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Corona in Peru - Eine Pandemie unter Vielen

Peru ist nach Brasilien das Land mit den meisten Corona-Infizierten Lateinamerikas. Dabei hat die Regierung von Martín Vizcarra anders als in Brasilien schnell reagiert. Doch es ist einiges schiefgelaufen und dafür macht der Entwicklungsexperte Carlos Herz Saenz strukturelle Defizite verantwortlich. 

 Während der Corona-Pandemie zeigen sich in Peru die strukturellen Probleme des Landes, meint Carlos Herz Saenz. Foto: Knut Henkel

Carlos Herz Saenz (66 Jahre) ist Direktor des "Centro Regional de Estudios Bartalomé de las Casas" in Cusco in Peru, einer kirchlichen Bildungseinrichtung mit dem Ansatz, das Bildungsangebot den Bedürfnissen im ruralen Regionen anzupassen. Als Gutachter hat er auch für die deutsche Entwicklungshilfe wie die GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) gearbeitet.

Blickpunkt Lateinamerika: Der Anstieg der Infektionszahlen in Peru ist alarmierend. Warum steigen die Zahlen derart rasant, obwohl die Regierung von Martín Vizcarra doch sehr früh auf die Pandemie mit dem Lockdown reagierte?

Carlos Herz Saenz: Der rapide Anstieg der Infektionszahlen hat viele Aspekte. Peru hat ein total ineffizientes Gesundheitssystem, das obendrein extrem segmentiert ist. Das wenige Geld - wir reden von kaum mehr als zwei Prozent des Bruttosozialprodukts - wird unter mehreren Empfängern verteilt: einem latent unterfinanzierten öffentlichen Gesundheitssystem, den privaten Kliniken sowie den Gesundheitseinrichtungen der Militärs - wobei Flotte, Heer und Luftwaffe eigene Krankenhäuser haben.

Doch damit nicht genug: In Lima gibt es noch ein zusätzliches städtisches System und ein weiteres Netz von Gesundheitseinrichtungen für die Allerärmsten am Ende der sozialen Leiter, das SIS. Das funktioniert fast gar nicht. Das ist das erste Problem.

Das zweite ist der hohe Grad an Menschen, die ihr Auskommen im informellen Sektor erwirtschaften: Das sind 72 Prozent der Bevölkerung. Diese Menschen können vielleicht zwei Wochen zuhause bleiben, wenn Präsident Martín Vizcarra sie dazu auffordert. Danach sind die Rücklagen aufgebraucht, sie erhalten nicht wie ich am Monatsende ein fixes Gehalt auf ihr Bankkonto. Oft haben sie nicht mal ein Konto. 

Also halten sie sich nicht an die Vorgaben und gehen raus, um Geld zu verdienen?

Sie haben keine Alternative, weil sie in marginalisierten Stadtteilen leben. Oft haben diese Stadtteile keinen Wasseranschluss, werden von Tankwagen beliefert, die viel Geld für Wasser verlangen. Dort ist die Aufforderung, sich die Hände regelmäßig zu waschen, schlicht zynisch. Das Infektionsrisiko ist folglich hoch.

Berichten zufolge wandern viele Menschen aus den großen Städten, vor allem aus Lima, in ihre Heimatgemeinden ab, weil dort die Bedingungen, die Corona-Krise durchzustehen, besser sind.

Ja, auch das ist eine traurige Realität in Peru. Zwar haben die Menschen in ihren Herkunftsregionen keine Arbeit, aber ein Dach über dem Kopf und zu Essen, sind in der Gemeinde akzeptiert und haben dort Familie. Diese Faktoren sorgen dafür, dass die staatlichen Vorgaben und Regeln nicht eingehalten werden. Die Leute agieren nach ihren eigenen Parametern, verhalten sich in den Augen der Regierung unvernünftig, unkooperativ, aber sie argumentieren oft so: Covid-19 ist die Pandemie, von der alle sprechen. Aber niemand spricht von der Pandemie der Arbeitslosigkeit, der Pandemie der latenten Unsicherheit durch Kriminalität, der Pandemie der miesen öffentlichen Infrastruktur, im Gesundheitssystem, bei der Trinkwasserversorgung, im öffentlichen Nahverkehr. 

