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Brasilien |

Der Neuanfang hat begonnen

Für Brasiliens Gewerkschaftsbewegung ist die Vereidigung von Luiz Inácio Lula da Silva das Signal zur Reorganisation nach rund sechs Jahren permanenter Anfeindungen. Dabei könnte ein progressives EU-Lieferkettengesetz helfen – nicht nur im Obstsektor des Landes.

Sprüh-Einsatz auf der Weintrauben-Farm. Foto: Knut Henkel

Der Traktor auf dem Nachbar-Grundstück zieht eine Wolke hinter sich her, die sich über die Rebstöcke verteilt. „Vorsicht. Abstand halten. Das sind Pestizide“ ruft Carlos Eduardo Silva der kleine Gruppe zu, die er gerade über die Weintrauben-Farm von Dona Maria (Name von der Redaktion geändert) im Sāo Francisco Tal führt. Das Flusstal im brasilianischen Bundesstaat Bahia ist die wichtigste Anbauregion für Weintrauben und Mangos in Brasilien und Silva, Anwalt der Landarbeitergewerkschaft Contar, ist hier regelmäßig unterwegs. Um Verstöße gegen die Arbeitsrechte, Klagen der Gewerkschaft gegen Unternehmen und die Contar-Organisation auf lokaler Ebene geht es dann. 

Dass er die Chance hat eine Weintrauben-Farm zu besuchen kommt selten vor, denn die Besitzer, oft Großgrundbesitzer, sind seiner Gewerkschaft alles anderes als wohlgesonnen. Das hat sich in den letzten Jahren noch potenziert. „Die Regierung von Jair Bolsonaro ist den Gewerkschaften recht feindlich gegenübergetreten. Es wurde sogar darüber diskutiert die Gewerkschaftsfreiheit zu beschneiden“. 

So weit ist es nicht gekommen, aber in der Realität ist es für die lokalen Contar-Vertreter nicht möglich die großen Obst-Farmen zu besuchen. „Wir kommen morgens vor Schichtbeginn  und pflegen unsere Kontakte“, erklärt José Manoel dos Santos, der mit Silva und der Contar-Vertreterin für den Bundesstaat Bahia, María Samara de Souza, heute mit den organisierten Arbeitern und Arbeiterinnen auf der Farm von Dona Maria sprechen darf. Allerdings in Anwesenheit der Besitzerin, was alles andere als optimal ist. „Auch bei der Inspektionen der großen Auditoren, ob Global Gap oder Rainforest Alliance ist das nicht anders“, erklärt Silva und beruft sich auf Berichte von Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter. 

Hoffen auf Lula

Hinzu kommt, so der Direktor von Repórter, einer wichtigen Menschen- und Arbeitsrechtsorganisation, dass die staatlichen Institutionen in den letzten vier Jahren kaum Inspektionen auf den großen Plantagen und Farmen durchgeführt haben. „Der Etat der Ombudsstelle für Grundrechte, Procuradoria, wurde rigeros zusammengestrichen. Das Arbeitsministerium wurde geschlossen, Arbeitsrechtsinspektionen in abgelegene Ortschaften scheiterten manchmal am fehlendem Benzin“, klagt Leonardo Sakamoto. Er hofft ähnlich wie Carlos Eduardo Silva auf die neue Regierung, die bereits das Arbeitsministerium reaktiviert hat. 

In Salvador da Bahia, der Hauptstadt des Bundesstaates Bahia, zu dem auch das Sāo Francisco Tal gehört, suchen die Verantwortlichen um den leitenden Staatsanwalt Luis Carlos Cameiro Filho, derzeit händeringend nach Personal für die Inspektionen auf Plantagen, Farmen und in verarbeitenden Agrarbetrieben. „Die sind in den letzten vier Jahren massiv eingebrochen, wir bauen neu auf“, gibt er auf mehrmalige Nachfrage zu. Wenig später bestätigt er auch, dass die Verantwortlichen landesweit davon ausgehen, dass die Zahl der Arbeitsrechtsverletzungen, die Zahl der Arbeiterinnen und Arbeiter, die unter sklavenähnlichen Bedingungen schuften mussten, gestiegen ist. 

