Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Kolumbien |

Erdöl um jeden Preis

Berlin. Eines der wenigen lateinamerikanischen Länder, über die auch hierzulande immer wieder berichtet wird, ist Kolumbien. Gegenstand der medialen Aufmerksamkeit sind vor allem die Aktivitäten der Paramilitärs, der Drogenhandel, der Plan Colombia, Entführungen, Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe und die Erdölvorkommen des Landes. Trotz der gesellschaftspolitisch eher bedenklichen Zustände konnte Kolumbien im Jahr 2005 den stärksten Zufluss ausländischer Direktinvestitionen in ganz Lateinamerika verzeichnen. Ein großer Teil dieser Investitionen floss in die Erdölindustrie. Wie hat sich die Entwicklung dieses Sektors auf die KolumbianerInnen ausgewirkt? Der Erdölabbau erfolgt zum großen Teil in Indígena-Territorien, die von bewaffneten Gruppen wie der Armee der Nationalen Befreiung ELN (Ejército de Liberación Nacional) oder der Bewaffneten Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) als Rückzugsgebiete genutzt werden. Welchen Preis haben die Sicherheitsgarantien der kolumbianischen Regierung gegenüber transnationalen Unternehmen? Davon wiederum ist in den Medien eher selten die Rede.

Betrachten wir die Situation im Bezirk Arauca im Norden des Landes. Im Jahr 1982 wurde in de Caño Limón das bislang größte ölfeld der kolumbianischen Geschichte entdeckt. Es befindet sich im Norden der Region, das seinerzeit zum Tijuani-Territorium gehörte. Wir sprachen im August mit einem Mitglied des Indígena-Rates der Region Arauca, dessen Name aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden kann. Seinen Angaben zufolge wurden die Tijuani im Anschluss an den ölfund aus ihren Gebieten vertrieben. Und nicht nur sie. Im Jahr 1985 errichteten mehrere ölunternehmen wie Oxy, Repsol und Ecopetrol eine Pipeline im Gebiet der Indígena-Ethnie U´wa und vertrieben auch dort die EinwohnerInnen aus ihren angestammten Territorien. Im Jahr 2003 wurden die Gemeinden Tami y Talavera aus ihrer Heimat verjagt: „Die Räumung war keine Sache von Tagen oder von Stunden, sondern buchstäblich von Sekunden“, erzählt der Indígena-Sprecher. „Zu den BewohnerInnen haben sie gesagt: ‚Ihr habt eure Häuser sofort zu verlassen, wir wollen euch hier nicht mehr sehen’. Seither haben wir viele schwerwiegende Probleme. Eines ist der Verlust der inneren Geschlossenheit. Die Menschen haben das Vertrauen zu unserem Oberhaupt verloren. Außerdem sind wir jetzt gezwungen, uns innerhalb eines bestimmten Gebiets aufzuhalten, dabei waren wir immer Nomadenvolk. Außerdem müssen wir dicht gedrängt leben, oftmals werden drei oder vier Familien in eine Wohnung gepfercht.“

Auch für die Umwelt bleibt die ölgewinnung nicht folgenlos. Um den Bedürfnissen der ölindustrie zu genügen, wurde das gesamte Wasserversorgungsnetz umgestellt. Es muss viel Boden abgetragen werden, um die neuen Wasserläufe einzurichten. Die Laguna de Lipa, einst das größte Wasserreservoir der Region, war der Lebensraum zahlreicher Tierarten und ein heiliger Ort der Ethnie Sicuani. Die Lagune wurde vom ölkonzern Oxy trockengelegt und dient ihm nun als Müllhalde. Den Sicuani ist der Zugang zu dem ehemals heiligen Ort verwehrt, da das Gelände nun Eigentum des Unternehmens Oxy ist.

Die Zunahme bewaffneter Konflikte ist ein weiteres Problem, das das Leben der BewohnerInnen der Region Arauca seit der Ausweitung der ölindustrie belastet. Kurz nachdem sich die ölunternehmen niedergelassen hatten, kamen die bewaffneten Gruppen. Zu Beginn der Achtziger Jahre siedelte sich die ELN in der Region an. Ihr Ziel war es, die Verstaatlichung der Mineralölvorkommen durchzusetzen. In den Neunziger Jahren war es dann die FARC, die offensichtlich versuchte, an den mit der ölindustrie erzielten Gewinnen teilzuhaben. Die Reaktion des Staates ließ nicht lange auf sich warten: Binnen kurzer Zeit hatten Militärs und Paramilitärs das Gebiet unter sich aufgeteilt. Im Jahr 2002 erklärte Präsident Uribe die Region Arauca zur „Rehabilitations- und Konsolidierungszone“. Militär und Polizei hatten somit richterliche Verfügungsgewalt. Das bedeutet: In diesen Zonen übt ein Militärbefehlshaber die oberste Gewalt aus und kann Festnahmen, Hausdurchsuchungen und Telefonüberwachung ohne richterlichen Beschluss anordnen. Seine Befugnisse reichen bis zur Kontrolle der Einfuhr von Lebensmitteln sowie der Ein- und Ausreise von Personen aus dem Gebiet. Ein normaler Personalausweis ist dort wertlos, man braucht einen speziellen Passierschein. Wer diesen nicht besitzt, kann leicht verhaftet werden. Drei Monate später wurde dieser Beschluss für verfassungswidrig erklärt. Wie uns jedoch ein Mitglied der Stiftung Menschenrechte Sierra de Arauca erzählte, dessen Name ebenfalls aus Sicherheitsgründen geheim bleiben muss, übt die Staatsgewalt, insbesondere jedoch die in dieser Zone eingesetzte Brigade XVIII, die Verfügungsgewalt weiterhin aus.

