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Chile: Der Traum vom demokratischen Weg zum Sozialismus

Vor 50 Jahren wurde Salvador Allende in Chile zum Präsidenten gewählt. Nur drei Jahre dauerte es, bis das Militär putschte und seine sozialistischen Reformen rückgängig machte. Das ultra-liberale Wirtschaftsmodell unter Augusto Pinochet prägt Chile noch heute und ist Auslöser für die sozialen Proteste, die das Land 2019 erschütterten.

Chile, Salvador Allende, Sozialismus

Statue von Salvador Allende in der Hauptstadt Santiago de Chile. Foto: Salvador Allende sculpture(cc) David Berkowitzwww.marketersstudio.comCC BY 4.0, Zuschnitt

Es war der vierte Anlauf, der Salvador Allende am 4. September 1970 in das so lang ersehnte Präsidentenamt Chiles hievte. Wieder mal war es äußerst knapp gewesen. Am Ende gewann der Sozialist die Wahl mit 36,6 Prozent der Stimmen vor dem Nationalen Jorge Alessandri (35,3 Prozent). Chile, ein Land mit langer demokratischer Tradition, erlebte seit vielen Jahren soziale Spannungen. Arbeiter und Bauern forderten tiefgreifende Verbesserungen ihrer Situation. Diese Forderungen waren das Fundament für Allendes Triumph. 

Sozialismus als Staats- und Gesellschaftsform

Die Wahl des charismatischen Sozialisten, damals 62 Jahre alt, war in jeder Hinsicht historisch. Erstmals überhaupt schaffte es ein Politiker auf demokratischem Wege ins Präsidentenamt, der den friedlichen Umbau von Staat und Gesellschaft zum Sozialismus versprach. Allende und seine „Unidad Popular“ (UP), eine breite „Volksfront“ aus Parteien und Bewegungen, hatten sich die Rechte der Unterschicht, an erster Stelle die der Arbeiterklasse, auf die Fahnen geschrieben. 
 
Die ganze Welt schaute in diesen Tagen gespannt auf den Südzipfel Südamerikas. Besonders in den USA empfand man den Sieg der UP als Bedrohung. Gut zehn Jahre nach dem Sieg der kubanischen Revolution am 1. Januar 1959 machte sich wieder ein Land Lateinamerikas auf den Weg in den Sozialismus. Aber die US-Regierung um Präsident Richard Nixon war entschlossen, im selbst erklärten „Hinterhof“ Washingtons kein zweites Kuba zu dulden.

Salvador Allende: Arzt und Idealist

Am Wahlabend schien dies alles Lichtjahre entfernt. Als der Sieg der UP feststand, strömten 200.000 Menschen ins Zentrum von Santiago de Chile, um Allendes Antrittsrede zu verfolgen. Es war ein Moment, der das ganze Land elektrisierte, Erwartungen, Erstaunen und auch Erschrecken weckte. „Geht mit der Freude über diesen sauberen Sieg, den wir heute errungen haben, in Ruhe nach Hause“, rief Allende den Menschen zu. Dass „schwere Zeiten“ bevorstünden, war dem designierten Präsidenten schon da klar: „Aber gemeinsam werden wir die zweite, die wirtschaftliche Unabhängigkeit Chiles erreichen“, versprach er. „Und wir werden unser Land jeden Tag ein Stück gerechter machen“. 
 
Der studierte Arzt war ein starrköpfiger Idealist. Aber wohl nicht einmal er ahnte an diesem frühlingshaften 4. September, dass sowohl seiner politischen Idee als auch ihm selbst nur noch gut drei Jahre Leben blieben.