Davon geht auch Carlos Eduardo Silva aus, und Recherchen von Repórter deuten in die gleiche Richtung. Silva ist froh ist, dass Contar im Sāo Francisco Tal eine hohe Organisationsquote hat. „Das hilft uns bei der Arbeit. Verletzungen grundlegender Arbeitsrechte werden dadurch zumindest publik“. Doch das ist längst nicht überall in Brasilien der Fall. Im Kaffeeanbau in Bundessstaaten wie Minas Gerais, südlich von Bahia, sind immer wieder sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse aufgedeckt worden, ebenfalls im Orangenanbau im Bundesstaat Sāo Paulo wie Studien unter anderem von Repórter, aber auch von der Gewerkschaft Contar belegen. 

Hoffen auf das EU-Lieferkettengesetz

„Zwischen 1995 und 2022 sind 77.000 Menschen aus sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen in Brasilien befreit worden“, gibt Carlos Eduardo Silva Einblick in die Dimension des Problems, dass nicht nur Brasilien angeht.
Er ist froh, dass auf Plantagen wie der von Dona Maria die Arbeit von Contar respektiert wird und dass die Verhandlungen für den nächsten Tarifvertrag bereits aufgenommen sind. Das gilt jedoch längst nicht für alle Betriebe der Branche, die nicht immer den Mindestlohn  von 1302 Reais (233 Euro) im Monat zahlen. Der soll laut Contar in diesem Jahr auf 1420 Reais, umgerechnet 255 Euro, steigen, um die gestiegenen Preise auszugleichen, so Gewerkschaftsfunktionärin María Samara de Souza. „Das bedeutet indirekt, dass auch die Abnehmer, die großen Supermarktketten in den USA und Europa ihre Preise erhöhen müssen“, schildert sie die Herausforderung. 

Doch das ist nicht die einzige, wo Contar und auch Repórter sich mehr Engagement aus Europa erhoffen. „Wir hoffen auf positive Effekte durch das Lieferkettengesetz in Deutschland und Europa“, so Silva, der kürzlich erst in Deutschland war und Gespräche geführt hat. Mehr Verantwortung von Seiten der Supermärkte, klare Reaktionen auf Berichte über Arbeitsrechtsverletzungen erhofft er sich und nicht nur die Abwälzung des Problems auf die Lieferanten durch entsprechende Verträge. Hoffnungen, die die Gewerkschaften auch gegenüber der deutschen Botschaft bereits geäußert haben. 

„Doch auch beim Einsatz von hochtoxischen Pestiziden muss mehr passieren“, so Samara de Souza. „In Brasilien sind Pestizide legal im Einsatz, die in Europa verboten sind. Warum ist das für den Export der Trauben kein Problem?“, fragt die Gewerkschaftlerin. Vom Einsatz von 36 Pestiziden im Traubenanbau weiß sie und dass es etliche Neuzulassungen unter der Regierung von Jair Bolsonaro gegeben hat. Ein Thema, dass bei den Inspektionen nicht unbedingt im Vordergrund steht und das durchaus auf der Agenda vom deutschen Landwirtschaftsminister Cem Özedmir stehen könnte. Das hofft zumindest die 32-jährige Contar-Funktionärin, die noch vor vier Jahren selbst Trauben pflückte und weiß wovon sie spricht. Dann verabschiedet sie sich bei Dona Maria und verlässt mit ihren beiden Kollegen die 17 Hektar große Plantage im Sāo Francisco Tal in Richtung Salvador da Bahia. Gespräche im Arbeitsministerium stehen heute noch auf der Agenda. 

Autor: Knut Henkel

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