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Gioconda Belli: "Botschafterin eines anderen Nicaragua"

Die nicaraguanische Schriftstellerin Gioconda Belli (73) lebt derzeit im Exil in Madrid, weil sie ihre Heimatstadt Managua nach massiven Drohungen verlassen musste. Die Lyrikerin zählt gemeinsam mit Autor Sergio Ramírez, ebenfalls in Madrid im Exil, zu den Kritikern des diktatorisch regierenden Präsidentenpaares in Nicaragua: Daniel Ortega und Rosario Murillo.

Gioconda Belli spricht auf der Leipziger Buchmesse 2016 über ihre Novelle "Mondhitze". Foto: Gioconda Belli Mondhitze, wikimedia commons, Smokeonthewater, CC BY-SA 4.0​​​​​​​, Zuschnitt

Die nicaraguanische Autorin Gioconda Belli spricht auf der Leipziger Buchmesse 2016 über ihre Novelle "Mondhitze". Foto: Gioconda Belli Mondhitze, wikimedia commons, SmokeonthewaterCC BY-SA 4.0, Zuschnitt

Frau Belli, was führt Sie nach Deutschland?

Ich stelle meinen neuen Gedichtband "Mich lockt die Liebe mit ihren Stacheln" vor, werde aber auch über die Situation in Nicaragua berichten und diskutieren. Immer wenn ich nach Deutschland komme, fühle ich mich auch wie eine Botschafterin – Botschafterin eines anderen Nicaragua. 

Sie haben Anfang Juli 2021 Managua verlassen. Was waren die Gründe?

Das Risiko war zu groß, dass die Regierung mich, wie so viele andere, auch ins Gefängnis wirft. Im Mai begannen die Verhaftungen, mein Bruder wurde zwischenzeitlich verhaftet, meine Assistentin vernommen, der Haftbefehl gegen Sergio Ramírez ausgestellt– die Schlinge wurde immer enger. 

Auch in Chile wirken sie wie die "Botschafterin eine anderen Nicaragua". Dort waren Sie im März gemeinsam mit Schriftstellerkollege Sergio Ramírez zur Vereidigung des linken Präsidenten Gabriel Boric eingeladen. 

Für mich war es ein wichtiges Ereignis. Denn es kommt in Lateinamerika nicht so oft vor, dass ein linker Präsident vereidigt wird, der für etwas Neues steht, der sich von der alten Linken distanziert und einen Mann wie Daniel Ortega kritisert. Für mich steht Gabriel Boric für eine neue Linke in Lateinamerika, die die Menschenrechtsverletzungen der Regierung Ortega in Nicaragua nicht einfach hinnimmt.

Im Kontext des im Juni anstehenden Amerika-Gipfels ist das sehr spannend. Denken Sie, dass Daniel Ortega daran teilnehmen wird?

Auf der einen Seite denke ich, dass es ihm verwehrt werden sollte daran teilzunehmen. Doch auf der anderen Seite könnte es positiv sein, wenn andere Regierungen offen kritisieren, was in Nicaragua unter der Regie Daniel Ortegas und seiner Frau Rosario Murillo passiert. Ich bin hin und her gerissen -  mein Herz sagt etwas anders als mein Gehirn.

Der mexikanische und der bolivianische Präsident haben sich dafür ausgesprochen, dass alle willkommen sein sollten – auch der venezolanische, der kubanische und der nicaraguanische Präsident. Was halten Sie davon?

Es zeigt den Bruch, der sich durch Lateinamerika zieht. Für mich gehört zu einer modernen Linken ein Bekenntnis zur sozialen Gerechtigkeit, zur Wahrung der Menschenrechte, keine Beschränkung der Freiheiten ihrer Bürger und kein plumper Populismus. Eine Linke, die Freiheiten beschneidet, sich aber gleichzeitig auf soziale Gerechtigkeit bezieht und totalitäre Züge entwickelt - das hat der Linken - nicht nur in Lateinamerika - enormen Schaden zugefügt. Wir brauchen eine neue Linke, die attraktiv für die junge Generationen, ist – wie zum Beispiel die chilenische. Bei der mexikanischen sehe ich das nicht. Der Präsident Andrés Manuel López Obrador agiert sehr populistisch, demagogisch und hat große Hoffnungen geweckt, aber sie kaum erfüllt.

Sie haben Daniel Ortega persönlich erlebt. Wie nehmen Sie seine Metamorphose vom linken Comandante zum machtverliebten Diktator war?

Ich habe Daniel Ortega vor der sandinistischen Revolution nicht gekannt, ihn dann in Konferenzen, Diskussionen innerhalb der politischen Führung erlebt, war aber nie eine Freundin von ihm. Damals habe ich mehr mit seiner Frau gearbeitet. Menschen verändern sich. Und es ist nicht das erste Mal, dass ein Revolutionär sich in einen Diktator verwandelt – genau das haben wir bei Daniel Ortega erlebt. Allerdings ist es auch eine Tatsache, dass Daniel Ortega nicht der große Anführer der sandinistischen Revolution war – er war einer von neun Mitgliedern einer kollektiven Regierung. Das sollte man nicht vergessen. 
Heute ist das anders – heute ist er es, der mit seiner Frau das Land und die Bevölkerung unterjocht. Das hat sich bereits Anfang der 1990er Jahre bei der Analyse der Wahlniederlage abgezeichnet – eine selbstkritische Analyse war nicht drin. Er hat diejenigen, die einen anderen kritischeren Kurs wollten, als Verräter bezeichnet. 

Die Wahlen im November 2021 wurden mit der Verhaftung aller Oppositionskandidatinnen und -kandidaten zur Farce. Haben die Sanktionen einen Effekt – wird er aufgeben müssen?

Klar ist, dass er gehen muss. Unser Weg war der zivile, der einer friedlichen Wahl. Die Bevölkerung will keinen Krieg, keinen Konflikt, aber das hat Daniel Ortega verhindert. Allerdings ist Daniel Ortega kein junger Mann mehr. Seine biologische Uhr tickt, die Sanktionen wirken. Aber Nicaragua hat sich isoliert, hört auf niemanden. Wir brauchen Geduld.

Sie haben viel über die Frauen und für deren Rechte geschrieben. Wie denken Sie über eine Frau wie Rosario Murillo?

Für mich hat sie eine patriarchale Vision der Macht, eine, in der Machismo, Autorität und Aggressivität eine zentrale Rolle spielen. Das spricht eher für eine männliche als eine weibliche Mentalität.
 
Was steht im Zentrum Ihres neuen Gedichtbands?

Meine Gedichte sind sehr autobiografisch. Daher gibt es Gedichte über die Liebe, über die Frau, aber eben auch über die Probleme, denen wir gegenüberstehen, wie die Straflosigkeit, die unfreiwillige Migration oder das Exil und die Situation in Nicaragua. Ein Gedichtband mit vielen Facetten. 

Gibt es auch bald eine neue Novelle?

Ja, ich arbeite an einem neuen Roman, noch gibt es mehrere Versionen. Es fiel mir schwer, in der Pandemie zu arbeiten. Das hatte viel mit der viel mit der Situation in Nicaragua zu tun. Nun bin ich in Spanien etwas zur Ruhe gekommen. Das könnte helfen, den Roman endlich fertigzuschreiben. 

Autor: Knut Henkel

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