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Mexiko |

"Gewaltsame Verschleppungen sind hier leider alltäglich"

In Mexiko wurden der Gemeindeaktivist Antonio Díaz und der Menschenrechtsanwalt Ricardo Lagunes gewaltsam verschleppt. Dahinter steht ein Minenkonflikt, in den das größte Stahlunternehmen Lateinamerikas verwickelt ist. Blickpunkt Lateinamerika sprach mit seinem Sohn Keyvan Díaz.

Vor drei Monaten sind der Gemeindeaktivist Antonio Díaz und der Menschenrechtsanwalt Ricardo Lagunes gewaltsam verschleppt worden. Bisher haben die Angehörigen keinerlei Antworten erhalten. Foto: Rotmi Enciso

Herr Díaz, wer ist Ihr Vater Antonio Díaz?

Mein Vater ist eine bekannte Persönlichkeit in der Küstenregion von Michoacán. Er widmete sein ganzes Leben der Verteidigung der Territorien der indigenen Nahua-Gemeinden und der Natur, die sie umgibt. Schon mit 21 Jahren wurde er Gemeindevorsitzender von Aquila, wo meine Familie herkommt. Danach war er in der Verwaltung tätig sowie über viele Jahrzehnte als Grundschullehrer in verschiedenen Gemeinden der Region. Heute ist er 71 Jahre alt. Am 15. Januar wurde er gewaltsam verschleppt. Der Geländewagen, in dem er mit dem Anwalt Ricardo Lagunes unterwegs war, wurde mit Einschusslöchern am Rande der Landstraße gefunden. Sie kamen von einer Gemeindeversammlung. Direkt nach ihrem Verschwinden besetzen Gemeindemitglieder gemeinsam mit drei Nachbargemeinden die Coahoayana-Brücke, über die die Küstenautobahn von Michoacán nach Colima führt.

Was steht hinter der Verschleppung?

Aquila ist nicht nur eine indigene Gemeinschaft, sie ist eine sehr gut organisierte. Seit mehr als dreißig Jahren kämpft die Mehrheit der Gemeinde gegen die Mine Las Encinas, die auf ihrem Territorium liegt. Mein Vater vertritt diese Mehrheit der comuneros, der rund 500 Familienoberhäupter. Tatsächlich konnte die Gemeinde im Jahre 2011 mit der Besetzung der Mine einen unerhörten Erfolg erzielen. Das Bergbauunternehmen Ternium, dem die Mine gehört, muss seitdem 3,8 US-Dollar für jede abgebaute Tonne Roheisen an die Gemeinde zahlen. Pro Tag werden rund 15.000 Tonnen abgebaut. Ich glaube, das hat sonst keine Gemeinde in Mexiko erreicht. Vielleicht sogar auf dem ganzen Kontinent nicht. Aber es war ein harter Kampf, auch gegen staatliche Repression, der sogar Todesopfer gefordert hat. Und nun ist seit drei Monaten auch noch mein Vater ist verschwunden.

Gibt es Ermittlungsergebnisse?

Leider nein. Ich arbeite eigentlich als Journalist in Morelia, doch nun ist es zu meiner Arbeit geworden, nach meinem Vater und Ricardo zu suchen. Die vergangenen Wochen waren tatsächlich die schwersten meines Leben. Mein Vater fehlt mir, ich wohne mit ihm zusammen. Und auch Ricardo Lagunes ist ein guter Freund der Familie. Wenn du selbst auf einmal ein weiteres Opfer im System bist, wird dir klar, wie Mexiko funktioniert. Als Journalist bin ich mir durchaus bewusst gewesen, dass gewaltsame Verschleppungen in diesem Land leider alltäglich sind. Jeden Tag verschwinden 27 Personen. Aber wenn du da persönlich durch musst, tun sich Abgründe auf. Eine bürokratische Maschinerie, durchzogen von Korruption. In einer von der Mafia umkämpften Region wie Michoacán vor Institutionen zu treten, die nur die Fassade einer abwesenden Regierung sind, ist wie gegen eine Wand zu reden. Wenn du zum Opfer in diesem Staat wirst, verändert das dein Leben komplett, es paralysiert dich. Es bringt dich dazu, dein ganzes Leben in Frage zu stellen.