Nach Ansicht des Menschenrechtlers spielt das Erdölunternehmen dabei eine beträchtliche Rolle: „OXY (Occidental Petroleum) gehörte zu den Unternehmen, die den größten Druck auf die Regierung der Vereinigten Staaten ausgeübt haben, damit der Plan Colombia verabschiedet wird. Im Jahr 2003 wurden 99 Millionen Dollar aus dem Plan Colombia entnommen, um die Pipeline Caño Limón Coveñas zu sichern. Zum Teil floss das Geld an die auf Sprengstoffanschläge gegen die Pipeline spezialisierte Staatsanwaltschaft, zum Teil wurde es für die Anschaffung von Hubschraubern und Material und für die Ausbildung der Spezialeinheit verwendet. Die Staatsanwaltschaft hat sich darauf verlegt, vielen AktivistInnen sozialer Organisationen das Leben schwer zu machen, außerdem gibt es personelle Überschneidungen zwischen der Staatsanwaltschaft und der militärischen Sondereinheit. Von getrennt arbeitenden Sektoren aus Rechtsprechung und Militär im Sinne der demokratischen Gewaltenteilung kann in Arauca somit derzeit keinesfalls die Rede sein. Oxy ist jedoch nicht das einzige Unternehmen, das in Arauca Menschenrechtsverletzungen begangen hat. Selbiges gilt auch für Repsol. Als Repsol anfing, das Wasserreservoir Capacho in der Gemeinde Tami auszubeuten, waren plötzlich Paramilitärs vor Ort. Mit getarnten Aktionen haben sie die Gegend leergefegt, so dass das Unternehmen in Ruhe arbeiten konnte, ohne sich mit dem Widerstand der BewohnerInnen auseinandersetzen zu müssen. Es gab über 1.000 Tote und Verschwundene.“

Auch die Los Angeles Times berichtete im Jahr 2002 von einem Kooperationsabkommen zwischen OXY und der Brigade XVII, das 1996 unterzeichnet wurde. Das Unternehmen sollte seinerzeit die Zahlung von fast zwei Millionen Dollar zugesichert haben.

Bei seinem Besuch in Berlin im Oktober erklärte Rodolfo Vecino Acebedo, Rechtsanwalt bei der Gewerkschaft der ErdölarbeiterInnen: „Von Mitte der 80er Jahre bis heute sind 105 Mitglieder der Gewerkschaft der Erdölarbeiter ermordet worden. (…) Kaum einer der Mordfälle wurde strafrechtlich geahndet. Von 105 Ermordungen wurden ganze vier gerichtlich verhandelt. Ein Fall macht besonders deutlich, wie weit das Prinzip der Straflosigkeit reicht: Unser Genosse Auri Sará Marrugo und sein Leibwächter wurden im November 2001 entführt. Im Zuge des 2005 erlassenen Gesetzes ‚Gerechtigkeit und Frieden’ sagte ein Paramilitär namens Juancho Dique schließlich aus, die Staatspolizei selbst habe die beiden entführt und den Paramilitärs übergeben. Hier zeigt sich deutlich, dass es der Staat tatsächlich darauf anlegt, Gewerkschaften und soziale Verbände buchstäblich zu eliminieren. (…) Nach dem letzten Streik für die Verstaatlichung der Erdölvorkommen 2004 wurden 283 Arbeiter und Arbeiterinnen entlassen, 65 sind bis heute ohne Job. (…) Heutzutage lebt man als Gewerkschaftsführer in Kolumbien sehr gefährlich.“

Im Jahr 2007 verurteilte die NGO ‚Gerichtshof der Völker’ die Erdölunternehmen Oxy, Repsol und BP und den kolumbianischen Staat wegen Menschenrechtsverletzungen und der unrechtmäßigen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen des Landes. Bleibt also die Frage: Wenn der Staat selbst auf der Anklagebank sitzt, wer sorgt dafür, dass er seine Strafe bekommt?

Autorin: Carola Caggiano (npl, poonal)

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