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Bolivien |

Evo mit Rückenwind und eine desolate Opposition

Santa Cruz. “1,2,3, Evo noch einmal”, skandieren die rund hundert Anhänger des bolivianischen Präsidenten, die sich am Flughafen von Santa Cruz versammelt haben. Ihr Idol ist zwar nicht persönlich gekommen sondern nur der Senatorenkandidat der regierenden Bewegung zum Sozialismus (MAS), aber das tut der Freude keinen Abbruch. Die Reisenden werfen beim Verlassen des Terminals verstohlen kritische Blicke auf die fröhliche Menge. Die Tieflandmetropole Santa Cruz ist die Hochburg der oppositionellen Viehzüchter und Sojabarone. Noch vor einem Jahr wäre hier fast ein Bürgerkrieg ausgebrochen: Schlägertruppen der Opposition stürmten öffentliche Gebäude und attackierten MAS-Anhänger.

Heute erinnern nur noch ein paar Graffiti in der Innenstadt daran. Die Schlägertruppen von damals haben sich teilweise der MAS angeschlossen, die Opposition ist nur noch ein Schatten ihrer selbst und zieht gespalten ins Rennen um die Präsidentschaft am 6. Dezember. Zum einen wirbt der rechtsliberale Unternehmer Samuel Doria Medina mit dem Versprechen von Arbeitsplätzen um die Stimmen in der Mitte, während der Ex-Militär Manfred Reyes Villa die Regierung als autoritär und kommunistisch attackiert und damit auf die Unterstützung aus dem rechten Lager hofft. Doch der Präfekt von Santa Cruz – ein weiterer gewichtiger Gegenspieler von Morales – hat keinerlei Unterstützung für einen der beiden bekundet, während die Wirtschaftsbosse der Metropole inzwischen Morales hofieren und ihn jüngst zur wichtigsten Messe in Santa Cruz einluden.

Zusammen können Doria Medina und Reyes Villa laut Umfragen höchstens mit 35 Prozent der Stimmen rechnen. Evo Morales, dem ersten indigenen Präsidenten des Andenlandes, dürfte dagegen mit 55 Prozent unangefochten eine neue Amtszeit bevorstehen. Die Opposition kämpft um den Erhalt ihrer knappen Mehrheit im Senat, mit der sie bislang zahlreiche Gesetzesvorhaben der Regierung abblocken konnte. Dass sie diese verlieren könnte liegt allerdings nicht nur am desolaten Zustand der Opposition selbst, sondern auch an dem neuen Wahlmodus und der Neuaufteilung der Wahlkreise zu Ungunsten der Ballungszentren. Die Opposition kritisiert diese Manöver ebenso wie die offene Verwendung von Regierungsmitteln für den Wahlkampf oder die Einschüchterung von Regierungsgegnern durch Prozesse und Klagen.

Die Mehrzahl der Bolivianer freilich scheint das wenig zu stören. Ins brandneue, mit internationaler Hilfe erstellte digitalisierte Wahlregister haben sich fünf Millionen Bolivianer eingeschrieben – so viel wie nie zuvor. „Evo sorgt für mehr Gerechtigkeit“, sagt der Ingenieursstudent Luis Miguel Agrio am Flughafen von Santa Cruz. Bei den nach indigenen Sitten durchorganisierten Gemeinden im Hochland und den Gewerkschaften der Kokabauern im Tiefland, wo Evos Karriere seinen Anfang nahm, ist der Rückhalt immens. „Er ist einer von uns“, resümiert ein Kokablatt kauender Minenarbeiter. Doch nicht nur die ethnische Identifikation zählt in einem Land, in dem rund 60 Prozent der Bevölkerung Indigenas sind. Auch die Sozialprogramme Evos für Schulkinder, Schwangere und ältere Menschen haben ihm viel Rückhalt im Armenhaus Südamerikas verschafft. Seit der Nationalisierung der Erdgasindustrie haben sich die Einnahmen des bolivianischen Staates vervielfacht; die Hausse an den Rohstoffmärkten hat ihren Teil dazu beigetragen, auch internationale Hilfsgelder und Kredite flossen reichlich. „Morales hat in den drei Jahren seiner Regierungszeit so viel Geld in der Kasse gehabt wie seine drei Vorgänger zusammen“, sagt der Weltbankmitarbeiter Rafael Archondo. Und für die kommenden Jahre schweben dem 50jährigen Staatschef noch ganz andere Projekte vor: Stahlwerke, Raffinerien, Fabriken für Lithiumbatterien. Damit soll Bolivien, das seit der spanischen Eroberung hauptsächlich vom Export seiner Rohstoffe lebt, in die Moderne geführt werden.

Dagegen droht weniger von der Opposition als von den eigenen Leuten Protest: die Indigenas haben laut der neuen Verfassung Mitspracherechte bei der Nutzung ihrer Territorien. Doch als sich jüngst im Nationalpark Madidi nördlich von La Paz Proteste gegen die Erdölprospektion durch multinationale Konzerne regte, erklärte Morales kategorisch, der Fortschritt für alle Bolivianer könne nicht durch einige wenige blockiert werden. Und als sich in El Alto, einer Hochburg der MAS, Proteste gegen die Kürzung des Staatsanteils im Kommunalhaushalt regten, sorgten Schlägertruppen der Regierung sofort für Ruhe. Der rebellierende Bürgermeister trat zurück.

Derartige Entwicklungen betrachtet der Politologe Carlos Cordero mit Sorge. „Sie bringen autoritäre Züge zum Vorschein im Vorfeld einer entscheidenden Wahl. Denn das neue Parlament muss die Ausführungsgesetze zur neuen Verfassung verabschieden. Da geht es um die Struktur des Staates, um das Rechtsstaatsverständnis, kurz um die Zukunft des Landes.“

Autorin: Sandra Weiss

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