Wie äußert sich das Stahlunternehmen Ternium zu dem Fall?

Ternium hat uns Familienangehörigen die kalte Schulter gezeigt. Es ist ein argentinisch-italienisches Unternehmen mit Sitz in Luxemburg. Auf ihrer Homepage brüsten sie sich damit, einen „sozial verantwortlichen Bergbau“ zu betreiben, weil sie der Gemeinde Lizenzgebühren zahlen. Sie sind aber in Mittelamerika bekannt für ihr Eindringen in indigene Territorien; es gibt viele Konflikte rund um ihre Minen. Im Fall meines Vaters lehnt das Unternehmen jegliche Verantwortung ab. Doch bei der Gemeindeversammlung, nach der mein Vater und Ricardo verschwanden, ging es um die Auszahlung der Lizenzgebühren in gleichen Teilen an alle Gemeindemitglieder. Ricardo Lagunes hatte dafür einen dreijährigen Prozess vor dem Agrartribunal von Michoacán geführt, dass die Gelder solange verwaltete. Davor hatte eine Minderheit auf die Lizenzgebühren Anspruch erhoben. Und auch die Mafia forderte Schutzgelder. 

Welche Hoffnung bleibt Ihnen, dass es eine Aufklärung in dem Fall gibt?

Ternium ist der wichtigste Akteur in der Region. Sie hätten die Möglichkeit, sich für Ricardo und meinen Vater einzusetzten. Doch in den lapidaren Textnachrichten, die sie uns geschrieben haben, ging es ihnen nur darum, den Schaden zu begrenzen. Unsere Hoffnung ist nur, dass der mexikanische Präsident Andrés López Obrador sich zu dem Fall äußert, dann würde sich etwas bewegen. Doch es sieht so aus, als hätte nicht einmal er die Macht dazu. Michoacán ist leider inmitten der Kartellgewalt zu einem unregierbaren Gebiet geworden. Und Aquila ist weit von der Landeshauptstadt entfernt an der Küste gelegen. Ein völlig vergessenes Niemandsland. Das klarste Beispiel wie es um die Region steht, zeigt der Fall meines Vaters, der verschwunden bleibt. Und wir erhalten auf nichts eine Antwort.

Präsident López Obrador hat im Februar Lithium verstaatlichen lassen. Glauben Sie, dass eine Verstaatlichung von Ressourcen zum Schutz indigener Gemeinden und Umweltaktivisten beitragen kann?

Das ist ein sehr komplexes Thema. López Obrador tritt damit in die Fußstapfen von General Lázaro Cárdenas, der in den 1920er Jahren das Erdöl enteignete, damit die Gewinne in den Staatshaushalt flossen. Grundsätzlich bleiben indigene Gemeinschaften aber von der Politik oft vergessen und es mangelt an umfassenden Strukturprogrammen. Im Bezug auf Lithium hätte ich die Hoffnung, dass die Verstaatlichung zumindest eine bessere Kontrolle des Bergbaus in Mexiko mit sich bringen könnte. Die meisten Minen werden ja von ausländischen Unternehmen ausgebeutet und diese agieren einfach nur verheerend. Es sind Killer, sie zerstören die Natur, sie zersetzen das sozialen Gefüge der Dorfgemeinschaften. Wenn die Verstaatlichung des Lithiums in irgendeiner Weise dazu beitragen kann, dass weniger Unternehmen dieser Art ins Land kommen, die so desaströse Zustände hinterlassen; dann ist es zumindest ein Weg, zu garantieren, dass sie dafür zur Verantwortung gezogen werden können. Dass die Nichterfüllung von Verträgen Konsequenzen haben wird. Insofern begrüße ich diesen Schritt.

Welche Auswirkungen hatte der Bergbau auf die Gemeinde Aquila?

