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Panorama |

Corona in Lateinamerika - Sauerstoff frei Haus und Peitschenhiebe

Lateinamerika steuert in diesen Tagen auf den Höhepunkt der Corona-Infektionen zu. Die Strategien gegen die Pandemie unterscheiden sich von Ort zu Ort - teils mit skurrilen Auswüchsen, teils mit überraschenden Erfolgen.

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Weiße Flaggen und nächtliche Beerdigungen - In Lateinamerika gibt es teils skurrile Strategien, mit der Corona-Pandemie fertig zu werden. Foto: NIH, CCO 1.0

Während Europa an die Sommerferien denkt, bewegt sich Lateinamerika in diesen Tagen auf den Höhepunkt der Pandemie zu – deutlich später als ursprünglich erwartet. Die frühzeitigen Quarantänen ab März haben die Pandemie offenbar verzögert, doch sie sind inzwischen kaum noch durchzuhalten wegen mangelnder sozialer Abfederung. Die Strategien im Überblick: 

Wieso hängen die Menschen bunte Flaggen oder Stofffetzen vor ihre Häuser?
 
Sie waren zuerst rot, tauchten an der armen Peripherie von Kolumbiens Hauptstadt Bogotá auf und verbreiteten sich rasant in Lateinamerika. Bogotá verhängte frühzeitig einen strikten Lockdown, und ein roter Stofffetzen, der aus dem Fenster oder am Zaun hing, signalisierte Hunger. In Peru waren die Flaggen weiß, und für Mittelamerika entwarfen Bürgerorganisationen einen Flaggen-Diktionär: eine schwarze Flagge signalisierte eine misshandelte Frau, eine gelbe Flagge ein Kind in Gefahr, eine weiße Hunger und eine rote den Ruf nach einem Arzt oder Medikamenten.
 
Wie sieht eine erfolgreiche Corona-App aus? 
 
Medellin hat es vorgemacht. Der kolumbianischen Stadt hängt aus Zeiten von Pablo Escobar noch der Ruf eines mörderischen Drogennests nach. Nichts ist veralteter als dieses Image. Der erst 39-jährige Bürgermeister und Ingenieur Daniel Quintero hatte schon im Januar mit seinem Team eine Strategie ausgearbeitet und eine beeindruckende Bilanz vorzuweisen: Vier Covid-19-Tote und zehn Patienten auf der Intensivstation in einer Zweieinhalb-Millionen-Einwohner-Stadt mit Dutzenden von Slums. Viele Tests (40 pro infizierte Person), Hausbesuche und eine App sind das Geheimnis. Statt Tracking-Diskussionen bringt seine App „Medellin me cuida“ (Medellin passt auf mich auf) unbürokratischen Nutzen. Zwar muss man persönliche Daten und den Gesundheitszustand eingeben – erhält dafür aber Zugang zu Finanzhilfen, zu Lebensmittelpaketen und zu ärztlichen Hausbesuchen, bei denen man gratis getestet wird und falls positiv ein Oxymeter erhält, um den Sauerstoffgehalt im Blut zu überwachen. Fällt er, bringen Helfer Sauerstoff nach Hause. 3,25 Millionen Menschen aus der Stadt und dem Einzugsgebiet haben sich bei der App registriert. Kritiker bemängeln den Schritt zum „gläsernen Bürger.“ Denn Polizisten scannen nun auch die digitalisierten Personalausweise in Bussen und Einkaufszentren, die man nur nach vorheriger Genehmigung betreten darf.
 
Wieso beerdigt Nicaragua seine Covid-Toten nachts?
 
Mit Hygiene hat das nichts zu tun. Nicaraguas Herrscher Daniel Ortega und seine Frau und Vize Rosario Murillo haben die Pandemie von Anfang an heruntergespielt und sich geweigert, das öffentliche Leben herunterzufahren. Ärzte durften keine Gesichtsmasken tragen, um die Patienten nicht zu erschrecken, die Fussball- und Baseball-Ligen wurden zum Weiterspielen gezwungen. Bislang wurden über ein Dutzend Ärzte aus dem Staatsdienst entlassen, weil sie den Befehl missachtet hatten, die Diagnose auf Coronavirus in Patientenakten nicht einzutragen. Die Rechnung bekommt das Land nun präsentiert. Seit über einem Monat gibt es zwar keine offiziellen Zahlen mehr, doch das unabhängige Bürgerobservatorium geht von 5000 Infizierten und knapp 1.300 Todesfällen aus. Journalisten haben herausgefunden, dass die Beerdigungen in der Hauptstadt Managua vorzugsweise nachts stattfinden, um die Bevölkerung nicht zu alarmieren. Ein pikantes Detail: Während Ortega-Murillo seit März abgeschottet im Regierungsbunker leben, haben die sandinistischen Parteiaufmärsche bislang schon Dutzenden von Funktionären das Leben gekostet. Es starben zum Beispiel der Abgeordnete Jacinto Suárez, ein enger Freund Ortegas sowie Edén Pastora, der legendäre Comandate Cero.
 
Wo kann man Pandemie-Urlaub machen?
 
In Cancún an Mexikos Karibikküste sind die ersten Urlauber aus den USA und Kanada gelandet. Die einflussreiche Tourismusindustrie hat Druck gemacht und darf nun 25 Prozent der Betten in Hotels wieder belegen. Buffets gehören allerdings der Vergangenheit an, und die legendären Nachtclubs bleiben noch geschlossen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern hat Mexiko nie seine Grenzen dicht gemacht. Denn der linksnationalistische Präsident Andrés López Obrador fürchtet um die Wirtschaft. Im Griff hat er das Virus aber noch nicht, über 17.000 Menschen sind bislang gestorben. Die Pandemie wird nach den Worten des Chefvirologen Hugo López-Gatell noch bis Oktober dauern. López-Gatell hat einen schweren Stand, denn der Staatspräsident lässt ihn zwar tägliche Pressekonferenzen abhalten, hört aber selbst nicht auf seinen Rat. López Obrador reist seit einer Woche wieder durchs Land, trägt keinen Mundschutz und fordert seine Landsleute auf, die Angst langsam zu überwinden.
 
Verträgt das Coronavirus Höhe nicht?
 

Die geringen Infektionszahlen aus hoch gelegenen Andenregionen in Bolivien oder Peru – während in den dortigen Tieflandregionen dramatische Todeszahlen gemeldet werden - lassen die Wissenschaftler derzeit über diese Frage rätseln. Die meist indigenen Hochlandbewohner sind jedoch überzeugt, dass sie mit ihren traditionellen Strategien das Virus bezwungen haben. Dazu gehören Bürgerwehren, die jeden, den sie unerlaubt auf der Straße erwischen, auspeitschen – wobei die Zahl der Peitschenhiebe ungerade sein muss, denn nur so wird der Gesetzesbrecher „bekehrt“. In Huancavélica in Peru nahmen Dorfbewohner acht Telekom-Techniker fest, die eine Internetantenne reparieren wollten. Einige der Indigenen hatten in sozialen Netzwerken Videos gesehen, wonach 5G-Antennen das Virus verbreiten. Selbst dass die Regierung erklärte, solche Antennen gäbe es in ganz Peru nicht, half nichts. Die Techniker wurden erst freigelassen, nachdem die Telekomfirma bei einer Versammlung die Technologie haarklein erklärte und versprach, keine Anzeige zu erstatten.

Autorin: Sandra Weiss

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