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Getrennte Welten

Noch bis zum 30. Oktober läuft das Lakino-Filmfestival in Berlin. Foto: Benjamin Beutler
Noch bis zum 30. Oktober läuft das Lakino-Filmfestival in Berlin. Foto: Benjamin Beutler

Viel muss das weiche Gesicht von Alberto Pizango Chota in Limas Palästen und Medienstationen erdulden. Im Fernsehen beschuldigt eine bekannte Moderatorin den Vertreter der indigenen Amazonasvölker im Norden von Peru, er würde Millionen von Menschen in Lima gefährden.

Als er zum Erklären ausholt, schneidet ihm die Moderatorin das Wort ab. Sein Blick geht ins Leere. Schnellen Schrittes, betont beschäftigt rauscht Kongress-Präsident Ángel Javier Velásquez Quesquén zum Treffen mit Pizango. Die einfachen Leute scheinen den Ablauf des Tagesgeschäftes nur zu stören.

Es ist das Jahr 2009. Gerade hat Präsident Alan García einen Freihandelsvertrag mit den USA unterzeichnet. Zum "Wohle der Nation" sollen die Amerikaner das Land "modernisieren" und "investieren" in Öl, in Kupfer und in die Forstwirtschaft. Im Hauruck-Verfahren wird ein Gesetzespaket auf den Weg gebracht, das den Ausverkauf von Land, Bodenschätzen, Wasser und Wäldern möglich macht. Perus Ureinwohner werden nicht gehört, die Verfassung mit Füßen getreten. Jetzt gehen sie auf die Straße, kommen zu Hunderten und Tausenden aus ihren Gemeinden im Dschungel - in Booten oder zu Fuß. Weit weg von der Hauptstadt besetzen sie Straßen, Flüsse, Öl-Pumpstationen, fordern die Aufhebung all der Gesetze, die hinter ihrem Rücken beschlossen wurden, die ein Ende ihrer Lebensgrundlage besiegeln. Sie wollen Mitsprache über ihr Schicksal und das ihrer Nachkommen. Nicht mehr und nicht weniger.

Gespräch ohne Annäherung

Zwei Sekunden Körpersprache sagen oft mehr als tausend Meter Film. Den Verhandlungsführern, die ihre ohnmächtige Wut hinter ruhiger Geduld verbergen und sich dabei fast so klein wie eine Ameise machen, schaut der Volksvertreter nicht in die Augen. Sofort, mit einer schnellen Geste auf die protzige Armbanduhr, macht der Parteigenosse des Präsidentem jedem klar, wer im überladenen, brokat-kolonialen Sitzungsraum des Kongressobersten, wer in Peru das Sagen hat. Und wer nicht. Knapp ist seine Zeit, knapp seine Geduld. Einer schweren Caterpilar-Walze gleich rammt sich der Anzugträger auf einen der goldumrandeten Samtsessel. Nicht eine Geste der Offenheit, der Annäherung, des Einanderzuhörens. Gleich mehrere Stühle bleiben zwischen dem fast 50-Jährigen Juristen und dem nur wenige Jahre jüngeren Landsmann Pizango frei.

Beide Männer sind Peruaner. Und doch trennen sie Welten. Wendet sich Pizango mit Engelsgeduld seinem Gegenüber zu und liest mit ruhiger Stimme die Forderungen der Männer, Frauen und Kinder im Amazonas vom Blatt, versteckt Ángel Velásquez mit aufgesetzter Ungeduld das satte Gesicht hinter seinen dicken Fingern. Genervt massiert er sich angestrengt die Stirn, als verursache ihm die Stimme Pizangos echte Schmerzen. Velásquez' Botschaft lässt keine Zweifel offen: Macht schnell, ihr stört. Sein anderer Arm aber ruht, lässig und weitausholend, auf der goldenen Lehne einer der freien Stühle. Wie eine Keule weisen Elle und Hand in die Richtung von Pizango, eine unverhohlen drohende Geste der Macht.

Waffengewalt statt Dialog

Aus den Gesten der Mächtigen wird schnell bitterer Ernst. Mit einem billigen Verfahrenstrick verhindert der Parlamentschef wenig später eine demokratische Debatte über die Anliegen und Nöte der Demonstranten im Amazonas. Präsident García erklärt großspurig die Anliegen der Indigenen im Fernsehen für egoistisch und rückwärtsgewandt. Wenig später schickt der Staat mit Maschinengewehren bewaffnete Spezialkräfte im Hubschrauber und den Geheimdienst. Beim "Baguazo" nahe der Kleinstadt Bagua sterben zehn indigene Männer und 23 Polizisten.

Acht Jahre lang hat das Regie-Duo Mathew Orzel und die deutsch-peruanische Heidi Brandenburg die Proteste gegen das Freihandelsabkommen und die gescheiterten Verhandlungen zwischen Indigenen und Regierung filmisch begleitet. Der Film, der auf dem Sundance-Festival sowie in Madrid und Zürich mit mehreren renommierten Preise ausgezeichnet wurde, zeigt mit chronologischer Strenge, fast kitschigen, aber gerade darum emotionalen Bildern, wie erbarmungslos eine gut geschmierte Maschinerie aus Politik, Justiz, staatlichem Gewaltmonopol und machtnahen Medien die Bewohner einer ganzen Region Zug um Zug zu "barbarischen Wilden" deklassiert. Und wie diese dann im Namen der vermeintlichen Mehrheit, des Rechtsstaates und des Fortschritts brutal aus dem Weg geräumt werden.

Wirtschaftsinteressen vor mehr Mensch und Natur

Den hohen Preis zahlt auch in Peru das Fußvolk: Die trauernde Ehefrau eines getöteten Polizisten in Lima. Die weinende Mutter eines Waisen in Bagua. Der verzweifelte Vater eines Spezialeinheits-Gruppenführers, der sich mit dem letzten Foto seines gefangengenommenen Sohnes auf die Suche nach den sterblichen Überresten macht. Und natürlich Pizango, der, wie ein Tier gejagt, über die Dächer Limas nach Nicaragua flieht, im Exil leidet, zurückkehrt und vor Gericht gestellt wird. Auch das zeigt "El Choque de dos mundos": Es sind die einfachen Menschen, die einander vergeben können. "Warum zählt Öl mehr als ein Menschenleben?", klagt der Vater am Ende des Films schließlich an. Warum gehen die Interessen von Firmen und Reichen vor? Das Leben ist unwiederbringlich, auch die Natur ist dem Menschen nur geliehen. Für die Toten von Bagua musste sich in Peru bis zum heutigen Tag nicht ein Politiker verantworten.

Autor: Benjamin Beutler

Der Film wird auf dem 4. Lateinamerikanischen Spielfilmfest in Berlin noch am Freitag, 28. Oktober (19.30 Uhr) und am Sonntag, 30. Oktober (18.30 Uhr) gezeigt.

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