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Uruguay |

Debatte um Gerechtigkeit

„Früh am Morgen klopften sie an meiner Tür. Ich öffnete, und ein Uniformierter richtete eine Waffe auf mich. Die Militärs stülpten mir eine Kapuze über und schleppten mich in eine Kaserne“, erinnert sich Jose Rocca. „Niemand wusste, wo ich bin.“ Die ersten fünf Tage habe man ihn nicht schlafen lassen und ihm nichts zu essen gegeben, nur Wasser. Sie wollten Informationen und Namen anderer Oppositioneller. Sie verabreichten ihm Elektroschocks und wendeten das simulierte Ertrinken an. „Um nicht durchzudrehen, habe ich im Kopf Mathematikaufgaben gelöst und Schachpartien gespielt.“ Rocca war 26 Jahre alt, als man ihn 1973 in der uruguayischen Hauptstadt Montevideo festnahm.

Bisher nur wenige Militärs verurteilt

Zwischen 1973 und 1985 herrschte in Uruguay eine Militärdiktatur. Linksgerichtete und Andersdenkende wurden verfolgt, verhaftet, gefoltert. Auf der Suche nach Regimegegnern gingen die Militärs systematisch vor und durchkämmten Viertel um Viertel: Kommunisten, Gewerkschafter, Studenten und auch Kirchenmitarbeiter standen auf den schwarzen Listen. Uruguays Militärdiktatur galt im Vergleich zu anderen damaligen Diktaturen in Südamerika zwar als weniger brutal und forderte weniger Todesopfer. Aber gemessen an der Einwohnerzahl inhaftierte sie die meisten politischen Gefangenen. Bislang wurden nur einige Militärs wegen Menschenrechtsverletzungen vor Gericht gestellt und verurteilt.

Bereits zwei Referenden

Das könnte sich jetzt ändern. Mitte April stimmte der Senat für eine Neuinterpretation des Amnestiegesetzes. Es schützt seit 1986 Militärs und Polizisten vor Prozessen wegen ihrer früheren Verbrechen. Die Abgeordneten haben das „Interpretationsgesetz“ bereits im Oktober 2010 gutgeheißen. Kommenden Donnerstag müssten sie lediglich die kleinen Änderungen bestätigen, die der Senat vorgenommen hat. Seit fünf Wochen aber wird in Uruguay heftig über die bevorstehende Abstimmung und ihre Gültigkeit diskutiert.

Das uruguayische Volk äußerte sich bereits in zwei Referenden 1989 und 2009 gegen eine juristische Aufarbeitung der Vergangenheit. Die Kritiker weisen darauf hin, dass das Parlament jetzt nicht über die Köpfe der Menschen hinweg entscheiden könne. Selbst Uruguays Präsident Jose Mujica hat aus diesem Grund seinen Parteikollegen des Linksbündnisses Frente Amplio geraten, gegen die Aufhebung des Amnestiegesetzes zu stimmen.

„Ich führte ein Doppelleben“

„Ja, ich war bei der linken Guerilla, den Tupamaros, ich trug den Decknamen Luis“, sagt Rocca. „Wir wollten bessere Bedingungen für die Arbeiter.“ Erst sei er lediglich als Student an der Universität politisch aktiv gewesen. Als die Repression zunahm, wuchs seine Kampfbereitschaft. Er schloss sich den Kämpfern an. „Ich führte ein Doppelleben“, so Rocca, der heute Dozent an der Universität von Montevideo ist.

In den 60er Jahren hatte sich die wirtschaftliche Lage in Uruguay drastisch verschlechtert, soziale Leistungen wurden abgebaut, die Arbeitslosigkeit nahm zu. In dieser Zeit bildete sich die Nationale Befreiungsbewegung der Tupamaros. Ihr gehörte auch der heutige Staatschef Mujica an. Die Tupamaros befürworteten den bewaffneten Kampf und galten als hervorragend organisierte Stadtguerilla.

„Nach drei Monaten brachte man mich in ein Gefängnis“, so Rocca. Zuvor habe man ihn allerdings eine Woche lang aufgepäppelt, damit Folterspuren nicht mehr sichtbar seien. Schließlich wurde er vor ein Militärgericht gestellt und zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt.
1980 kam er wieder frei.

Drittes Referendum vorgeschlagen

Uruguayische Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kultur haben dazu aufgerufen, das Amnestiegesetz zu annullieren. Es sei verfassungswidrig und verletze internationale Abkommen. Mujica schlägt derweil ein drittes Referendum vor: „Der Mann auf der Straße soll darüber entscheiden, sonst diskutieren wir noch 40 Jahre weiter.“ Ohnehin glaubt Rocca nicht mehr daran, dass Militärs und Polizisten für ihre Vergehen bestraft werden. „Der Zug ist abgefahren, viele Täter und Zeugen sind bereits gestorben“, sagt der 65-Jährige resigniert.

Camilla Landbö, kna

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