Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Kolumbien |

Estamos Listas: Für mehr Frauen in der Politik

In Kolumbien sind Frauen in der Politik die Minderheit. Eine Frauenbewegung aus Medellín will das ändern - sie wirbeln die politische Landschaft vor der Regionalwahl ordentlich auf. 

Frauenliste "Estamos Listas" auf den Straßen von Medellín. Foto: Andreas Knobloch, Adveniat

Vor den Regionalwahlen in Kolumbien Ende des Monats mischt eine Frauenliste den Wahlkampf in Medellín, der zweitgrößten Stadt des Landes, auf. „Wir sind eine politische Frauenbewegung, die versucht die Lücken der politischen Repräsentation von Frauen im Land zu schließen“, sagt Dora Saldarriaga Grisales, Menschenrechtsaktivistin, Anwältin, Professorin und Spitzenkandidatin von Estamos Listas (Wir sind bereit). Die von Frauen angeführte Wahlliste sei der Versuch, den Anteil von Frauen in Macht- und Entscheidungspositionen in Medellín zu erhöhen.

Frauen sind in Kolumbiens Politik seit jeher stark unterrepräsentiert. „In Kolumbien besetzen Frauen noch nicht einmal 17 Prozent der gewählten Posten in der Politik. Das hat uns mobilisiert“, sagt Adriana González Cuervo, Unternehmensberaterin und ebenfalls Kandidatin für Estamos Listas.

Frauen für den Frieden 

Entstanden ist Estamos Listas aus einem anderen Ereignis heraus. Nach dem Nein im Plebiszit zum Friedensvertrag zwischen kolumbianischer Regierung und FARC-Guerilla im Oktober 2016 herrschte bei Vielen in Kolumbien Entsetzen und Lähmung. Mehrere Frauen in Medellín beschlossen, den Verdruss abzustreifen und sich stärker politisch zu engagieren. Am 16. November 2017 trafen sich rund 45 Frauen und gründeten Estamos Listas. Heute gehören der Bewegung mehr als 2.000 Frauen an.

„Jede dieser Frauen konnte sich bei internen Wahlen für unsere Liste für die Wahlen zum Stadtrat am 27. Oktober bewerben – mit einem dreiminütigen Vorstellungsvideo, das auf eine Internetplattform gestellt wurde“, erklärt Saldarriaga. Alle Frauen der Bewegung hatten dann die Möglichkeit abzustimmen. So wurde die Kandidatinnenliste mit vierzehn Frauen aufgestellt, von denen zwei später ihre Kandidatur zurückzogen, aber weiter Teil der Bewegung sind. Da es in Kolumbien ein Gesetz gibt, das für die Registrierung als Wahlliste 30 Prozent Kandidaten des anderen Geschlechts vorschreibt, wurden per Konsensentscheid auch sechs Männer aufgestellt. „Im Grunde müsste das Gesetz aber heißen: 30 Prozent Frauen und nicht des anderen Geschlechts“, sagt Saldarriaga, da es ja gemacht wurde, um die Beteiligung von Frauen zu erhöhen.

Sozialer Wandel 

Estamos Listas finanzieren sich durch Mikrokredite, Spenden sowie den Verkauf von T-Shirts, Taschen und Tüchern mit dem in Gelb und Violett gehaltenen Parteilogo: einer Eule mit ausgebreiteten Schwingen. „Die Eule repräsentiert die Wachsamkeit, Weisheit und Fürsorge, jenen Blick, mit dem wir uns um die Stadt kümmern wollen“, sagt Saldarriaga. „Gelb steht für die Guayacanes, deren Blüten überall in der Stadt zu sehen sind, und Violett für den historischen Kampf der Frauen für ihre Rechte.“

Estamos Listas sei ein politisches Projekt, das durch die Erringung von Mandaten eine soziale Transformation bewirken will, sagt González. „Viele Frauen kommen aus sozialen Bewegungen.“ Als feministische Bewegung verstehe man sich aber nicht, erklärt Saldarriaga. „Wir sind eine Bewegung von 2039 unterschiedlichen Frauen. In dieser Vielfalt finden sich Hausfrauen, Akademikerinnen, Bäuerinnen, Angestellte, Unternehmerinnen, eine repräsentative Mischung der Frauen, die man in der Stadt antrifft. Darunter gibt es auch Frauen, die wir uns als Feministinnen verstehen, aber das gilt nicht alle Frauen.“

