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Frei Betto: Brasilien braucht Aufklärung und Reformen

Der Autor und brasilianische Befreiungstheologe Frei Betto kritisiert die PT-Arbeiterpartei und die korrupte Politik in Brasilien. Doch er sieht den ehemaligen Präsidenten Lula da Silva zu Unrecht als Sündenbock. Foto:<a data-rapid_p="27" data-track="attributionNameClick" title="Geh zum Fotostream von LuisCarlos Díaz" class="owner-name truncate" href="https://www.flickr.com/photos/periodismodepaz/"> LuisCarlos Díaz</a>/<a external="1" title="Opens external link in new window" href="https://www.flickr.com/photos/periodismodepaz/3238480528/">Frei Betto</a>,<span class="cc-license-identifier"><a external="1" title="Opens external link in new window" href="https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/legalcode.de"> CC BY-NC 4.0</a>.
Der Autor und brasilianische Befreiungstheologe Frei Betto kritisiert die PT-Arbeiterpartei und die korrupte Politik in Brasilien. Doch er sieht den ehemaligen Präsidenten Lula da Silva zu Unrecht als Sündenbock. Foto: LuisCarlos Díaz/Frei Betto, CC BY-NC 4.0.

Brasilien steckt in der Krise. Jüngst wurde Ex-Präsident Luiz Inacio Lula da Silva zu einer Haftstrafe verurteilt, auch gegen Präsident Michel Temer laufen Ermittlungen. Die Wirtschaft schrumpft, in Rio eskaliert die Gewalt. Im Interview sprach der brasilianische Befreiungstheologe Frei Betto (72) über Korruptionsbekämpfung, Auswege aus der Krise und die Verurteilung seines persönlichen Freundes Lula da Silva.

Im Zuge der Operation "Lava Jato" (Waschstraße) wurde Ex-Präsident Lula da Silva wegen Korruption verurteilt. Wie stehen Sie dazu?

Frei Betto: Korruption gehört seit jeher zur brasilianischen Gesellschaft. Dank "Lava Jato" gehen jetzt erstmals Mächtige hinter Gitter. Das ist vor allem der PT-Regierung unter Lula (2003-2010) und Dilma Rousseff (2011-2016) zu verdanken. Besonders Lula hat die Bundespolizei, die Staatsanwaltschaft und die Position des Generalstaatsanwalts gestärkt. Aber es gibt eine Konspiration, die verhindern soll, dass Lula wieder Präsident wird. Dafür sind seine Gegner zu allem bereit. Beweise gegen ihn gibt es nicht. In Lulas Fall wiegt der politische Faktor leider schwerer als der juristische.

Sie haben 2003 und 2004 als Lulas Berater für das Anti-Hungerprogramm "Fome Zero" (Null Hunger) gearbeitet. Warum sind Sie aus der Regierung ausgetreten?

"Fome Zero" hatte einen emanzipatorischen Charakter. Doch man hat es durch "Bolsa Familia" (Familienstipendium) ersetzt, das gut, aber kompensatorisch und nicht emanzipatorisch ist. Damit war ich nicht einverstanden.

Sind Sie insgesamt unzufrieden mit der PT-Regierung?

Schauen Sie, Brasilien war das Land mit der längsten Sklaverei in Amerika. Es gibt immer noch Rassenvorurteile, eine brutale Ungerechtigkeit und archaische Strukturen auf dem Land. Die PT hat es leider verpasst, die von ihr versprochene Strukturreformen wie die Landreform, eine Steuerreform, eine Bildungsreform und vor allem die politische Reform durchzuführen. Deshalb leiden wir heute unter dem mehrheitlich korrupten Kongress.

Die PT hat zudem die Quelle ihrer Existenz vergessen: die Sozialbewegungen. Genau wie Evo Morales in Bolivien hätte die PT Leute aus den Sozialbewegungen in die Politik holen, zu Senatoren und Abgeordneten aufbauen müssen. Stattdessen haben wir einen Kongress, der Dilma Rousseff abgesetzt hat und jetzt für das politische Überleben des korrupten Präsidenten Michel Temer kämpft. Die meisten Abgeordneten sind korrupt. Die Regierung gibt ihnen jetzt Gelder für ihre Wahlkreise, um sie auf ihre Seite zu locken. Leider ist das sogar legal.

Wie tief ist Lulas PT in die Korruption verstrickt?

Ich würde nicht für alle PT-Funktionäre die Hand ins Feuer legen. Einige haben das gleiche anti-ethische Verhalten der Rechten an den Tag gelegt. Aber was Korruption angeht sind die Rechten Profis, und die Linken Amateure. Deshalb sind so viele PT-Leute unter die Räder gekommen. Auch Lula wird gegenüber der Öffentlichkeit sagen müssen, was er von all dem wusste. Besser, die eigenen Fehler einzugestehen, als so zu tun, als ob nichts geschehen ist. Die Menschen sind ja nicht dumm.

Hat die PT auch programmatische Fehler begangen?

Leider hat die PT sich nicht nur von ihrem Ethik-Prinzip verabschiedet, sondern auch als Partei der Arbeiterklasse. Und man hat das Ziel aufgegeben, ein sozialistisches Brasilien zu schaffen. Nicht einen Sozialismus wie in der UDSSR, China oder Kuba. Sondern ein demokratisches Wirtschaftssystem. Ich habe Minister von Lula gesehen, die den Anstieg der Börse bejubelt haben. Man hätte stattdessen die verbesserten Lebensbedingungen der Arbeiter bejubeln sollen.

Besonders die zweite Amtszeit von Dilma Rousseff war eine Enttäuschung. Sie hatte eine progressive Politik versprochen, dann jedoch eine sehr konservative Politik gemacht. Die gleiche wie die heutige von Präsident Temer. Aber um unsere extrem ungerechten sozialen Strukturen zu ändern, brauchen wir tiefgreifende Reformen. Und die wird es nur mit einer Mobilisierung der Sozialbewegungen geben. Ich glaube nicht an Veränderungen, die von oben nach unten kommen.

Konkret, was waren die Fehler der PT?

Die PT hat eine Nation von Konsumenten geschaffen, statt von Bürgern. In den Favelas haben die Menschen Computer, Handys, Fernseher und Küchengeräte gekauft, in 90 Raten. Aber sie haben immer noch keine Bildung, keine Krankenversicherung, keinen Transport oder Sicherheit. Sie haben Güter, aber keine Rechte. Und mit den derzeitigen Reformen des Arbeitsrechts und des Rentensystems werden sie die wenigen Rechte verlieren, die sie in den letzten 70 Jahren erkämpft haben. Aber sie merken es nicht. Die PT hat ihr Versprechen der politischen Alphabetisierung des Volkes nicht eingelöst. Heute ernten wir die bitteren Früchte.

Die Linke ist von Lula in Geiselhaft genommen worden - es geht nur noch um seine persönliche Rettung?

Ja, leider ist die PT auf Lula fokussiert, neue Führungskräfte gibt es praktisch nicht. Sollte Lula nicht 2018 antreten können, wird es schwer werden, rechtzeitig einen anderen Kandidaten aufzubauen. Das ist ein großer Fehler. Ich bin Lulas Freund, aber ich würde ihn nicht automatisch wählen. Es hängt von seinem Programm ab, und nicht alleine von seiner Person. Ich will nicht mehr Personen wählen, ich will für Programme stimmen.

Ich bin davon überzeugt, dass die Menschheit nur im Sozialismus eine Zukunft hat. Nicht die existierenden Modelle, sondern eines Modells, in dem die Früchte der Arbeit und der Landbesitz geteilt werden. Ohne diese Sozialisierung bleiben wir weiter eine Gesellschaft voller Verteilungskämpfe, Vorurteile und Diskriminierung.

Trotz allem glauben Sie an ein gerechtes Brasilien?

Ich habe in diesen Zeiten des "Putschisten" Michel Temer ein Motto. Lasst uns den Pessimismus für bessere Zeiten aufheben. Mein christlicher Glaube gibt mir Hoffnung und Liebe. Ich glaube, dass die Gerechtigkeit stets über die Ungerechtigkeit siegt, die Wahrheit über die Unterdrückung. Ich werde das wohl nicht mehr selber erleben. Aber ich will die Saatkörner dazu säen.

Quelle: KNA, das Interview führte Thomas Milz

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