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Panama |

Colón - Die Explosion der Wut

Seitdem letzte Woche ein Gesetz zum Landverkauf in der Freihandelszone von Colón verabschiedet wurde, toben soziale Proteste in der Region. Durch das brutale Eingreifen der Polizei ist die Lage völlig aus dem Ruder gelaufen. Pater Conrado Sanjur beschreibt, warum die Wut der Bevölkerung so groß ist.

Seit mehr als einer Woche durchlebt die Bevölkerung der Stadt wie auch der Provinz Colón im Norden Panamas eine dramatische Situation: das unangemessene Einschreiten der Polizei und der Grenzpolizei, Tränengasgeschosse, Hausfriedensbrüche, Schläge, willkürliche Verhaftungen, den Tod eines zehnjährigen Kindes durch durch Schüsse und zwei weitere Kinder, im Alter von fünf und 14 Jahren in lebensbedrohlichem Zustand, den Tod einer älteren Frau, hervorgerufen durch Tränengas – kurz gesagt: eine offensichtliche Verletzung der Menschenrechte. Zu diesem Chaos gesellen sich Akte von Plünderung und Zerstörung hinzu, wodurch die öffentliche Sicherheit noch weiter schwindet.

Die Bewohner von Colón weisen, in einer ungewöhnlichen und weiter wachsenden Einheit unterschiedlichster Sektoren, entschieden das kürzlich verabschiedete Gesetz Nr. 72 (Ley 72) zurück, das Präsident Ricardo Martinelli vor wenigen Tagen unterzeichnete (er reiste durch Deutschland und Europa, kam zurück, unterschrieb das Gesetz und flog unverzüglich nach Japan, wo er sich derzeit aufhält). Mit diesem Gesetz öffnet die Regierung den Weg für den Verkauf von Grundstücken in der Freihandelszone von Colón.

Abgeordnete ignorierten Widerstand der Bevölkerung

Als Argument für diesen Schritt führten die Abgeordneten der Nationalversammlung ins Feld, dass ein gewisser Prozentsatz der Einnahmen aus den Verkäufen in die Entwicklung von Colón investiert werden und von einer Treuhandkommission aus unterschiedlichen Sektoren, die mehrheitlich der Regierung angehören, verwaltet werden solle. In dieser Kommission soll auch die katholische Kirche vertreten sein. Nach Lesart der gegenüber der Regierung eher kritisch eingestellten Teile der Gesellschaft ist es jedoch schlicht so, dass die Regierung Martinelli dringend Geld braucht, um das bekannt gewordene Defizit von 400 Mio. US-Dollar im aktuellen Staatshaushalt auszugleichen. Und, um den nationalen und internationalen Unternehmersektor zu stärken, aus dem Präsident Martinelli seinen Rückhalt zieht.

Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass es es in den wenigen Tagen der Diskussion des Gesetzentwurfs sehr angespannte Situationen im Land gab: Bei Protesten der Bevölkerung wurden die beabsichtigten Landverkäufe entschieden abgelehnt. Trotzdem zogen die Herren Abgeordneten es vor, das Gesetz in weniger als einer halben Stunde mit der Stimmenmehrheit der Regierungsfraktion zu verabschieden.

Arbeitslosigkeit, Holzhütten, kein Trinkwasser

Um die Explosion des Unmuts der Bevölkerung von Colón zu verstehen, muss man sich die historischen Lebensbedingungen der Einwohner in diesem nördlichen Teil des Landes, dort, wo der Panama-Kanal ins Karibische Meer mündet, anschauen. Mehrheitlich, und vor allem in den Städten, besteht die Bevölkerung aus Schwarzen. Die Bewohner sind Opfer von Arbeitslosigkeit, es gibt keine regelmäßige Trinkwasserversorgung und die Wasserqualität ist ein Desaster. Die Menschen hausen auf engstem Raum zusammengepfercht in Holzhütten, die Anfang des vergangenen Jahrhunderts errichtet worden waren, um die Arbeiter für den Bau des Panama-Kanals zu beherbergen. Der Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung ist völlig unzureichend und hinzu kommen noch eine hohe Gewaltrate und viele Diebstähle.

