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Chile: "Ein Präsident Kast würde unsere Arbeit erschweren"

Während in Chile am Sonntag in der Stichwahl über den neuen Präsidenten und Nachfolger von Sebastián Piñera entschieden wird, arbeitet die Verfassunggebende Versammlung weiter unter Hochdruck an einem neuen Grundgesetz, das jenes aus der Diktatur ersetzen soll. Dennoch schauen die 154 Mitglieder der Versammlung genau auf den Ausgang der Wahl, denn sie hat auch Auswirkungen auf ihre Arbeit. Der Neofaschist José Antonio Kast ist entschiedener Gegner des Vorhabens, eine neue Verfassung zu schreiben. Im Folgenden erläutert der Vizepräsident des Gremiums, Jaime Bassa, was die Wahl Kasts für die Arbeit der Verfassunggebenden Versammlung bedeuten würde.

Jaime Bassa (Mitte) bei einem Treffen gewählter Kandidaten der Partei Frente Amplio am 18. Mai 2021. Der Politiker ist stellvertretender Vorsitzender der Verfassunggebenden Versammlung in Chile. Foto: Encuentro Frente Amplio, Mediabanco Agencia, CC BY 4.0

Jaime Bassa (Mitte) bei einem Treffen gewählter Kandidaten der Partei Frente Amplio am 18. Mai 2021. Der Politiker ist stellvertretender Vorsitzender der Verfassunggebenden Versammlung in Chile. Foto: Encuentro Frente Amplio,Mediabanco AgenciaCC BY 4.0

Señor Bassa, was würde ein Präsident José Antonio Kast für die Arbeit der Verfassunggebenden Versammlung bedeuten?  
 
Jaime Bassa: Unsere Arbeit ist unabhängig von der Rotation im Präsidentenamt. Die Versammlung hat das Mandat des Volkes, um einen neuen Verfassungstext auszuarbeiten. Und wir werden genau dieses machen, unabhängig davon, wer im März in den Präsidentenpalast einzieht. Allerdings würde ein Präsident José Antonio Kast unsere Arbeit extrem erschweren, weil er für die Beibehaltung der Diktatur-Verfassung ist. Er würde mit dem gesamten Medienapparat des Staates versuchen, unsere Arbeit zu diskreditieren.  Schon die scheidende Regierung hat gemeinsam mit den großen traditionellen Medien Stimmung gegen die Verfassunggebende Versammlung gemacht. 
 
Ist die Verfassungsgebende Versammlung die rechtliche Repräsentation der Rebellion von 2019? 
 
Ja, sie ist der Weg, den die Chileninnen und Chilenen gewählt haben, um die auf der Straße geäußerten Wünsche nach Veränderung zu artikulieren und in Konkretes umzusetzen. Dabei geht es natürlich vor allem um fundamentale und soziale Rechte, vor allem eine bezahlbare Gesundheitsversorgung, eine würdige und erschwingliche Bildung, eine hinreichende Altersversorgung und den Bau von Wohnungen. 
 
Es geht also auch um die künftigen Aufgaben des Staates…
 
Ja, denn dieser ist bisher ja nur subsidiär für die fundamentalen Rechte zuständig. Er zieht sich zurück und überlässt Privatunternehmen elementare soziale Leistungen. Das hat nur dazu geführt, dass die Unternehmer sehr viel Geld verdienen, aber nur mickrige Leistungen anbieten. Aber wir diskutieren nicht nur über die künftige Rolle des Staates, sondern auch über ein neues Modell von Politik und Staat. Es geht also um die Frage, ob wir einen stärkeren Parlamentarismus wollen und einen weniger starken Präsidentialismus.
 
Wie kommt die Arbeit der Versammlung voran? 
 
Die Zeit von neun Monaten, die auf maximal zwölf erweitert werden kann, ist eng bemessen für ein so anspruchsvolles Projekt. Aber wir haben bisher den Fahrplan weitestgehend eingehalten und sind zuversichtlich, am Ende einen guten Verfassungstext vorlegen zu können. Klar ist, dass der Entwurf Anfang Juli fertig sein muss und dann dem Präsidenten übergeben wird. Im September oder Oktober wird der Text in einem Referendum dann der Bevölkerung vorgelegt.
 
Was ist das Besondere am chilenischen Verfassungsprozess im Vergleich zu anderen Ländern?
 
Den chilenischen Prozess macht einzigartig, dass das neue Grundgesetz in einer klimatischen Notlage geschrieben wird und bei totaler Gleichberechtigung. Die neue Verfassung wird also in gewisser Weise ökologisch und feministisch sein. Da auch die Ureinwohner in allen Ausschüssen und Kommissionen vertreten sind, ist diese Verfassunggebende Versammlung auch plurinational. Das heißt, in alle Punkte, die wir besprechen, fließt die Kultur der Ureinwohner ein. Überhaupt sind in dieser Verfassunggebenden Versammlung nicht nur Politiker und Juristen vertreten, sondern alle Gesellschaftsschichten, die historisch unterrepräsentiert oder ausgeschlossen waren. So schreiben an dieser Verfassung nicht nur Frauen und Ureinwohner, sondern auch die Arbeiterklasse, die sexuell Diversen, die Umweltaktivisten und die Zivilgesellschaft mit.
 
Aber dennoch oder gerade deshalb schaut die Bevölkerung heute kritisch auf die Verfassunggebende Versammlung, die doch von der Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit gewählt wurde.  
 
Ja, leider. Regierung, Medien und soziale Netzwerke haben von Anfang an eine Hetz- und Verleumdungskampagne gegen das Gremium und den Prozess geführt. Aber niemand hat darüber berichtet, dass die Assistenten der einzelnen Mitglieder zum Teil monatelang auf ihr Geld warten mussten. Wir werden die Bevölkerung aber am Ende für die neue Verfassung begeistern und die Menschen dafür gewinnen können. 

Interview: Klaus Ehringfeld, Mexiko

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