Die Gemeinschaft ist gespalten, das soziale Gefüge zerbrochen. Eine Minderheit von 50 Familien haben sich von dem Minenunternehmen aufkaufen lassen. Sie setzen die Interessen von Ternium in der Gemeinde durch. Meine eigene Familien ist völlig gespalten, die Brüder meines Vaters reden seit Jahren nicht miteinander. Es haben sich sogar Morde unter den Gemeindemitgliedern zugetragen. Die Mehrheitsgruppe, die mein Vater vertritt, ist nicht gegen den Bergbau. Heutzutage ist es unrealistisch, dass die Mine nochmal geschlossen wird. Sie ist viele Fussballfelder groß und 900 Angestellte arbeiten dort. Aber sie soll der Gemeinschaft zugute kommen, auf dessen Territorium Millionengewinne erwirtschaftet werden. Es müssen gerechte Bedingungen herrschen. Und die Natur muss geschützt werden, denn schließlich ist es eine rurale Gemeinde, in der viele Familien ihr eigenes Essen anbauen. 

Sie selbst leben nicht mehr in der Gemeinde...

Ich lebe und arbeite heute in der Landeshauptstadt Morelia. Aber meine Kindheit und Jugend habe ich in Aquila verbracht. Dort sind meine Wurzeln und ich fühle mich weiter Teil der indigenen Gemeinschaft. Meine Kindheit dort war ein Traum. Damals hörte man noch nicht viel vom Drogenhandel und wir spielten in den Feldern und Wäldern und badeten im Fluss. Durch den offenen Tagebau, der unglaubliche Wassermassen verbraucht, ist dieser heute ausgetrocknet. 

Wie verbringen Sie den 15. April? Drei Monate sind Ihr Vater und Ricardo Lagunes dann verschwunden...

Im ganzen Land organisieren die Angehörigen der beiden Familien sowie Freunde und Arbeitskollegen von Ricardo Lagunes Mahnwachen und Demonstrationen. In Mexiko-Stadt finden diese vor den Regierungsgebäuden statt. In Morelia werden wir in der Kathedrale eine Messe für meinen Vater lesen lassen und Kerzen anzünden. Wir sind eine katholische Familie und wir wissen, dass dies im Sinne meines Vaters ist. Auch in Colima wird Ricardos Frau eine Messe lesen lassen. Es tut mir persönlich sehr leid, dass auch Ricardos kleine Tochter weiter auf ihren Vater wartet.

 

Menschenrechtslage in Mexiko

Der Fall Lagunes/Díaz sagt viel über die Lage im Land aus. Über 109 000 Verschwundene und 72 ermordete Aktivistinnen und Aktivisten im vergangenen Jahr zeigen eine Politik auf, die dem blutigen Gewinnstreben der Kartelle keinen Einhalt gebietet. Die Regierung simuliert Rechtsstaatlichkeit, obwohl Straflosigkeit vorherrscht. Allein aus dem Bundesstaat Michoacán mussten im letzten Jahr über 13 000 Vertriebene vor Gewaltverbrechen und Zwangsrekrutierungen der Kartelle fliehen. Menschenrechtsverteidigung ist unter diesen Umständen ein Risikofaktor. 

Der verschwundene Anwalt Ricardo Lagunes war jedoch nicht unerfahren auf diesem Gebiet. Er brachte indigene Gemeinden mit ihren Belangen bis vor den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof. So auch die Klage der Überlebenden des Massakers von Acteal, bei dem paramilitärische Gruppen im Jahre 1997 unbewaffnete Unterstützerinnen und Unterstützern des zapatistischen Aufstands attackierten und Frauen und Kinder umbrachten. 

Die Familien Lagunes/Díaz haben fast alle staatlichen Institutionen durchlaufen und damit erreichen können, was kaum jemand, der Verschwundene in der Familie hat, erreichen konnte. Doch auch in diesem prominenten Fall scheint die Regierung AMLO keine Handhabe zu haben, dass die Aktivisten lebend zurückkehren.

Autorin: Kathrin Zeiske

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