Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Peru |

Corona in Peru: "Die Leute lassen sich nicht unterkriegen"

Estela Vargas betreut während der Pandemie Volksküchen und kümmert sich um von Corona betroffene Familien.

Weit oben auf dem Hügel von San Genaro im Lima-Distrikt Chorrillos liegt die Volksküche „Tres Marias“. Von hier hat man einen wunderschönen Blick auf den nahen Pazifik. Doch die Aussicht täuscht nicht darüber hinweg, dass hier, wie in ganz Peru, viele Menschen an Covid-19 gestorben sind, und ebenso viele ihre Arbeit und Einkommen verloren haben. In der Volksküche „Tres Marias“ bekommen immerhin 150 Personen ein kostengünstiges und nahrhaftes Mittagessen, dank der Lebensmittellieferungen der Pfarrei und der Caritas, die im Rahmen der Corona-Nothilfe auch vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat mitfinanziert wurden. Hier arbeitet Estela Vargas, 49. Sie ist seit vielen Jahren ehrenamtlich in der Pfarrei „Cristo Misionero del Padre“ ihres Viertels engagiert und betreut auch die Volksküchen - mit umso mehr Einsatz seit Ausbruch der Corona-Pandemie.

Blickpunkt Lateinamerika: Wie ist es Ihnen und Ihrer Familie in der Pandemie ergangen?

Estela Vargas: Zu Beginn der ersten Welle sind meine Eltern an Corona erkrankt und Gott sei Dank wieder genesen. In meiner Familie hatten wir nur einen Corona-Toten zu beklagen, den Schwiegervater meiner Tochter. Wirtschaftlich halten wir uns dank eines kleinen Ladens, den wir im Haus haben, über Wasser. Mein Mann hat vor der Pandemie im Müll-Recycling gearbeitet. Er ist jetzt zu Hause und betreut den Laden, damit ich meine pastorale Arbeit tun kann.

Sie sind seit Jahren in der Sozialpastoral der Pfarrei aktiv. Wie hat sich Ihr Engagement geändert?

Als letztes Jahr der erste Lockdown in Kraft trat, hat die Pfarrei ein Hilfsprogramm ins Leben gerufen und Lebensmittelpakete an betroffene Familien ausgegeben. Heute verteilen wir über die Caritas Lebensmittel an die selbst organisierten Volksküchen. Dort kochen Ehrenamtliche ein nahrhaftes Mittagessen, das dann für umgerechnet 70 Cent pro Mittagessen verkauft wird. Ich habe auch während der Pandemie nie aufgehört, die Familien in meinem Viertel zu besuchen. Ich habe gesehen, wie sie sich nicht unterkriegen lassen von der Seuche - gerade die einfachen Leute, die es am schlimmsten trifft. Aber ich habe auch Menschen getroffen, die Angehörige verloren haben, obwohl diese Geld hatten. Diese Krankheit betrifft nicht nur die Armen.

Wie erleben Sie das Problem des fehlenden Sauerstoffs?

Es ist schrecklich mit anzusehen, wie Dein Angehöriger erstickt, weil er keinen Sauerstoff bekommt. Viele Menschen hier mussten sich hoch verschulden, um genügend Sauerstoff kaufen zu können. Ich kenne eine Familie, die umgerechnet rund 3.000 Euro ausgegeben hat für Sauerstoff. Das ist bei uns sehr viel Geld. Und der Patient ist dennoch gestorben. Das staatliche Gesundheitssystem ist sehr rasch an seine Grenzen gekommen und die Leute mussten sich selber um ihre Patienten kümmern.

Wie gehen die Leute mit der Trauer um ihre Corona-Toten um?

Viele sind noch im Überlebensmodus: Sie müssen irgendwie Geld verdienen. ich sehe heute sehr viel mehr Straßenhändler als vor der Pandemie. Viele Menschen möchten aber mit jemandem sprechen. Wir haben von der Pfarrei deshalb einen Seelsorgedienst per Telefon eingerichtet. Dort kann man anrufen und von seiner Trauer und seinen Sorgen erzählen und es hört jemand zu. 
Auch in unserer Pfarrei haben wir Tote zu beklagen. 20 Ehrenamtliche unserer Pfarrei sind an Covid-19 gestorben. Ihre Fotos hängen im Haus der Comboni-Missionare. 

Am 6. Juni findet in Peru die Stichwahl für das Präsidentenamt statt. Die rechte Keiko Fujimori, Tochter des früheren umstrittenen Präsidenten Alberto Fujimori, steht Pedro Castillo gegenüber, einem noch ziemlich unbekannten, marxistischen Grundschullehrer aus der Provinz. Wie denken die Menschen hier in San Genaro über die anstehenden Wahlen?

Ich spüre viel Angst und Unsicherheit. Es sind viele Gerüchte im Umlauf. Die einen befürchten, dass Pedro Castillo den Kommunismus einführen wird und Peru dann wie Venezuela wird. Dass die Menschen ihr Eigentum verlieren. Wieder andere wollen auf keinen Fall für Keiko Fujimori stimmen, wegen der Korruption unter der Regierung ihres Vaters. Die Lager sind gespalten. Im Pfarreiteam reden wir nicht über Politik. Wir ermutigen die Menschen aber dazu, dass sie keine Angst haben und eine bewusste Wahl treffen sollen. Meine Hoffnung ist, dass der- oder diejenige, die an die Macht kommen wird, uns einfache Leute nicht vergisst. Meist erinnern sie sich an uns erst kurz vor der Wahl, um Stimmen zu holen, und dann kümmern sie sich nicht mehr um uns. 

Zum Ende des Gesprächs tritt Flora Sevillano, die Leiterin der Volksküche aus dem Bretterverschlag, in dem sie und ihre Helferinnen eben 150 Mittagessen gekocht und verteilt haben. „Keine einzige Mahlzeit ist übrig geblieben, nicht mal für uns Köchinnen“, kommentiert sie, hungrig, aber auch zufrieden ihr Tageswerk.

Die Lebensretter von Lima
Sauerstoff aus der Pfarrei Cristo Misionero del Padre rettet Menschenleben – jeden Tag. Das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat hat mit seinem langjährigen Projektpartner Juan Goicochea in einem Armenviertel Limas eine Sauerstoff-Abfüllanlage aufgebaut.

Interview: Hildegard Willer

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