Das sind meine täglichen Pandemien und was habe ich zu verlieren? Die miserablen Lebensumstände wirken ähnlich schwer wie Covid-19 oder schwerer.

Allerdings steigt die Zahl der Infektionen und auch die der Toten......

Peru hat mehr als 4.500 an Covid-19 Verstorbene zu beklagen, rund 165.000 Infizierte, aber die Opfer der anderen Pandemien – wer zählt die, fragen die Leute auf der Straße. Bisher ist das Coronavirus mehr oder minder ein städtisches Phänomen, die Hälfte der Infizierten kommt aus Lima und viele Gemeinden haben sich abgeschottet – sie bewachen ihre Zugänge, wollen den Virus draußen halten. Aber von der Polizei wird so ein Verhalten nicht akzeptiert, obwohl es nachvollziehbare Verteidigungsstrategien sind. Das ist ein weiteres Dilemma, denn in den ländlichen Regionen ist die Gesundheitsversorgung noch schlechter als in den Städten. Ich arbeite in Cusco und Apurimac, und dort gibt es bisher kaum Opfer des Virus zu beklagen.

Existiert nicht das Risiko, dass die Rückkehrer aus Lima das Virus einschleppen?

Bisher gibt es kaum Fälle, die dieses Risiko belegen. Die Gemeinden mit denen wir zusammenarbeiten, argumentieren, dass sie eigene Sicherheitsprotokolle haben. Zudem gibt es einen Faktor, der bisher noch nicht wissenschaftlich belegt ist: Die Höhe scheint wie eine Bremse für das Virus zu wirken. 

Was halten Sie von der Pandemiebekämpfungsstrategie der Regierung?

Die Regierung hat früh reagiert, aber sie ändert wenig bis nichts an den Strukturen. Ein Beispiel sind die Hilfsleistungen für die Bedürftigen: Sie bestehen aus Produkten der großen Konzerne: Nudeln, Reis, Thunfisch, Kondensmilch. Die Kleinbauern werden nicht gefördert, lokale Anbieter werden nicht berücksichtigt. Das ist wenig innovativ, die Gelder landen zum Teil im Ausland und es hat eine Welle von Korruptionsfällen gegeben. Seit Beginn des Lockdowns hat es 1.200 Anzeigen wegen Korruption auf nationaler und regionaler Ebene gegeben. Da geht es um überhöhte Preise für Masken, gefälschte Masken, Veruntreuung....

Jeden Tag steigt die Zahl der Infektionen, trotzdem wird der Lockdown gelockert, der Bergbau produziert wieder, die Fischerei auch – kann das nicht kontraproduktiv wirken?

Ja, das kann zum Bumerang werden. Die Regierung verweist auf die Schutzmaßnahmen, hat aber auf regionaler Ebene kaum Kontrollmöglichkeiten, weil der Staat oft nicht präsent ist. Das gilt auch für die Fischerei und weitere große Unternehmen, die über ausreichend politischen Einfluss verfügen. Bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen sieht das ganz anders aus – die sind oft auf sich gestellt und werden nicht gefördert. Das sind vergebene Chancen.

Macht sich das auch in sinkender Popularität von Präsident Martín Vizcarra bemerkbar?

Nur marginal. Das ökonomische Modell des Landes wird nicht in Frage gestellt. Förderung für Kleinbauern gibt es genauso wenig wie einen Wandel im Gesundheits- und im Bildungssystem, die reformiert gehören. Wir bezahlen derzeit die Quittung für eine Privatisierungslogik, die vor beiden Sektoren nicht halt gemacht hat. Ein Land wie Peru sollte zwölf Prozent seines BIP für Bildung und Gesundheit ausgeben. Doch es ist nicht einmal die Hälfte. 

Interview: Knut Henkel 

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