Panamas Bevölkerung hat jene Tragödien, die sich vor nicht allzu langer Zeit wegen der Verabschiedung ungerechter Gesetze, wie etwa des Ley Nr. 30, das umgangssprachlich als „Salami-Gesetz“ bezeichnet wird und die Arbeitsrechte vor allem der indigenen Bevölkerung in der Provinz Bocas del Toro beschnitt, nicht vergessen. Bei Protesten gegen dieses Gesetz wurden Hunderte Indigene verletzt und mehrere indigene Anführer getötet. In schmerzlicher Erinnerung ist auch noch die brutale Repression der Sicherheitskräfte gegen die indigene Bevölkerung von Chiriqu´und Veraguas bei Demonstrationen gegen Bergbau- und Staudammprojekte. Auch diese Proteste forderten Tote unter den Indigenen, Demonstranten wurden verhaftet, geschlagen, Frauen vergewaltigt.

Politiker schielen nur auf Gewinne

Niemand scheint sich je gefragt zu haben, wie es sein kann, dass direkt neben dem Handelszentrum mit mehreren Millionen US-Dollar an Umsätzen, das Leben der Bevölkerung so tragisch sein kann, wo doch die Entwicklung in dieser Region Früchte tragen sollte. Doch der Grund ist einfach: Eine permanente Politik der Ausgrenzung, des Vergessens, des Betrugs und der gebrochenen Wahlversprechen, der Respektlosigkeit gegenüber den Einwohnern und des schamlosen Ausnutzens der Bevölkerung seitens Teilen der jetzigen und aller vorherigen Regierungen. Mit der Einführung neoliberaler Politiken haben sie nur noch Augen für die Gewinne. Der Preis, der dafür gezahlt werden muss, interessiert sie nicht.

Die Bevölkerung und die mit ihr solidarischen Organisationen, wie etwa FRENADESO, fordern von der Regierung umgehend ein Ende der Repression, die Freilassung aller bei den Protesten Inhaftierten und die Annullierung des Gesetzes Nr. 72. Damit wieder Ruhe in Colón einziehen kann. Damit Gespräche darüber beginnen können, wie die sozialen Probleme gelöst werden können, die das Leben der Menschen schwer beeinträchtigen. Unterdessen werden Aktionen weitergeführt, die Druck ausüben sollen: Dazu zählen die Schließung der Schulen und ein solidarischer Streik des Transportwesens, vor allem in der Freihandelszone selbst.

Katholische Kirche unterstützt Anliegen der Protestierenden

Die katholische Kirche der Missions-Diözese von Colón und Kuna Yala hat am 23. Oktober eine Erklärung zum Konflikt veröffentlicht. Darin wird kritisiert, dass es keinen Dialog mit der Bevölkerung gibt und dies „zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung geführt hat“. Die „Bedürftigkeit der Bewohner von Colón ist groß und dafür muss eine Lösung gefunden werden“, heißt es weiter. Gleichzeitig werden Behörden und Bevölkerung aufgefordert, „jegliche gewaltsamen Auseinandersetzungen einzustellen“.

Die Bevölkerung kämpft in diesen Momenten trotz Ausgangssperren weiter, fest entschlossen, die Regierung zur Rücknahme diese so unpopulären Gesetzes zu bewegen. Die Menschenrechtskoordination COPODEHUPA unterstützt die Forderungen der Einwohner von Colón und der Bürger Panamas, um Frieden zu finden und fordert, die Repression zu stoppen, die Verhafteten freizulassen und das Gesetz Nr. 72 zurückzunehmen. Die Regierung Panamas wird aufgerufen, einen Prozess in Gang zu setzen, der die Wahrung der ökonomischen, sozialen sowie der Persönlichkeitsrechte der Bewohner der Provinz Colón und des ganzen Landes garantiert.

Panama, 23. Oktober 2012

Autor: Pater Conrado Sanjur, Menschenrechtskoordinationstelle Panamas (COPODEHUPA) in Adital; Deutsche Bearbeitung: Bettina Hoyer

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