Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Mexiko |

Die Kämpferinnen: Frauenmorde in Mexiko

Vor einem Jahr wurde in Mexiko die Aktivistin und Künstlerin Isabel Cabanillas erschossen. Die Tat schockierte, doch aufgeklärt wurde sie nie. Wie sieht die Lage in ihrer Heimatstadt Ciudad Juárez ein Jahr nach ihrem Tod aus?

In Mexiko protestieren Frauen gegen Femizide

Mobilisierung gegen Gewalt gegen Frauen in Mexikos Ciudad Júarez. Foto: Carolina Rosas Heimpel

2.000 rosa Kreuze wollen Aktivistinnen aus der Grenzstadt Juárez heute vor der Sonder­staatsanwaltschaft für Frauen anbringen. Es ist ein schnörkelloser Bürobau. „Denn schätzungs­weise 2.000 Frauen sind seit dem Jahr 1993 in unserer Stadt ermordet worden – nur, weil sie Frauen waren. Ihnen wollen wir ein Mahnmal setzen“, erklärt Lydia Granados, eine 30-Jährige mit dunklem Lockenkopf. Sie ist mit dem in Ciudad Juárez sich häufendem Verbrechen der Femizide groß geworden, den allgegenwärtigen Such­plakaten junger Mädchen und schwarzen Kreuzen auf rosa Grund, die an den Straßenecken Gerechtigkeit fordern. Vor einem Jahr wurde die Aktivistin und Künstlerin Isabel Cabanillas erschossen, ein Verbrechen so schrecklich wie alle anderen. „Aber der Unterschied ist, dass sie eine Weggefährtin war. Wir sind doch nicht viele, die wir in dieser Stadt gegen Frauenmorde kämpfen.“

Elf Frauenmorde an einem Tag in Ciudad Juárez

Das Thema ist nicht neu. Anfang der 1990er Jahre sprachen Akademike­rinnen in Ciudad Juárez zum ersten Mal in Lateinamerika von "Femizid". Damals wurden Industriearbeiterinnen der Montagefabriken an der Grenze zu den USA systematisch entführt, vergewaltigt und hingerichtet. Im Jahr 2009 wurde der mexikanische Staat im „Fall des Baumwollfeldes“ vom Interamerikanischen Menschen­rechtsgerichtshof schuldig gesprochen, eine Aufklärung aktiv vereitelt zu haben. Doch seit über einem Vierteljahrhundert herrscht Straflosigkeit. Die Mörder sind nicht mehr nur Kartellangehörige, sondern vielfach Partner und Ex-Partner.

Auch wer für den Femizid an Isabel Cabanillas verantwortlich ist, bleibt ungeklärt. Sie hat einen kleinen Sohn zurückgelassen. „Die Staatsanwaltschaft hüllt sich in Schweigen“, so Granados. Ihr Mord war nur einer von 182 Frauenmorden in Ciudad Juárez im vergangenen Jahr. Damit führt die Industriemetropole die Liste der Städte mit den meisten Femiziden in Mexiko an. Doch die Zivilgesellschaft in der Grenzstadt war auch stets Vorreiter, sich gegen Frauenmorde zu organisieren.Im Jahr 2011 wurde in Juárez die Poetin Susana Chávez ermordet, die die politische Kampfansage „Ni una más“ (Nicht eine mehr) prägte, die heute in ganz Lateinamerika zu hören ist. „In Mexiko gibt es nun nicht mehr sieben, sondern elf Femizide am Tag. Das ist eine furchtbare Entwicklung.“

Lydia Granados wollte persönlich zur Aufklärung dieser Verbrechen beitragen und ihren Master in Forensischer Anthropologie machen. Doch bevor sie ein Praktikum im städtischen Leichenschauhaus absolvieren sollte, wo Körper und Knochenfunde ermordeter Frauen aufbewahrt werden, musste sie abbrechen. „Als ich Morddrohungen aufgrund meines Engagements erhielt, habe ich das Studium abgebrochen. Wem nützt es, wenn ich tot bin?“ Granados seufzt. Sie glaubt nicht, dass sie nochmal ein „Juárez ohne Femizide“ erleben wird. Zu tief sei Frauenhass gesellschaftlich verankert. Ein grundlegender Wandel in der Gesellschaft sei dazu nötig. „Dazu braucht es ganz neue geschlechtergerechte Erziehungsansätze in Familien und Schule.“

