Chile: Vulkan Villarrica spuckt Asche
Der im Süden Chiles gelegene Vulkan Villarrica gehört zu einem der aktivsten Vulkane des Kontinents. Aufsteigende Rauch- und Gaswolken sind nichts Außergewöhnliches. Momentan kommt es aber vermehrt zu Ascheausbrüchen. Ein Vulkanologe warnt: Es könnte ein größerer Ausbruch bevorstehen. 1971 ereignete sich genau um diese Zeit des Jahres der letzte große Spaltenausbruch, bei dem mehr als 20 Menschen ums Leben kamen.
Fast sein ganzes Leben lang schon beobachtet Werner Keller den Vulkan Villarrica. Am 29. Dezember 1971, als er elf Jahre alt war, hat er den letzten größeren Spaltenausbruch selbst miterlebt. Er wohnte damals in der Ortschaft Lican Ray. „Das Bild hat sich in mein Gedächtnis eingraviert: eine zwölf Kilometer hohe Aschesäule mit Blitzen. Hubschrauber der Luftwaffe umkreisen den Vulkan und filmen. Dieses Bild habe ich in Erinnerung – ich sehe es nicht mehr in Farbe. Vulkanausbrüche haben selten Farbe, sie sind grau, die Asche ist grau, Ausbrüche auch“, erzählt der heutige Vulkanologe. Mehr als 20 Personen sind damals ums Leben gekommen. Für Werner Keller war dieser Ausbruch ein Schlüsselerlebnis. Beeindruckt von dem Naturschauspiel, fing er an, historische Fotos zu sammeln. Er entwickelte eine große Faszination für Vulkane und studierte schließlich Vulkanologie.
Was bei dem Ausbruch 1971 vor sich ging, weiß er genau: „Der Vulkan hat sich auf einer Länge von vier Kilometern gespalten, mitten durch den Krater. Durch eine Spalte unter dem Gletscher ist Lava an die Oberfläche gelangt. Der Gletscher Turbio ist so innerhalb von Sekunden zerstört worden“, erklärt Keller. Eisbrocken seien teilweise geschmolzen, teilweise durch Lawinen mitgetragen worden, sodass sich auf Brückenresten Eisberge von bis zu zehn Metern bildeten. „Wegen der Schlammlawinen war der Ausbruch so gefährlich und hat so viel Zerstörung mit sich gezogen. Diese Spaltenausbrüche am Villarrica sind nicht selten.“
Seit Monaten spuckt der Villarrica Asche
Jetzt, genau 49 Jahre nach dem letzten Spaltenausbruch, bereitet ihm das aktuelle Treiben seines Lieblingsvulkans große Sorgen. „Nachts sieht man einen roten Schimmer, Gase werden freigesetzt – das ist nichts Ungewöhnliches. Aber es gibt gewaltige Ascheausbrüche, sie können bis zu 15 Minuten dauern“, erklärt Werner Keller. Angefangen habe das Ganze bereits Ende Juli. Aktuell gebe es alle zwei bis drei Tage einen starken Ascheausbruch. Dass diese Ascheausbrüche so gewaltig sind, gibt Keller zu denken.
„Sie geben Auskunft über das, was sich unter dem Schlot vorbereitet, und ich glaube, da kommt etwas einigermaßen Großes. Der Nachbarvulkan Llaima, der sich 80 Kilometer nördlich vom Villarrica befindet, hat im Jahr 2007 Ende Mai angefangen, Asche auszuwerfen. Anfang Juni hatte er eine magmatische Phase – der Kraterboden hat sich mit Lava gefüllt. Keiner hat das wirklich wahrgenommen, bis er am 1. Januar 2008 explodierte. Der Villarrica macht genau dasselbe. Diese magmatische Phase hatten wir am 8. November“, vertieft Keller. Er habe das Ereignis über die Kameras auf einen großen Bildschirm in seinem Wohnzimmer projiziert und dort beobachtet. „Meine Frau und ich haben uns hingesetzt und gewartet, bis es dunkel wurde. Wir haben gewusst, dass es kommt, und tatsächlich: Leuchtende Lavabrocken sind durch die Luft geflogen.“
Kameras und Messgeräte sammeln Bilder und Daten
Aufgrund der kontinuierlichen Beobachtung glaubt Keller, dass die Anwohner rund um den Vulkan nicht von einer Sekunde auf die andere von einem Ausbruch überrascht werden, sondern vorher gewarnt werden können. Doch: „Es kann uns jederzeit erwischen. Ich habe 2015 sechs Stunden vor dem Ausbruch einer Behörde Bescheid gegeben, dass evakuiert werden sollte. Der Ausbruch an sich hat 18 Minuten gedauert – vom Aufbau bis zur Explosion, als die zwei Kilometer hohen Lavafontänen zustande gekommen sind. 18 Minuten! Das ist nicht berechenbar. Wenn du nicht genau in diesem Augenblick vor dem Computer oder der Kamera sitzt, hast du keine Gelegenheit, jemandem Bescheid zu geben.“
Und genau das ist es, was Werner Keller macht: Er beobachtet den Vulkan genau. Bereits 1996 hat er P.O.V.I (Proyecto Oberservación Volcán Villarrica/Internet) gegründet; übersetzt heißt das so viel wie Beobachtungsprojekt Vulkan Villarrica. Heute übernehmen vier Kameras – darunter auch eine Infrarotkamera – die Beobachtung. Zudem hat der Vulkanologe Zugriff auf Messgeräte, die ihm Daten zu seismologischer Aktivität und Infrasound liefern.
Weil die nationale Behörde für Geologie und Bergbau (SERNAGEOMIN) kein Observatorium direkt am Villarrica-Vulkan unterhält, sind die Daten und Analysen, die Werner Keller sammelt, umso wichtiger.
Kleiner Ausbruch könnte große Zerstörung bringen
Eines der größten Probleme sieht Werner Keller darin, dass die Gefahrenzonen rund um den Villarrica-Vulkan inzwischen sehr viel mehr bebaut sind als bei früheren Ausbrüchen. Es gebe keinerlei Beschränkungen für den Bau von Gebäuden auf Grundlage der Gefahrenkarte, die die SERNAGEOMIN erstellt hat. „Diese Gefahrenkarte weist Gebiete aus, von denen man aus der Geschichte weiß, dass dort Lawinen runterkommen, dort gibt es seit Jahren Bevölkerungszuwachs. Dadurch ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Vulkan schon bei einem kleinen Ausbruch große Zerstörung anrichten wird.“
Keller orientiert sich bei der Beurteilung der derzeitigen Aktivität des Vulkans am Ausbruch 1948. Damals habe es über sechs Monate hinweg Anzeichen gegeben, dass der Vulkan ausbricht. Bei der Eruption am 18. Oktober 1948 seien sechs Kilometer der Straße total zerstört worden, Wälder und Brücken seien mitgerissen worden. Der Wasserspiegel des Villarrica-Sees sei durch die Lawinenabgänge um einen Meter gestiegen. „Wenn der Ausbruch von 1948 sich morgen wiederholt, wäre das eine enorme Katastrophe“, warnt Keller, “aber keine Naturkatastrophe. Katastrophen sind menschlich verursacht - durch schlechte Verwaltung und schlechtes Management.“
Insgesamt 100 Menschen sind bei den Ausbrüchen des Villarrica-Vulkans im 20. Jahrhundert ums Leben gekommen. Die wichtigsten Ausbrüche fanden in folgenden Jahren statt: 1908, 1920, 1948/1949, 1963, 1971, 1984/1985. Beim letzten Ausbruch im März 2015 gab es keine Opfer.