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Peru |

"Die Korruption tötet Menschen"

José Ugaz bei einem Seminar von Wikistage und Weltbank zum Thema "Soziale Inklusion" in Peru Anfang Oktober 2015. Foto: Reuniones Anuales GBM/FMI Lima 2015, CC BY-NC-ND 2.0
José Ugaz bei einem Seminar von Wikistage und Weltbank zum Thema "Soziale Inklusion" in Peru Anfang Oktober 2015. Foto: Reuniones Anuales GBM/FMI Lima 2015, CC BY-NC-ND 2.0

Wie definieren Sie Korruption?

Die klassische Definition, die Transparency International in die Debatte eingebracht hat, versteht unter Korruption den Missbrauch öffentlicher Ämter für private Interessen, um einen persönlichen Nutzen zu erlangen. Und zwar zum Schaden des öffentlichen Wohls.

Viele Staaten Lateinamerikas sind aktuell mit schweren Vorwürfen und Fällen massiver Korruption konfrontiert. Gibt es länderübergreifend Gemeinsamkeiten?

Bei der Korruption handelt es sich um ein weltweites Phänomen. Lateinamerika und die Karibik liegen in den Messungen von Transparency International eher unter dem Durchschnitt, was die Wahrnehmung von Korruption betrifft. Von Land zu Land gibt es natürlich Unterschiede, aber insgesamt lässt sich für Lateinamerika feststellen, dass historische Vorläufe unterschiedliche Konsequenzen bis in die Gegenwart haben. Der Historiker Alfonso Quiroz zum Beispiel hat ein Buch mit dem Titel "La historia de la corrupción en el Perú" geschrieben. Als Kolonialherren kamen nicht die besten Beamten des spanischen Königreiches nach Lateinamerika, sondern jene, die für ihre Position zahlen konnten. Diese Menschen waren nicht von Altruismus getrieben, sondern sie wollten Geschäfte machen.

In der Folge entwickelten sich klientelistische Systeme. Grundsätzlich aber sind die Korruptionsmuster weltweit ähnlich. Überall erweist sich zum Beispiel der Infrastruktur- und Bausektor als besonders anfällig. Es wird bestochen, um an Aufträge im öffentlichen Dienstleistungssektor zu kommen. Die Erfolgsaussichten steigen, wenn der Staatsapparat ineffizient und bürokratisch ist, und das Personal schlecht bezahlt wird. In jüngster Zeit breitet sich die Korruption auch im Bergbau- und Rohstoffsektor aus. Beispiel Petrobras in Brasilien. Hier ist sehr viel Geld im Umlauf. Es fehlt an Transparenz und klaren Regeln, was korrupte Beamte sich zunutze machen.

Wenn man sich den Index der Korruptionswahrnehmung für Lateinamerika ansieht, gibt es nur zwei Länder, die gut abschneiden: Chile und Uruguay. Auf der anderen Seite weiß jeder, dass in Uruguay viel Geld gewaschen wird, das Land ist ein Steuerparadies, und gesetzliche Maßnahmen ermöglichen es, dass im Bankensystem Korruptionsgelder versteckt werden können. Und in Chile gab es kürzlich Korruptionsfälle wie nie zuvor. Das große Problem, das ich für Lateinamerika aktuell erkenne, ist das Zusammentreffen von Korruption und organisierter Kriminalität. Hier entsteht ein neues Phänomen. Betroffen sind das Dreieck Guatemala, Honduras, El Salvador, Mexiko sowie Peru und Kolumbien. Illegal erwirtschaftete Gelder werden von einem Ort zum anderen umgeleitet.

Sie haben in den 1990er Jahren an wichtigen Korruptionsfällen gearbeitet. Wie hat sich das Phänomen Korruption in den vergangenen 15 Jahren entwickelt?

Peru war bis zum Amtsantritt von Präsident Fujimori 1990 ein Land mit einer im lateinamerikanischen Vergleich nicht ausgeprägten Korruption. Unter Fujimori und dem peruanischen Geheimdienstchef Montesinos ergriff dann erstmals ein kriminelles Netzwerk die Macht. Eine kriminelle Organisation kontrollierte den gesamten Staatsapparat, aber auch andere Bereiche wie die Medien. Es handelte sich um einen Meilenstein in der Geschichte Perus. Heute hat Peru eine andere politische Organisation, es fand ein Prozess der Regionalisierung statt. Die Macht ist nicht mehr ausschließlich auf Lima konzentriert. Die Korruption sollte erschwert werden. Stattdessen hat sich die Korruption aber auf das ganze Land ausgebreitet, weil Kontrollmechanismen fehlen.

Gibt es irgendeinen Zusammenhang zwischen dem Regierungstyp und der Korruption? Hier Demokratie, dort Diktatur?

Das ist eine sehr komplexe Frage, die in Fachkreisen ausgiebig diskutiert wird. Eine echte Demokratie müsste über Transparenzmechanismen und freien Zugang zu Informationen verfügen, die in einem autoritäten System oder einer Diktatur undenkbar sind. Idealerweise sollte die Korruption in einer Demokratie weniger verbreitet sein. Allerdings sind viele unserer Demokratien nicht perfekt, und es gibt keine Mechanismen, die für Transparenz sorgen. Wichtig ist der Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen. Auch eine formale Demokratie garantiert diesen nicht immer. Umgekehrt wird Singapur autoritär regiert, es gibt aber nur wenig Korruption. Mexiko, eine Demokratie, hatte dagegen schon immer ein sehr hohes Niveau an Korruption.

Wenn wir über Korruption reden, müssen wir uns auch ansehen, wie politische Kandidaten ausgewählt werden, und wie sie an die Macht kommen. Jemand, der seine Kandidatur kauft, sei es für 60.000 oder für 300.000 Dollar, der wird, wenn er an der Macht ist, natürlich versuchen, sein Geld zurückzubekommen. Ganz wie in der Kolonialzeit. Ich glaube grundsätzlich, dass die politische Klasse in Lateinamerika nicht die Interessen des Gemeinwohls im Auge hat.

Gibt es auch soziale Kosten der Korruption?

Die Korruption tötet. Es ist kein abstraktes Problem von Zahlen. Menschen sterben. In Guatemala zum Beispiel sind 36 Personen gestorben, weil jemand das Geld für die Medikamente stahl, die diesen Menschen hätten verabreicht werden müssen. In Sierra Leone wurden Gelder entwendet, die der Bekämpfung von Ebola dienen sollten, was ebenfalls dazu führte, dass Menschen starben. Es kann keinen Zweifel daran geben, dass Korruption tötet, Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen hat, zu einem Anstieg der Armut führt und Kindern Bildung vorenthält. Korruption fügt der Gesellschaft schwere Schäden zu und muss entsprechend scharf sanktioniert werden. Korruption schwächt die Regierbarkeit eines Landes und bedeutet einen Angriff auf die Demokratie. Ich würde soweit gehen zu sagen, dass Korruption Entwicklung verhindert.

Interview: Stefan Sprinckmöller,
Quelle: http://www.noticiasaliadas.org/, deutsche Bearbeitung: Bernd Stößel, Fotoquelle: Reuniones Anuales GBM/FMI Lima 2015, CC BY-NC-ND 2.0

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