„Es war zumindest am Anfang eine Zeit großer Freude und Aufbruchsstimmung“, erinnert sich Cecilia Quidel. Die Lehrerin war damals sieben Jahre alt, ihr Vater ein kommunistischer Gewerkschaftsführer. „Es waren Zeiten von ökonomischem Wohlstand vor allem für arme Familien wie uns“. Zudem hätten die Menschen ihr Interesse für Politik entdeckt und sich an Entscheidungsprozessen beteiligt, unterstreicht Quidel im Gespräch. „Aber sehr schnell schon geriet alles in Gefahr“. Niemals zuvor sei „das Volk selbst so sehr Protagonist seines eigenen Schicksals gewesen wie unter Allende“, schreibt der Historiker Mario Garcés. Aber zugleich wurde das Volk auch nie zuvor als eine größere Bedrohung für die traditionellen sozialen Gruppen wahrgenommen“, analysiert der Professor an der „Universidad de Chile“.

Agrarreform und Verstaatlichung

Allende und die UP machten sich sofort nach Amtsübernahme ans Werk, den kapitalistischen Staat abzubauen. Im Zentrum standen die Vertiefung der bereits von den Vorgängerregierungen eingeleiteten Agrarreform sowie die Verstaatlichung von Fabriken und ganzen Industrien. Vor allem der Kupfersektor, damals wie heute Chiles Lebensader, galt als entscheidend. Weniger als ein Jahr nach Allendes Wahl wurde der Sektor im Juni 1971 enteignet, was vor allem zu Lasten von US-Bergbauunternehmen ging.
 
Ferner steckte Allende Geld in den öffentlichen Gesundheitssektor, er fror die Preise für Grundnahrungsmittel ein, erhöhte die Löhne der Arbeiter. Jedes Kind erhielt das Recht auf einen halben Liter Milch täglich. Die Vorschulbildung wurde geschaffen und der Zugang zur Universität verbreitert. 

Den einen zu radikal, den anderen nicht radikal genug

Schon früh aber kämpfte der Staatschef gegen Widerstände an vielen Fronten. Die USA bemühten sich von Anfang an, seine Regierung mithilfe des Geheimdienstes CIA zu destabilisieren. Auch die Sowjetunion blickte auf den „chilenischen Weg zum Sozialismus“ zunehmend kritisch. Als die „Unidad Popular“ wirtschaftlich immer weiter in Bedrängnis geriet, ließen die Machthaber Allende bei einem Besuch in Moskau auflaufen. Zudem drängten die radikalen Kräfte innerhalb der UP auf weitgehendere und revolutionärere Umbrüche. So steckte Allende wirtschaftlich und politisch in vielen Zwickmühlen. 
 
Denn die hohen Sozialausgaben rissen ein tiefes Loch in den Staatshaushalt, die Inflation stieg stark an. Eine Versorgungskrise war Folge der Enteignungen, aber vor allem Ergebnis von Sabotage und einem Streik der LKW-Fahrer, unterstützt von den USA. Später folgten Ausstände des Einzelhandels und der Ärzte. 
 
In den Monaten vor dem Putsch hätten sich die politische Rechte des Landes und weite Teile der Wirtschaft darauf verständigt, das „Chile Allendes unregierbar“ zu machen, sagt Historiker Garcés. „Der Sturz der Regierung sollte so zum einen als unausweichlich verkauft werden und zum anderen eine möglichst breite soziale Unterstützung in der Bevölkerung bekommen.“

Putsch mit Folgen bis in die Gegenwart

Während der spätere Diktator Augusto Pinochet am 11. September 1973 den Präsidentenpalast „La Moneda“ bombardieren ließ, richtete Allende kurz vor seinem Tod letzte Worte an die Chilenen. „Die sozialen Prozesse lassen sich nicht durch Verbrechen und Gewalt aufhalten.“
 
Allendes Scheitern prägt das schmale Land am Ende Südamerikas bis heute. Die sozialen Proteste von Ende 2019 und der Kampf für eine neue Verfassung und gegen ein ultraliberales Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell sind mittelbar Folge der „Unidad Popular“. Denn es ist genau das Modell, das die Putschisten in ihren 17 Jahren an der Macht implementierten, um alles auszuradieren, was Allende geschaffen hatte. 

Autor: Klaus Ehringfeld

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