Auch die Studentin Lizbeth Nuñez erinnert sich diese Tage an die ermordete Freundin Isabel Cabanillas. Sie fährt mit ihrem Rennrad durch die Innenstadt zu einem Wandgemälde, das Isabel kurz vor ihrem Tod gemalt hat. Auch Isabel war mit dem Fahrrad unterwegs, als sie ermordet wurde. „Wir wollen Isabel in ihrem künstlerischem Engagement gedenken und ihre Werke restaurieren.“ Von der Häuserwand an der mehrspurigen Hauptverkehrs­straße blicken unzählige Augen die Vorbeifahrenden an. Die Augenhöhlen des Gesichts in der Bildmitte jedoch sind leer. „Unheimlich“, sagt die junge Frau mit den langen schwarzen Haaren. Und doch mache das Wandgemälde mitten im Zentrum Mut. „Mir sagt es, die Straßen gehören dir!“ Eine wichtige Botschaft, in einer Stadt, in der Mädchen meist dazu angehalten werden, lieber zu Hause zu bleiben.  

Die umkämpfte Stadt 

Viele Frauen werden in den marginalisierten Schlafstädten im Südosten von Ciudad Juárez umgebracht. Die meisten die hier leben, sind aus anderen Bundesstaaten Mexikos zugezogen. Viele arbeiten in entbehrenden Schichten in den Montagefabriken. Der fehlende öffentliche Transport und fehlende Straßenbeleuchtung sowie die Präsenz von Drogenkartellen und ein hoher Konsum von Crystal Meth machen diese Stadtteile so gefährlich. Lizbeth Nuñez ist genau in einem solchen Viertel aufgewachsen, ihre Familie kam aus Durango. „Ich hatte als Mädchen oft Angst, allein zuhause zu sein, oder vor Überfällen auf der Straße.“ 

Ciudad Juárez sei in jeglichem Sinne „eine umkämpfte Stadt.“ Frauen und Mädchen, die sich gemeinsam organisierten und für ihre Rechte einsetzten, seien männlichen Hasstiraden, Übergriffen und sogar Polizeirepression ausgesetzt. „Und wenn eine Frau umgebracht wird, heißt es sofort, sie war wohl selbst am Drogenhandel beteiligt.“ In den Zeiten des sogenannten Drogenkrieges und während der militärischen Besatzung ab dem Jahr 2008, schoss die Zahl der Frauenmorde in die Höhe. Nachdem sich die Mütter verschwundener und ermordeter Frauen in den 1990er Jahren organisierten, sorgte die Ermordung von Marisela Escobedo 2010 für Schlagzeilen, die unermüdlich Gerechtigkeit für ihre Tochter Ruby forderte und auf eigene Faust deren flüchtigen Mann und Mörder suchte.

Doch obwohl die allgemeinen Mordzahlen ab 2013 wieder abnahmen, stiegen die der Femizide in Juárez noch an. An ein gesellschaftliches Aufbegehren erinnert sich Lizbeth Nuñez erst wieder im April 2019, als die Studentin Dana Lozano direkt hinterm Campus von ihrem Ex-Freund ermordet wurde. „Da ging ein Aufschrei durch die Universität.“ Isabel Cabanillas Fall ging vor einem Jahr sogar um die Welt. „Dass sie meine Freundin umgebracht haben, war ein furchtbarer Schlag.“ Nuñez sagte sich, so fühlen die Mütter, Schwestern, Kinder derer, die umgebracht werden und über die man nicht spricht. „Deshalb müssen wir für alle kämpfen.“

Autorin: Kathrin Zeiske 

Weitere Nachrichten zu: Panorama

Cookie Einstellungen

Erforderliche Cookies sind für den reibungslosen Betrieb der Website zuständig, indem sie Kernfunktionalitäten ermöglichen, ohne die unsere Website nicht richtig funktioniert. Diese Cookies können nur über Ihre Browser-Einstellungen deaktiviert werden.

Anbieter:

Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.

Datenschutz

Marketing-Cookies werden verwendet, um Besuchern auf Webseiten zu folgen. Die Absicht ist, Anzeigen zu zeigen, die relevant und ansprechend für den einzelnen Benutzer sind und daher wertvoller für Publisher und werbetreibende Drittparteien sind.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz

Statistik-Cookies dienen der Analyse und helfen uns dabei zu verstehen, wie Besucher mit unserer Website interagieren, indem Informationen anonymisiert gesammelt werden. Auf Basis dieser Informationen können wir unsere Website für Sie weiter verbessern und optimieren.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz