zumindest online überleben lässt. Steht kritischer Journalismus in Guatemala vor dem Aus?

Der Fall von El Periódico ist der sichtbarste und gravierendste Fall und er öffnet die Tür für die Kriminalisierung zahlreicher Kolleginnen und Kollegen durch die Justiz auf Basis von haltlosen Beschuldigungen. Wir haben es mit politischer Willkür zu tun, die Zahl der Anzeigen, der Verfahren nimmt zu und die Zahl der Kolleginnen und Kollegen, die ins Ausland gehen ebenfalls.

Welche Relevanz hat, oder muss man fast schon sagen hatte, El Periódico in Guatemala?

Ich habe sechs Jahre bei El Periódico gearbeitet, habe die investigative Abteilung mehrere Jahre geleitet und es ist schlimm zu sehen wie die Zeitung in ihrer bisher größten Krise droht unterzugehen. Es gibt zu wenig Personal, um die Zeitung zumindest online weiter zu betreiben, die finanzielle Situation ist nach der Sperrung der Konten und nach der Festnahme von Präsident und Gründer José Rubén Zamora desaströs. Zudem sind auch mehrere Journalisten von El Periódico angezeigt worden, gegen sie wird ermittelt – sie werden kriminalisiert. El Periódico droht zu verschwinden. 

Liegen gegen Sie auch Anzeigen vor?

Ja, es sind fünf. Gemeinsam mit meinem Kollegen Sonny Figueroa sind zwei Anzeigen anhängig, weil wir eine Frau bei unseren Recherchen in ihren Rechten als Frau belästigt haben sollen. Da wird ein sinnvolles Gesetz, welches Frauen vor körperlicher und psychologischer Gewalt schützen soll. Es wird aber gegen die Presse instrumentalisiert – in unserem Fall wird uns psychologische Gewalt vorgeworfen. Leider kein Einzelfall. 
Von der Kommunikationsverantwortlichen des Kongresses, des Parlaments, sind wir hingegen angezeigt worden, weil wir auf die Informationspflicht der Institution gedrängt haben – da liegt eine Anzeige wegen Bedrohung vor. Hinzu kommt eine Anzeige wegen Diffamierung von Seiten des Kulturministeriums und an die letzte erinnere ich mich gerade nicht. Diese fünf Anzeigen sorgen dafür, dass wir ständig unter Druck stehen, Kosten für Anwälte aufbringen müssen und nicht in Ruhe arbeiten können.

Warum sind Sie trotzdem aus Mexiko nach Guatemala zurückgekehrt?

Sonny Figueroa und ich sind die beiden Gesichter hinter Vox Populi, einem investigativen Nachrichtenportal, das regelmäßig mit Interviews und Fakten auf Sendung geht. Wir arbeiten über Korruption, Machtmissbrauch und Manipulation öffentlicher Fonds und Einrichtungen in Guatemala und müssen dafür auch hier recherchieren. Unser größtes Problem derzeit ist ein Finanzielles: es fehlt an Ressourcen, um zu Recherchieren. Deshalb sind wir nach Guatemala zurückgekehrt: Ziel ist es, die Arbeit an unserem Buch weiterzutreiben, aus dessen Erlösen wir hoffen Recherchen finanzieren zu können. Es soll im Mai erscheinen.

Ihr erstes Buch mit zahlreichen Recherchen zu Korruptionsfällen war ein Erfolg. Hat aber auch für Drohungen gesorgt, oder?

Ja, die Drohungen gegen uns, die Diffamierung in den sozialen Netzen, die Kampagnen, die uns und unsere Arbeit diskreditieren sollen, haben zugenommen. 

Das staatliche Vorgehen gegen El Periódico könnte der Auftakt sein für weitere Angriffe auf kritische Medien wie Plaza Pública, Vox Populi, Agencia Ocote oder No Ficción – teilen Sie diese Einschätzung?

Es ist eine Tatsache, dass in Guatemala unabhängige Medien von Angestellten öffentlicher Einrichtungen angegriffen und kriminalisiert werden. Das sorgt dafür, dass viele Kolleginnen und Kollegen Angst haben, ihre Meinung, Ergebnisse ihrer Bereiche oder Argumente für politische Reformen zu veröffentlichen – es existiert eine Schere im Kopf. 
Gleichwohl sind Sonny und ich der Meinung, dass die Angriffe, Diffamierungen und Stigmatisierungen unliebsamer Kolleginnen und Kollegen in den  nächsten Monaten weiter ansteigen wird – im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im Juni. 

Am 25. Juni werden die Präsidentschaftswahlen stattfinden und gleich mehrere Kandidat:innen wurden vom Wahlgericht nicht zugelassen – ein normaler oder ein politischer Vorgang?

Die Nicht-Zulassung von Kandidatinnen und Kandidaten sorgt für Enttäuschung in den verschiedenen Lagern. Sie sorgt dafür, dass das Risiko politischer Gewalt steigt, was die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten in aller Regel riskanter macht. Das ist die eine Seite der Medaille, die andere Seite ist, dass die Nicht-Zulassung von Kandidatinnen und Kandidaten aus politischem Kalkül erfolgt: Das Wahlgericht ist nicht unabhängig und das ist ein fundamentales Problem. Das betrifft die Kandidatur von Thelma Cabrera und Jordán Rodas für das Movimiento para la Liberación de los Pueblos (Bewegung für die Befreiung der Völker) MLP, die von den Wahlen ausgeschlossen wurden. Hinzu kommt, dass Kandidatinnen und Kandidaten zugelassen werden, die einen zweifelhaften Background haben, gegen die ermittelt wird oder die sogar bereits von der Justiz verurteilt wurden, weil sie im eigenen Interesse aktiv sind oder waren - sprich die nachweislich korrupt sind. Das sind negative Signale und sie polarisieren das Land noch weiter als ohnehin schon. Guatemala droht noch unregierbarer zu werden – die Perspektiven sind düster. 

Das Interview führte Knut Henkel.

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