"Ökonomie der Fürsorge"

Bei der Gründung wurde ein Manifest verfasst, das auch thematische Grundlage für den Wahlkampf ist. Es umfasst mehrere Punkte. „Die wichtigste ist die Ökonomie der Fürsorge“, sagt Saldarriaga. „Pflegekräfte sind in der großen Mehrzahl Frauen, die diese Arbeit oft ohne Bezahlung leisten.“ Estamos Listas wolle ein System der städtischen Fürsorge einrichten, „also dass der Staat sich in Teilen dem Fürsorgesystem annimmt, sodass die Frauen sich weiterbilden oder anderen Tätigkeiten nachgehen können.“ Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Gewalt gegen Frauen. Statistiken zeigten eine hohe Gewaltrate innerhalb von Familien; dabei seien in 85 Prozent der Fälle Frauen die Opfer, so Saldarriaga. „Deshalb muss der Fokus auf Sicherheit gelegt werden, nicht nur Sicherheit für Besitz und Land, sondern Leib und Leben. Innerfamiliäre Gewalt ist ein sehr wichtiges Thema, sowie sexuelle Gewalt und Frauenmorde.“ Zudem wolle sich Estamos Listas für mehr politische Kontrolle der öffentlichen Ausgaben, Umweltthemen, die Frage der Mobilität von Frauen und den ländlichen Raum einsetzen. „Darüber hinaus interessiert uns, die politische Teilhabe, interne Demokratie und Menschenrechte im Alltag zu potenzieren. 

"Politischen Teilhabe von Frauen"

Da Estamos Listas aus dem Nein im Plebiszit über den Friedensvertrag entstanden ist, spielen die politische Situation im Land, die Umsetzung der Friedensvereinbarungen und die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes durch einen Teil der FARC naturgemäß eine wichtige Rolle. „Die Tatsache, dass eine Fraktion der FARC sich wiederbewaffnet hat, bedeutet kein Scheitern der Übereinkunft, denn die große Mehrheit der ehemaligen Guerrilleros nimmt weiter am Prozess der Wiedereingliederung (in die Gesellschaft) und am Friedensprozess teil“, sagt Saldarriaga. „Wir setzen auf eine Konstruktion des Friedens, ausgehend von einem anderen Fokus, wie der politischen Teilhabe von Frauen.“

Saldarriaga betonte, dass es sich bei Estamos Listas um eine kollektive Kandidatur handele. Sowohl sie als auch González zeigten sich sehr zufrieden mit dem bisherigen Wahlkampf. Man habe viel Unterstützung und Zuspruch erfahren. Die Wahrnehmung durch die anderen Parteien habe sich geändert, glaubt González. „Anfang haben sie uns ein bisschen abgetan, nach dem Motto: Ach schau' Dir die Frauen an, wie schön, dass sie sich zusammentun. Jetzt sehen sie uns als ernstzunehmende Wettbewerber, begegnen uns mit viel Respekt und Anerkennung und wohl auch mit etwas Angst.“ Man hoffe auf drei, vier Sitze im Stadtrat, „die es uns ermöglichen, eine Stimme zu haben, die gehört wird“, so González. „Aber unabhängig davon, alles, was wir bis hierher erreicht haben, ist ein Gewinn.“

Autor: Andreas Knobloch

Weitere Nachrichten zu: Politik

Cookie Einstellungen

Erforderliche Cookies sind für den reibungslosen Betrieb der Website zuständig, indem sie Kernfunktionalitäten ermöglichen, ohne die unsere Website nicht richtig funktioniert. Diese Cookies können nur über Ihre Browser-Einstellungen deaktiviert werden.

Anbieter:

Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.

Datenschutz

Marketing-Cookies werden verwendet, um Besuchern auf Webseiten zu folgen. Die Absicht ist, Anzeigen zu zeigen, die relevant und ansprechend für den einzelnen Benutzer sind und daher wertvoller für Publisher und werbetreibende Drittparteien sind.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz

Statistik-Cookies dienen der Analyse und helfen uns dabei zu verstehen, wie Besucher mit unserer Website interagieren, indem Informationen anonymisiert gesammelt werden. Auf Basis dieser Informationen können wir unsere Website für Sie weiter verbessern und optimieren.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz